7108431-1995_41_08.jpg
Digital In Arbeit

Nächstes Jahr wieder auf die Alm

19451960198020002020

Im Großen Walsertal in Vorarlberg wird auch nach dem EU-Beitritt auf traditionelle Alpwirtschaft gesetzt, berichtet der Autor, der den heurigen Sommer über auf einer Alm in Vorarlberg gearbeitet hat.

19451960198020002020

Im Großen Walsertal in Vorarlberg wird auch nach dem EU-Beitritt auf traditionelle Alpwirtschaft gesetzt, berichtet der Autor, der den heurigen Sommer über auf einer Alm in Vorarlberg gearbeitet hat.

Werbung
Werbung
Werbung

Daß es auf der Alm keine Sünden geben soll, weiß inzwischen fast jedes Kind. Der hohe wirtschaftliche Stellenwert der Alpwirtschaft ist trotz Heidi schon weniger ins allgemeine Bewußtsein vorgedrungen.

1995 war kein besonders gutes Jahr für die „Älpler”. Zuerst konnten die Bauern mit ihrem Vieh wetterbedingt erst zwei Wochen später als üblich den Weg in die Berge antreten, dann war die Alpsaison mit dem Wettersturz Ende August plötzlich zu Ende, als die eingesetzten Schneefälle nicht mehr aufhören wollten. Im Großen Walsertal traf es vor allem die höher gelegenen Alpen besonders hart. Auf der knapp 1.600 Meter hoch gelegenen Alpe Laguz gingen einige Rinder im Schneetreiben verloren, erst vier Tage später wurden sie total erschöpft wiedergefunden. 70 Schafe mußten gar ganz abgeschrieben werden, nachdem sie von einer Lawine begraben wurden.

Einige Bauern gerieten durch den frühen Alpabtrieb in Bedrängnis, konnten sie doch durch den verregneten August die Heuernte nicht rechtzeitig ins Trockene bringen und mußten so den heimgekehrten Kühen Weiden mit altem Gras anbieten, was denen gar nicht so recht schmecken wollte.

Trotzdem, nächstes Jahr geht das Spiel wieder von vorne los, wenn im Frühjahr zuerst auf die in mittleren Höhenlagen gelegenen Vor- beziehungsweise Maisäße gezogen wird. Anfang Juni wird dann die Alpzeit von Neuem beginnen. Diese Art der „bäuerlichen Wanderschaft” hat im Vorarlbergischen eine jahrhundertelange Tradition.

Das nördlich von Bludenz gelegene Große Walsertal wurde bereits vor rund 1.000 Jahren von rätoromanischen Bauern besiedelt. Im 13. und 14. Jahrhundert kam dann die große Besiedlungswelle durch die aus dem Schweizer Kanton Wallis eingewanderten Walser, denen das von mächtigen Kalkbergen eingesäumte Tal auch seinen Namen verdankt.

Heute wird auf den Vorarlberger Alpen ein beträchtlicher Batzen des bäuerlichen Einkommens erwirtschaftet. Das Vorzeigeprodukt schlechthin ist der Bergkäse. Satte 60 Prozent der gesamten österreichischen Alpkäse werden im westlichsten Bundesland erzeugt.

Als an industriell verarbeitete Lebensmittel gewöhnter Konsument gerät man ins Staunen, mit welch scheinbar vorsintflutlichen und veralteten Techniken hier teilweise noch gearbeitet wird. Doch wer glaubt, der Senner leert einfach Milch in einen Kessel und rührt dann ein wenig darin herum, der hat sich ordentlich getäuscht.

So findet sich in einem Schweizer Käsereifachbuch aus den dreißiger Jahren) der Hinweis, daß Käsen eine Kunst sei. Die Herstellung von Qualitätskäsen verlangt neben einer äußerst sauberen und exakten Arbeitsweise und einem spezifischen Fachwissen auch nach einer Portion Talent. In der Einleitung des genannten Buches findet sich für allzu euphorische Käse-Greenhorns folgende Warnung: „Es gibt Leute, die diese Kunst erlernen und solche, die in ihr das Leben lang Stümper bleiben.”

Und weiter: Der Käser muß für sein Fach einiges Genie besitzen, das ihm in den manchmal recht schwierigen und komplizierten Fragen intuitiv den möglichen Ausweg zeigt.”

Gänzlich kann den Alp-Sennern im Großen Walsertal die Genialität nicht abgesprochen werden, waren sie doch bei der zum dritten Mal in Schwarzenberg (Bregenzerwald) abgehaltenen „Vorarlberger Bergkäseprämierung” äußerst erfolgreich und schnappten ihren Kollegen aus dem Bregenzerwald die vorderen Plätze weg. Einer der Besten war heuer Gerhard Konzett, Senner auf der Alpe Laguz mit zwei zweiten Plätzen. Er arbeitet in einer der modernsten Alp-sennereien Vorarlbergs, in der sich neben zwei großen Kupferkesseln auch eine Milchzentrifuge und moderne Käsepressen befinden. Bis zu 1.500 Liter Milch pro Tag wurden im heurigen Sommer auf Laguz verkäst.

