6633902-1957_03_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZU CHE

Werbung
Werbung
Werbung

EINE DEMONSTRATION DES ÖSTERREICHISCHEN PATRIOTISMUS. Der Oesterreicher ist kein Demonstrant, auch kein geborener Revolutionär, und, wie manche zu wissen meinen, auch kein vorzüglicher Patriot. Zumindest haben die Revolutionen, Demonstrationen und Aktionen des österreichischen Patriotismus in den letzten dreißig Jahren manche Zweitel und Zwielichter geschaffen. Gerade deshalb sollten wir alle den 10. Jänner 1957 nicht vergessen. Das Staatsbegräbnis Theodor Körners war eine patriotische Demonstration, die in ihrer stillen Kraft und eindrucksvollen, spontanen Wucht unvergeßlich von allen jenen bewahrt werden sollte, denen es um Oesterreich, seine Freiheit, Einigkeit und Unabhängigkeit heute und für alle Zukunft ernst ist. Das Begräbnis eines k. und k. Generals, Schutzbundführers, illegalen und legalen Sozialisten, eines Rauhbeines, der es sich selbst, seiner eigenen Partei und seinen Gegnern nie leichf gemacht hat, fand als ein Sfaatsakf statt, der in eindringlicher Einmütigkeit Regierung, die führenden Parteien, Kirche und Volk verband. Alles, was in Oesterreich heute da ist und positiv am Werke ist, war da und nahm Anteil: der Erzbischof von Wien und der katholische Klerus, die Führer der Arbeiterschaft, und, in der Vielfalt seiner Elemente, unser Volk. Man muß es gesehen haben, diese Gruppen und einzelnen, zwischen dem Rathausplafz und Schwarzenbergplatz hinaus, durch ganz Simmering, bis. zum Zentralfriedhof: an der Prägung der Gesichter weif mehr als an der Kleidung, die heute, Gott sei Dank, weniger als je zuvor die gesellschaftliche Differenzierung verrät, konnte man die weltanschauliche, politische und soziale Herkunft unserer Staatsbürger und unseres Wiener Volkes in all seiner glücklichen und tragischen Vielfalt erkennen. Hunderttausende Menschen, off lange Jahre und Jahrzehnte im Leben durch politische und andere Feindschaften getrennt, waren hier, unbewußt und bewußt zugleich, einander verbunden in der Teilnahme am Begräbnis dieses einen Toten. „Schwarze", „Rote", und auch „Blaue", „Braune" und Träger anderer Farben ... — Und über allen die Fahne rotweißrot. Ihr Trauerflor flatterte im Winde dieses Jännertages, im Grau der Wolken und im Blau, das immer wieder durchbrach. — Wer an dieser Feier teilnahm, wird etwas von ihrer Atmosphäre mitnehmen in die Gestaltung seines Alltages. Das gilt gerade auch für unsere Politiker, für die Männer des öffentlichen Lebens. Der 10. Jänner 1957, der Tag des Theodor Körner, verpflichtet, weit über die nächste Wahl hinaus. Sein unausgesprochenes Geleitwort: Seid einig, Oesferreicherl Die Zeit ij t hart und stürmisch. Steht zusammen, inrl Leben, so wie- iri- der Stunde an der Bahre dieses Aöten.

PRODUKTIVE ARBEITSLOSENFURSORGE, die schon vor Jahresfrist vom Sozialministerium als ein taugliches Mittel zum Ausgleich der starken Unterschiede zwischen der Sommer- und Winter- arbeifslosigkeit bezeichnet wurde, soll in diesem Winter, der vermutlich wieder für den Februar und März die Arbeifslosenspitze bringen wird, auf die Bausfofferzeugung ausgedehnt werden. Bisher war die Aktion auf die Bauwirtschaff beschränkt. 30.000 Arbeitnehmer will man heuer durch die produktive Fürsorge (statt Unterstützung: Geld zur Finanzierung von Arbeitsvorhaben und dadurch Verhinderung von Entlassungen) weiferbeschäffigen. ’m Vorjahre waren es im Februar 25.000 Arbeitskräfte, die (bei einem Arbeitslosenstand von 224.000) auf diese Weise weiter beschäftigt werden konnten. Auch das Jugendeinstellungsgesetz hat Erfolge aufzuweisen. Vom März bis April 1956 schrieb das Gesetz den österreichischen Betrieben 62.030 Pflichfstellen vor, tatsächlich wurden jedoch 123.461 Jugendliche eingestellt. Diese Erfolge, sowohl bei der produktiven Arbeifslosenfür- sorge, wie beim Jugendeinsfellungsgesefz sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß heuer infolge der Beschränkung der öffentlichen Investitionen die Behörden weniger Jugendliche einsfeilen werden können, und daß der Privatmarkt ein schwierig zu behandelnder Faktor isf. Das geht aus den Folgen des Jugendeinstellungsgesetzes hervor. Zwar hat die überwiegende Zahl von Betrieben die Einstellungspflicht beachtet, es sind aber frotzdem 5013 Pflichtstellen unbesetzt geblieben. Außerdem isf es unverkennbar, daß die weibliche Jugend zunehmend unter Berufsnot zu leiden hat. Das geht schon aus den Ziffern der vorgemerkten Arbeitslosen vom September 1955 bis August 1956 hervor, wo in den zwölf Monaten für acht Monate eine höhere Arbeifslosenziffer für Frauen und Mädchen verzeichnet wird, als für Männer. Es ist daher neben den schon in Kraft stehenden Gesetzen unbedingt ein Arbeifs- lenkungsgesefz zu planen und einer produktiven Fürsorge eine produktive Vorsorge an die Seite zu stellen.

