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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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„EINE HOHE SCHULE DER TOLERANZ und ein großes Experiment des Friedens" — das soll, nach dem Wort Ernst Fischers, in seiner Entgegnung auf den Leitartikel der „Furche“ vom 8. November dieses Jahres („Die Provokation des Friedens") der „Völkerkongreß für den Frieden“ in Wien werden. Fischer fragt uns hier: „Halten Sie es nicht auch für notwendig, daß zur Entspannung der Atmosphäre Menschen aus den verschiedensten Richtungen der Erde und des Geistes zusammenkommen, um nicht in der Sprache der Diplomaten oder der Produzenten von Haßpropaganda, sondern in der Sprache des Herzens und der Vernunft zu sprechen und hinter all dem Trennenden das Gemeinsame zu entdecken?“ — „Ja, wie sollen wir zum Frieden kommen, wenn es nicht ein Friede zwischen der kommunistischen und der nichtkommunistischen Welt ist?“ Diese Worte des Abgeordneten zum Nationalrat der Kommunistischen Partei Österreichs verdienen Beachtung. Wir hoffen, daß sie diese in den Ländern, bei den Völkern und Regierungen der östlichen Hemisphäre finden werden. Wir können uns keinen wirkungsvolleren Auftakt für ernste Abspi achen der verantwortlichen Diplomaten beider Welten denken als eben diesen: die „hohe Schule der Toleranz und ein großes Experiment des Friedens“ wird ab sofort an Ort und Stelle praktiziert. Wozu nach Wien reisen, wenn die Gelegenheit, Frieden zu stiften, Frieden zu gewähren, das Gute also zu tun, so nahe ist? Hic Rhodus, hic salta: man trete ab sofort mit den Millionen von Nonkonformisten, die bisher in der Ostwelt nur Kerker, Prozesse und Lager erhalten haben, t n friedsame Gespräche ein. Die Gelegenheit, Friede zu geben in dieser vorweihnachtlichen Welt, ist wahrhaftig großartig genug: in Warschau, wo soeben 400.000 von 600.000 Wählern durch weiße Stimmzettel bekundeten, daß sie mundtot gemacht wurden, in Prag, wo soeben neue Prozesse gegen „Volksverräter“, ehemalige führende Kommunisten, gestartet werden, in Budapest, wo man deportiert, in Sofia, wo man Bischöfe an die Wand stellt... Was beweist denn das alles? Amerikanische Greuelpropaganda? Nein, sondern etwas anderes: daß die Fähigkeit, Frieden, wahren Frieden zu schaffen, in der Ostwelt noch verzweifelt gering entwickelt ist — die hohe Schule der Toleranz noch kaum gepflegt wird. Ernst Fischer schließt seinen Anruf: „Ein altes katholisches Wort aber mahnt: Ora et labora! Bet' und arbeit’!“ — In ein rechtes Friedensdeutsch übersetzt, heißen diese Worte: Friedensarbeit setzt Friedensgesinnung voraus. Von dieser aber merken wir auf kommunistischer Seite noch herzlich wenig. Vielleicht ober irren wir uns, und als Vorschule und Folge des „Friedenskongresses der Völker“ in Wien werden sich öffnen die Tore der Gefängnisse, leeren werden sich die Kerker und Zwangarbeitslager, senken werden sich die Posaunen der Haßpresse... Nicht mehr wird man es wagen, „Die Stimme der Völker zu unterschätzen“ ... denn, wie es im Titel bei Ernst Fischer heißt: „es gibt nur einen Frieden für alle". Für die, die drinnen, und für die, die draußen sind.

AM GLEICHEN TAG, an dem an führender Stelle der „Furche“ Überlegungen über den „gelähmten Flügel“ der Volkspartei in Österreich angestellt wurden, veröffentlichte die in Düsseldorf erscheinende katholische Wochenzeitung „MICHAEL“ einen Leitartikel, der, wenn er auch natürlich für die deutschen Verhältnisse variiert, sich mit demselben Thema befaßte. Unmittelbarer Anlaß dazu waren die Kommunalwahlen im Land Rheinland-Westfalen, bei denen die Christlich-Demokratische Union in einigen Industriegroßstädten, in denen sie bisher die Mehrheit (!) hatte, diesmal von den Sozialdemokraten überflügelt wurde. „MICHAEL“ kommt zu dem Schluß: „Diese Erfahrung sollte für die christlichen Politiker zum Anlaß werden, sich endlich wieder auf ihr soziales Programm zu besinnen. Nur wenn das geschieht, wird auch der Kampf um die Menschen in den Industriegroßstädten möglich sein. Zwar haben die Sozialdemokraten bei den Arbeitern ein weit größeres Alibi, weil sie sich, das wird niemand bestreiten, mindestens theoretisch immer für sie eingesetzt haben. Es wäre aber ein Irrtum, wenn christliche Arbeitervertreter mit sozialdemokratischen Parolen arbeiten wollten. Das christliche Sozialprogramm ist letztlich viel radikaler und revolutionärer. Es bedarf aber der Politiker, die sich bedingungslos dafür einsetzen... Wa s christliche Politik im Kampf gegen diese Gefahr zu tun hat, sollte gerade auch in den Industriegroßstädten ein Echo finden können. Wir verweisen auf die bewundernswerte Aktivität des Katholischen Männerwerkes in Kölner Betrieben, und bringen es hiemit in Zusammenhang, daß die Christlich-Demokratische Union heute im Kölner Stadtparla ment nicht bloß zwei, sondern fünf Sitze mehr hat als die Sozialdemokratische Partei. Diese Dinge müssen gegenüber den Kräf- ten, die zwar im christlichen Lager stehen, sich aber von der christlichen Soziallehre weit entfernt haben, beim Namen genannt werden. Dort beginnt der Aufbruch.“ Nicht nur in Köln, nicht nur in Deutschland..