Für Österreichs hochwertigen Käse wurde im Ausland zu wenig geworben

Etwas kleiner und handwerklicher geht es hingegen auf der etwas tiefer gelegenen Alpe Fuchswald zu. Vom dortigen Senner Heinz Grabher werden „nur” etwa 250 Liter Milch verarbeitet, die die 19 von ihm betreuten Kühe liefern. Er setzt noch mehr als manche seiner Berufskollegen auf Handarbeit und traditionelle Sennerkunst.

So wird etwa auf Fuchswald die Abendmilch über Nacht noch in Holzschüsseln („Gepsen”) gelagert und der am Morgen oben aufschwimmende Rahm von Hand abgeschöpft. Über Absatzprobleme kann Heinz Grabher nicht klagen. Die meisten seiner zwischen zehn und dreißig Kilo schweren Laibe landen per Selbstvermarktung im Gaumen der Käsekenner. Größere Alpen leiden aber zum Teil an größeren Absatzschwierigkeiten.

Denn trotz der hohen Qualität hat der Vorarlberger Bergkäse ein massives Marketingproblem. Anders als Camembert, Emmentaler, Tilsiter oder Appenzeller, deren klingende Namen den Gourmets auf der ganzen Welt das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen, ist der Bergkäse außerhalb der Alpenländer fast unbekannt. Hier wurde es verabsäumt, international einen Markennamen aufzubauen. Dies hätte nun den Einstieg in die Märkte der EU-Länder sicher erleichtert. Daß sich die eigens zu solchem Zwecke eingerichtete Marketinginstitution AMA (Agrarmarkt Austria) seit dem EU-Beitritt nicht durch glorreiche Werbefeldzüge für österreichische Lebensmittel hervorgetan hat, macht die Situation für die Hersteller auch nicht gerade leichter.

Die Folge: Der Preisverfall für Milchprodukte macht auch vor dem Bergkäse nicht halt. Die beiden großen Vorarlberger Käseeinkäufer Alma und Bupp zahlen für Alpkäse heuer um fast ein Fünftel weniger als noch 1994. Daß die Preise für Bergkäse im Supermarkt aber seit dem EU-Beitritt fast konstant geblieben sind, schürt natürlich den Unmut vieler Bauern und Käseerzeuger, die sich um den Lohn ihrer Arbeit geprellt fühlen.

Aus dieser Preisspirale ausbrechen will der Senner der Alpe Oberpart -num, Erich Stark. Er ging in die Offensive und stellte in diesem Jahr erstmals keinen Bergkäse mehr her, sondern „importierte” ein Käserezept aus der Schweiz und übersetzte es auf Vorarlberger Verhältnisse. Sein „Walsertaler Alpkäse” erinnert denn auch an den Schweizer „Appenzeller”, ist im Geschmack etwas milder und cremiger als der Bergkäse. Die Strategie von Erich Stark ist einfach und erfolgversprechend. Er steigt in die Selbstvermarktung seiner Produkte ein und hofft in der Vorarlberger Gastronomie entsprechende Abnehmer zu finden. Bis jetzt scheint sein riskantes Projekt aufzugehen: Die Vorstellung seiner neuen Käsesorte wurde in Vorarlberg zum Medienereignis.

Ein ganzes Dorf in Vorarlberg stelltauf biologische Produktion um

Neue Wege werden nun auch im 200-Seelen-Dorf Marul eingeschlagen. Sämtliche Bauern stellen ihre Betriebe um und werden zu Bio-Bauern. Denn nur so können sie den Fortbestand ihrer Talsennerei sichern. Ursprünglich hätte der Maruler Senner Klaus Pfefferkorn seinen Betrieb Ende Februar dieses Jahres zusperren sollen. Mit so geringen Milchmengen sei nach dem EU-Beitritt kein Staat zu machen, hieß es. Auch lagen bereits Angebote aus Nachbargemeinden vor, die den Bauern einen wesentlich höheren Milchpreis versprachen. Kurz vor dem endgültigen Aus wurde dann die rettende Idee geboren: Durch die ausschließliche Verarbeitung von Milch aus Bio-Betrieben kann ein natürliches Qualitätsprodukt hergestellt werden, für das auch ein höherer Preis erzielbar ist. Nach anfänglichen Widerständen konnten Pfefferkorn und sein Freund Franz-Anton Sparr die Maruler schließlich überzeugen: Nun stellt ein ganzes Dorf um. Nach der dreijährigen Umstellungsphase wird- Marul Vorarlbergs erstes „Öko-Dorf” sein. Die Käsefreunde aber können sich jetzt schon auf einen Käse freuen, bei dem dann wirklich alles paßt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung