Scheidung Trennung häusliche Gewalt - © Foto: iStock/Sohl

Häusliche Gewalt: „Wäre ich geblieben, ich wäre tot“

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Psychische Gewalt zählt europaweit zu den häufigsten Formen der häuslichen Gewalt. Selbst, wenn Frauen es schaffen, sich von ihren gewalttägigen Männern zu trennen, nimmt der Albtraum für sie oft auch Jahre später kein Ende. Die EU-Ratifizierung der Istanbul-Konvention soll nun mehr Schutz bieten. Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November.

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Psychische Gewalt zählt europaweit zu den häufigsten Formen der häuslichen Gewalt. Selbst, wenn Frauen es schaffen, sich von ihren gewalttägigen Männern zu trennen, nimmt der Albtraum für sie oft auch Jahre später kein Ende. Die EU-Ratifizierung der Istanbul-Konvention soll nun mehr Schutz bieten. Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November.

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Marta* lebt mit ihrer achtjährigen Tochter in Warschau, in einer kleinen 45 Quadratmeter-Wohnung. Mehr kann sie sich derzeit nicht leisten. Mit den Alimenten, die sie vom Ex-Mann bekommt, sind gerade einmal die Betreuungskosten ihrer Tochter gedeckt. Im Video-Telefonat schießen ihr immer wieder die Tränen in die Augen. Das alles habe sie sehr mitgenommen, die Symptome ihres posttraumatisches Stresssyndroms würden sich in unmöglichen Situationen zeigen. „Dann kommt alles hoch“, schildert die Polin.

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„Alles“ ist die Geschichte ihrer dreijährigen Ehe, in der sie beschimpft, bedroht, und betrogen wurde – und der seit sechs Jahren währende Versuch, die Besitzansprüche zwischen ihr und ihrem Ex-Mann zu klären. Eigentlich sollte 2020 vor Gericht endgültig ein Schlussstrich gezogen werden.

Doch es kam anders: Zwar erhielt der Mann in erster Instanz Schuld am Scheitern der Ehe, allerdings ohne weitere Konsequenzen. Die Wohnung, für die auch sie einen Kredit abbezahlt, blieb ihm – und die Alimente sind gering bemessen. Marta legte Berufung ein. Doch der Richter wies nachträglich auch ihr die Schuld zu – und begründete dies so: „Ein Element, das die Rettung der Ehe begünstigt, die in einen Krisenzustand gerät, […] ist die möglichst intensivste Aufrechterhaltung der sexuellen Kontakte.“ Marta habe das vermutlich verweigert, das sage ihm „seine Lebenserfahrung“...

„Ein Schlag für alle Gewaltopfer“

Das war sie, die volle Wucht patriarchaler Strukturen. In polnischen Medien wurde das Urteil als „anderswo in Europa undenkbar“ und „Schlag für alle Gewaltopfer“ eingeordnet. Das widerspreche auch klar der Istanbul-Konvention, die auch Polen unterzeichnet hat.

Zwar drohte die rechtskonservative Regierung 2021 mit dem Ausstieg aus dem Menschenrechtsvertrag, doch Polen ist – wie auch Österreich – eines von 45 Ländern, das sich mit der Konvention dazu verpflichtet hat, Frauen durch ihre Nationalgesetze besser vor Gewalt zu schützen.

In Österreich ist die Istanbul-Konvention 2014 in Kraft getreten. Seither wurde der Opferschutz stetig ausgebaut. Laut der Wiener Rechtsanwältin Sonja Aziz werde aber der Aspekt psychische Gewalt im Haushalt auch hierzulande immer noch zu wenig beachtet. „Psychoterror, Kontrolle, falsche Vorwürfe“ – damit hätten auch ihre Mandantinnen in Wien zu tun. Weil psychische Gewalt schwer nachzuweisen ist, sind Betroffene darauf angewiesen, dass das Gericht ihnen glaubt, erklärt Aziz: „Die eigene Einvernahme ist hier oft das einzige Beweismittel.“

Nach der Geburt ihrer Tochter wird ihr Ex-Mann zunehmend aggressiver. Doch vor Gericht zählt das nicht: Sie hätte nachsichtiger mit ihm sein sollen.

Besonders fatal werde es, wenn Kinder im Spiel seien: „Müttern wird dann oft gesagt, sie könnten die Paar-Ebene nicht von der Eltern-Ebene trennen.“ Ihnen werde unterstellt, die Kinder vom Vater entfremden zu wollen. Anstatt Männern Gewaltprävention aufzutragen, würde das Gericht eher Elternberatungen – für beide – vorziehen. „Über das, was der Vater getan hat, wird in vielen Fällen hinweggesehen“, erklärt Aziz.