SCHWARZROTGOLD IN SAARBRÜCKEN. Während noch vor Jahresfrist es nicht ausgeschlossen war, daß an der Saar ein lautstarker neuer deutscher Nationalismus geboren würde, vollzog sich die nunmehrige staatsrechtliche Angliederung des Saarlandes an die Deutsche Bundesrepublik beinahe in aller Stille. Und daran trug nicht einmal sosehr die Ablenkung der allgemeinen Aufmerksamkeit durch die Krisenherde der Welfpolitik in Suez.und Ungarn schuld. Die schwarzrotgoldene Fahne, die in Saarbrücken hochging, wurde freundlich begrüßt. Allein, es gab keinen Massentaumel, ähnlich wie 1935, und auch die allgemeine Freude über die „Heimkehr der Saar", wie sie zur Zeit der Ablehnung des Europastatufs der Regierung Hoff- mann und deren Sturz zu erwarten war, äußerte sich nur in Moll. Die nationale Saarfrage ist erledigt, die wirtschaftlichen Fragen kommen erst. Und über sie beginnt man sich jetzt in allen Familien den Kopf zu zerbrechen. Zwar bildet die Saar auf weitere drei Jahre ein staatsrechtliches Kuriosum — in diesem nunmehrigen deutschen Bundesland bleibt zunächst der fran zösische Franken die Währung —, allein die wirtschaftliche Ueberleitung geht nicht ohne Sorgen vor sich. Es ist ein offenes Geheimnis, dal Frankreich der Saar den A-ichied von Deutschland seinerzeit wirtschaftlich scnmackhaft machen wollte. Erleichterungen für die Industrie, wie das französische Prämien- und Kinderbei- hilfensysfem, taten ein übriges hinzu. Die Intellektuellen wurden durch ein geistiges Leben, das rund um die in einer ehemaligen Kaserne eingerichtete, reichlich dotierte europäische Universität sich regte, angesprochen. Mit dem allen geht es nun langsam zu Ende. Auch innerpolitisch blieb dieser Umschwung von der Emotion zur nüchternen Erwägung nicht ohne Folgen. Die „Deutsche Partei Saar’ des radikalnationalen Dr. Heinrich Schneider — lange Zeit eine Kraft, die der von dem nunmehrigen Ministerpräsidenten Dr. Ney geführten CDU das Gesetz des Handelns diktierte — ist aus der Regierung ausgeschieden. Auf der anderen Seite spinnen sich immer deutlicher sichtbare Fäden zwischen der CDU und der Volkspartei des ehemaligen Ministerpräsidenten Hoffmann an, die sich trotz des Odiums des Separatismus bei den letzten Gemeindewahlen verhältnis- mäf ig sehr gut gehalten, ja mitunter sogar schon wieder Terrain aufgeholt hafte. Zudem kommt es, dal der politische Sinn der Saarländer durch das wechselvolle Geschick Ihrer Heimat entscheidend geprägt worden ist. So ist «s!'nicht ausgeschlossen, dal , bei allen offenen Bekenntnissen zum Deutschtum, man doch den Tagen des autonomen Saarlandes einmal eine verborgene Träne nachweinen wird.

DIE JUGEND UND DER KREML. Wer den Russen von früher kannte oder ihn außerhalb der Machtsphäre des Kremls erlebte, so, wie er wirklich ist: redselig und zutraulich, impulsiv, jähzornig und dann wieder weich, zur Schwärmerei und Phantasterei neigend, dem kamen die „neuen’ Russen oft wie mißtrauische Taubstumme vor. Man stellte sich daher oft die Frage, ob es dem Kreml tatsächlich gelungen Ist, die vielen über ein Riesenreich zerstreuten Millionen von Grund auf umzuformen und den sfalinisfischen Einheifsrussen hervorzubringen. Unter dem Titel, „Rußlands Jugend und die Führer" hat Alexander Metaxas (in der „Deutschen Tagespost’) seine Erfahrungen mit der jungen Generation geschildert. Nie sei das Bedürfnis nach Freiheit stärker zum Ausbruch gekommen, als während der letzten Monate. Freiheit — das bedeutet für sie die Möglichkeit, sich den Arbeitsplatz selbst zu wählen, unabhängig von staatlicher Bevormundung zu leben, es ist der Wunsch nach einem großzügigen Studentenaustausch, insbesondere mit Amerika. „Freiheit’ verspricht ihnen auch das jungfräuliche Land Sibirien, das im Geiste der Pioniere des amerikanischen „Wilden Westens’ gesehen wird.,— Die Vorliebe für westliche Moden und westlichen Jazz ist nur ein Oberflächensympfom, Daß sich die russische Jugend mit Heißhunger auf die seit kurzem wieder zugelassenen Schriften Dostojewskys stürzt, läßt bereits tiefer blicken. Darin äußert sich der individualistische, religiöse, zuweilen auch anarchische Geist des Russen, dem nichts wesensfremder ist, als der Einheitsmensch und Roboter. Wodurch der eingangs geschilderte Eindruck manchmal entstehen konnte, das war die nackte Angst vor dem allmächtigen Polizeiapparat, das gegenseitige Mißtrauen. Aber diese Panik ist im Schwinden begriffen. Jung-Rußland ist im Kriege schnell erwachsen geworden, und die SO Millionen junger Menschen könnten eines Tages die Herrschaft schneller an sich reißen, als wir glauben. Die alte Garde der Stalinisten ist größtenteils abgetreten. Wenn die letzten „Garanten" nicht mehr sein werden, kann es geschehen, daß die neue Generation dieses Regime so fremd finden wird, wie die Revolutionäre von 1917/18 die Zarenherrschaff. Bedeutsame Zeichen lassen sich hierfür erkennen. Der Wesien sollte sie mif größter Aufmerksamkeit verfolgen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung