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DR. OSCAR POLLAK / ABSCHIED VON EINEM GEGNER

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„Die großen alten Männer“, die dem österreichischen Journalismus die Brücke vom Gestern ins Heute schlugen, haben uns nun alle verlassen. Von Ernst Molden, Friedrich Funder und Gustav Canaval mußten wir uns in den letzten Jahren am Rande des Grabes verabschieden. An dieser Jahreswende sind wir Zeugen eines seltenen Schauspiels. Auf der Rechten Wienzeile räumte ein Mann seinen Schreibtisch als Chefredakteur, um einem beinahe um die Hälfte an Jahren jüngeren Nachfolger das Zentralorgan der Sozialistischen Partei Österreichs zu übergeben. Der Mann, der sein Leben mit diesem Blatt verbunden hatte, erwies sich auch in diesem Abschied als ein diszipliniertes Mitglied seiner Partei, die ihren Funktionären eine Altersgrenze für ihr Wirken an verantwortungsvollen Positionen gesetzt hatte. Obwohl das publizistische Mandat von Chefredakteur Oscar Pollak schon mehr als einmal verlängert worden war, mußte diesmal geschieden sein.

Mit dem offiziellen Wechsel in der Leitung der „Arbeiter-Zeitung“ endet — es ist nicht zuviel gesagt — ein Kapitel österreichischer Pressegeschichte. Wer immer nun in Osterreich publizistisch führend tätig ist, hat vor 1938 kaum die Feder geführt. Es gibt keine Väter mehr. Wachablöse zwischen den Generationen.

Dr. Oscar Pollak ist Wiener. In dieser Stadt wurde er am 7. Oktober 1893 geboren. Hier besuchte er das Realgymnasium und die Universität. Früh kam es zur Begegnung mit der von Viktor Adler dominierten österreichischen Sozialdemokratie. Der Idealismus der Frühzeit dieser Bewegung nimmt bei Pollak bald den Platz ein, den bei anderen Religion und Glaube innehaben. Die marxistische Dialektik wird zum scharfen Schwert für den Kampf mit der Bourgeoisie und allen, die der junge Intellektuelle als deren Verbündete und Helfershelfer ansieht. Vor dem Kampf unter der roten Fahne hat er aber noch einen anderen zu bestehen. Unter dem Doppeladler geht es in den ersten Weltkrieg, den Pollak zuletzt als Oberleutnant und Kompaniekommandant erlebt. Die Jahre nach 1918 sind wie geschaffen für einen, der auszieht, um im Gefolge des von den Sozialisten übernommenen liberalen Fortschrittsglaubens „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ zu bauen. Altes stürzt — und wird gestoßen. 0. P. ist mit dabei. Er weint der Vergangenheit keine Träne nach. Im Gegenteil. In seinem Unverständnis für die echten Werte der Tradition — die junge Republik bedurfte dieses Verständnisses, wollte sie leben — steht er unter den sozialistischen

Intellektuellen jener Jahre nicht allein. Ein langer Weg mußte gegangen werden, um wenigstens die gröbsten Voreingenommenheiten hier zu mildern. Davon aber ist der Redaktionssekretär des „Kampf“ noch weit entfernt. In der Schule Otto Bauers und Friedrich Auster-litz' schärft er seine publizistischen Waffen. Für die „Arbeiter-Zeitung“ geht er zunächst als Kommunalberichterstatter in das Rathaus, später auf einige Zeit als Korrespondent nach London. 1925 zieht er als Redakteur in das Haus auf der Rechten Wienzeile ein. Als Chefredakteur Austerlitz 1931 stirbt, übernimmt Pollak die Leitung des Blattes. Die Zeiten sind böse. In dem kalten Morgen des Februar 1934 verläßt er, allein begleitet von einem Redaktionskollegen, die Stätte seines Wirkens, um sie erst zwölf Jahre später wieder zu betreten. Emigration nach Brüssel, Paris und London. Emigration mit allen ihren Widrigkeiten, Cliquenkämpfen und sonstigen Kümmernissen. Für O. P. bringt sie aber auch zwei große Erfahrungen.

Als er im Herbst 1945 nach Wien, das heißt für ihn in die Rechte Wienzeile und an die Spitze seiner „A.-Z.“, zurückkehrt, liegt das Erlebnis des Sozialismus der Labour Party, der noch etwas anderes ist als die „Internationale 2%“ des alten Austromarxismus, hinter ihm. Dazu kommt — wir leben in den Jahren des Besatzungsregimes — ein konsequenter und mutiger Antikommunismus, der Mithilft, die österreichische Arbeiterbewegung von dem Schicksal ihrer Schwesterpartei in Ungarn und der Tschechoslowakei zu bewahren.

Daneben stehen freilich mehr als einmal Kurzschlüsse und bedenkenlose 'Angriffe, wie jenes „Nix gut“ an die Adresse des damaligen Bundeskanzlers Raab, der sich eben anschickte, durch seine Neutralitätspolitik Österreich den Staatsvertrag und die endgültige Freiheit zu erringen. Verständnislos blieb Oscar Pollak bis zuletzt auch gegenüber dem österreichischen Katholizismus und allem, was sich in ihm an neuem Geist regte. Hier hemmte manch altes Schema den freien Blick. Diese mit Recht O. P. oft nachgesagte Starrheit wurde nur dann eine Tugend, wenn es galt, im Namen der Meinungspresse die Stimme gegen den Boulevard und gegen den Kommerz zu erheben. Hier war der Punkt, wo wir uns mit ihm begegneten.

Oscar Pollaks Abschied von der Chefredaktion der „A.-Z.“ ist nicht ohne Schatten. Er hinterläßt, wenn man es genau nimmt, keine Schule. Sein Nachfolger wird es trotz mancher Stützen nicht einfach haben. Als Mahnung steht ihm noch das Schicksal des „Heute“ vor Augen. War diese sozialistische Wochenzeitung auch frei vom Altmarxismus Pollakscher Prägung, so konnte sie dennoch nicht zu einen neuen geistigen Standort durchstoßen. So verlor sie sich zuletzt in manchem Tritschtratsch, in eine liberalistische Allerweltshal-tung, und war geistig schon lange tot, bevor die Männer der Partei ihr ein recht unschönes Begräbnis dritter Klasse bereitet haben.

Oscar Pollak nimmt davon unberührt Abschied. Ein Journalist, ein Kämpfer, ein Mann mit Überzeugung. Gut oder schlecht, ob wir sie billigten oder bekämpften: einerlei. Die Überzeugungslosigkeit tst der Feind.

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