Ein Phänomen, das sich in verschiedenen Ausprägungen europaweit beobachten lässt. Auch Marta kennt diese Situation. Nach der Geburt ihrer Tochter wird ihr Ex-Mann zunehmend aggressiver, seine Alkohol-Exzesse mehren sich; aus Angst flieht sie aus der Wohnung. Doch vor Gericht zählt das nicht. Sie hätte nachsichtiger mit ihm sein sollen, heißt es. Der Ex-Mann bekommt sogar ein Aufenthaltsbestimmungsrecht. „Wenn meine Tochter Freunde außerhalb der Stadt besuchen möchte, brauchen wir seine Erlaubnis“, erzählt Marta. Zermürbend, denn getrennt hat sie sich, weil sie keinen anderen Ausweg gesehen hatte. „Wäre ich bei ihm geblieben, wäre ich heute nicht mehr am Leben“, sagt sie.

Nährboden für Eskalationen

Unabhängig von nationalstaatlichen Gesetzen beschreibt Martas Fall eine Dynamik, vor der Gewaltschutzinitiativen europaweit warnen: Eltern zu zwingen, auch nach der Trennung ständig im Austausch zu bleiben, biete einen Nährboden für Eskalationen – und könnte im äußersten Fall zum Femizid führen. In Österreich wurden heuer bereits 25 Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet – in vielen Fällen war eine Gewaltbeziehung vorausgegangen.

Um derartiges künftig verhindern zu können, wünscht sich die Wiener Rechtsanwältin Aziz eine multiinstitutionelle Vernetzung, denn „oft war es an verschiedenen Stellen schon aktenkundig, aber einzelne Behörden wussten nichts davon“. Das führe dazu, dass viele Anzeigen aus Mangel an Beweisen eingestellt und Drohungen als „milieu- oder situationsbedingte Unmutsäußerungen“ abgetan würden. „Hier wäre es relevant, Frauen ernst zu nehmen“, betont sie. Zudem gäbe es in Österreich im Umgang mit Kindern Möglichkeiten, das Kontaktrecht auszuüben, ohne dass Eltern aufeinandertreffen müssen – etwa in Besuchscafés mit gestaffelten Ankunftszeiten.

Internationales Bekenntnis

Auf internationaler Ebene will die EU neue Maßstäbe setzen, denn Eurostat-Daten aus den vergangenen zehn Jahren belegen: Etwa 40 Prozent aller Frauen in der EU haben schon einmal psychische Gewalt in einer Beziehung erlebt. In Österreich waren es 2021 immerhin 36 Prozent. EU-weit wird zudem davon ausgegangen, dass jede dritte Frau seit ihrem 15. Lebensjahr eine Form des körperlichen oder sexuellen Übergriffs erfahren hat. Als Gegenmaßnahme hat das EU-Parlament für die Ratifizierung der Istanbul-Konvention gestimmt, die bereits 2016 unterzeichnet wurde, dann aber an Einwänden mehrerer Mitgliedsstaaten gescheitert ist. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs ermöglicht nun, dass der Vertrag ohne die Zustimmung aller Mitgliedsländer ratifiziert werden kann.

Sonja Aziz sieht in internationalen Verträgen wie diesem ein wichtiges Mittel, um im Rahmen nationalstaatlicher Gesetze internationale Mindeststandards zum Schutz von Frauen zu verankern. Auch Marta setzt ihre Hoffnungen auf internationale Abkommen, um doch noch zu ihrem Recht zu kommen. Und mit ihrer Geschichte will sie Frauen vor Ähnlichem bewahren: „Wenn die Sache einen Sinn haben soll, dann wenigstens den, dass ich für andere Frauen einen Beitrag leisten konnte.“

*Name von der Redaktion geändert

Verbot Hand Stopp - © Foto: iStock/ nzphotonz
© Foto: iStock/ nzphotonz

16 Tage gegen Gewalt

Der 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, der 10. Dezember der Internationale Tag der Menschenrechte. Die 16 Tage dazwischen nutzen Fraueninitiativen weltweit, um auf das Recht auf ein gewaltfreies Leben aufmerksam zu machen. Österreich nimmt seit 1992 an der Aktions-Kampagne teil. Bundesweit gibt es in diesem Zeitraum verstärkt Veranstaltungen zum Thema.

16 Tage gegen Gewalt - Vorträge, Ausstellungen, Seminare
bundesweit von 25.11.2023 bis 10.12.2023
www.aoef.at (Verein AÖF – Autonome Österreichische Frauenhäuser)

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