DIE SÜDTIROLER WAHLEN haben wieder einmal die politische Aufgeschlossenheit der deutschsprachigen Bevölkerung südlich des Brenners bewiesen: mehr als 88 vom Hundert der Wähler sind zur Urne gegangen. Die Südtiroler Volkspartei (SVP) konnte für ihre „Edelweißliste“ 112.500 (1948: 107.700), also die überwältigende Mehrheit der deutschen Stimmen gewinnen. Die Zahl der zu vergebenden Mandate war wegen des vornehmlich aus dem Süden stammenden Bevölkerungszuwachses von 20 auf 22 erhöht worden. Die SVP konnte ihren Besitzstand parallel von 13 auf 15 steigern und verfügt damit wieder über die Dreiviertelmehrheit in der Landtagsstube. Die deutschen Sozialdemokraten hatten diesmal nicht kandidiert. Das ladinische Grödner- tal, das stets mehr nach Bozen als nach Trient gravitierte, ist dieser Gesinnung wieder treu geblieben. Die Edelweißstimmen im Grödnertal sind sogar gestiegen. Die Wählerzahl der Democristiani hat sich von 6500 auf 9000 erhöht — die beiden auf christlicher Grundlage stehenden Parteien besitzen daher 18 von 22 Mandaten des Provinziallandtages. Der „Corriere della Sera“ hatte am Vorabend der Wahlen geschrieben, man könne in der Region Trient- Südtirol allenfalls ohne die Democristiani, aber niemals ohne die SVP regieren. Fügen wir hinzu: es mögen sich beide Aspekte im Positiven vereinigen lassen. Die Einheitlichkeit der politischen Vertretung der Südtiroler Bevölkerung, die sich aus diesen Wahlen ergibt, wird der Wahrung ihrer Anliegen von großem Nutzen sein.

DER PROZESS GEGEN SLÁNSKÝ UND GENOSSEN vor dem Staatsgericht in Prag rollt, wie einem stümperhaften „Drehbuch“ folgend, ab. Alle Anschuldigungen verblassen gegenüber den Angriffen gegen die „Wühlarbeit der Zionisten“, die „einen vorgeschobenen Posten des amerikanischen Kapitalismus im Kampf gegen die Volksdemokratie“ darstellen. Den in der Anklageschrift enthaltenen Personalangaben zufolge sind nur zwei der Angeklagten Tschechen, Josef Frank und Karl Schwab, und einer Slowake, nämlich Außenminister Clementis; bei allen übrigen ist vermerkt: „jüdischer Abstammung“. Und während beide Tschechen aus Arbeiterfamilien stammen, erfahren wir von Slánský, Geminder, Löbl, Fischt und Mar galius, daß ihre Väter Kaufleute oder Großkaufleute waren, von Frejka, daß er der Sohn eines Arztes, von London, daß er der Sohn eines Gewerbetreibenden ist, und von Šling und Simone, daß sie aus Fabrikantenfamilien stammen, während man sich bei Reicin mit einem allgemeinen Hinweis auf seine bourgeoise Abstammung begnügt. Der Redakteur des „Rudé právo“ Andrė Simone — so wird jetzt offiziell mitgeteilt — hieß eigentlich Otto Katz, ebenso wird auf die Umbenennung eines Lieben in Lomsky, eines Landau in Landa, ja selbst eines Geiringer in Granvill oder eines Überall in Avriel aufmerksam gemacht. Bei dieser weltweiten Verschwörung ist es nicht verwunderlich, daß die „Bande“ — laut Anklage — auch vor dem größten Verbrechen nicht zurückgeschreckt ist, vor „aktiven Schritten zur Verkürzung des Lebens des Staatspräsidenten Gottwald“: Slánský wählte einen persönlichen Arzt für den Staatspräsidenten „aus feindlichem Milieu, mit dunkler Vergangenheit“ aus, von dem er wußte, daß er „aus einer bourgeoisen Familie stammt, Freimaurer und Kollaborant“ war, der dann auch tatsächlich Gottwald „nicht so geheilt hat, wie es nötig gewesen wäre, und so zur Verkürzung seines Lebens beitrug, das heißt zur Beschleunigung seines Todes“. So hat denn auch Slánský konsequenterweise zugeben müssen, daß er mit der Möglichkeit rechnete, an die erste Stelle in der KPČ und im Staat zu treten. — Audi Schauprozesse bedürfen der Planung. Das diesmal zusammengetragene Material muß zweifellos noch für eine Reihe weiterer Prozesse ausreichen: noch fehlen die Namen einer Švermová, eines Fuchs, eines Polák, eines Nový oder Fabringer in der Anklageschrift. Die Leistung des Prokurators liegt freilich auf einer anderen Linie, seine Kunst erweist sich darin, die derzeit noch an der Macht befindlichen Größen, die ja jahrelang in engster und intimster Verbindung zu den heute Gestürzten standen, mit keinem Wort zu erwähnen und in den Prozeß hineinzuziehen.

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