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Alexandria - orthodoxes Kirchenzentrum?

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Seit den frühkirchlichen Jahrhunderten, auf deren Kirchenversammlungen die hierarchische Struktur der damaligen römischen Reichskirche festgelegt wurde, verfügen die Ostkirchen in den Patriarchaten von Konstantinopel, Alexandria, Antioehia und Jerusalem über vier Großräume ihrer Administration, aus denen sich bis auf den heutigen Tag weitere elf selbständige National-, Regional- oder Stäatskirchen herausentwickelt haben. Nicht nur deren Zahl, auch ihre Große und Bedeutung ist so stark angewachsen, daß die alten Führungsprivilegien der traditionellen Patriarchensitze den kirchlichen Gegebenheiten in keiner Weise mehr entsprechen.

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Seit den frühkirchlichen Jahrhunderten, auf deren Kirchenversammlungen die hierarchische Struktur der damaligen römischen Reichskirche festgelegt wurde, verfügen die Ostkirchen in den Patriarchaten von Konstantinopel, Alexandria, Antioehia und Jerusalem über vier Großräume ihrer Administration, aus denen sich bis auf den heutigen Tag weitere elf selbständige National-, Regional- oder Stäatskirchen herausentwickelt haben. Nicht nur deren Zahl, auch ihre Große und Bedeutung ist so stark angewachsen, daß die alten Führungsprivilegien der traditionellen Patriarchensitze den kirchlichen Gegebenheiten in keiner Weise mehr entsprechen.

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Die russische Kirche, die seit 1917 wieder zum Patriarchat erhoben wurde, ist der stärkste Anziehungspol, um die sich neben allen Ostkirchen im kommunistischen Machtbereich noch zahlreiche Jurisdiktionen in Westeuropa, Amerika und Afrika sowie Missionen in Japan, China und Korea scharen. Patriarch Aleksij von Moskau ist zwar erst der Fünfte auf der offiziellen Rangliste der orthodoxen Kirchenführer, doch ist sein Einfluß in der Praxis gleich stark wie jener des Ehrenprimas aller Ostkirchen, des „ökumenischen“ Patriarchen Athenagoras I. von Konstantinopel. Ist die russische Orthodoxie seit dem 19. Jahrhundert bestrebt, die zahlenmäßige Stärke jeder Kirche an die Stelle ihrer hierarchischen Reihenfolge treten zu lassen, so bemühen sich heute die „alten“ Patriarchate, ihre zahlenmäßig minimale Bedeutung durch interorthodoxe und ökumenische Aktivität wettzumachen. Die Verwirklichung der von Moskau angestrebten Neugliederung der orthodoxen Kirchenstruktur würde Konstantinopels Ehrenprimat ap Rußland bringen, das damit seinen langen Traum vom „dritten Rom“ erfüllt sähe. Den zweiten und dritten Platz müßten die rumänischen und jugoslawischen Orthodoxen einnehmen, während Konstantinopel vor Jerusalem an vorletzter Stelle zu stehen käme. Auf der anderen Seite hat sich die einzige außerhalb des kommunistischen Machtbereiches verbliebene orthodoxe Großkirche von Griechenland zum Zentrum der ostmediterranen Jurisdiktionen gemacht, an das neuerdings auch das serbische

Patriarchat von Belgrad Anschluß sucht. Dieses hatte in der Auseinandersetzung mit seinen 1967 abgespaltenen Diözesen im jugoslawischen Mazedonien nur beim griechischen Erzbischof Hieronymos Rückhalt gefunden und arbeitet — parallel zum guten politischen Zusammenhalt zwischen Tito und Papa- dopoulos — seitdem eng mit der Athener Kirchenführung zusammen.

Großgriechisches Patriarchat?

Angesichts dieser Bedrohung ihres Vorrangs durch das „dritte Rom“ der orthodoxen Russen und das von Erzbischof Hieronymos angestrebte groß-griechische Patriarchat aller Jurisdiktionen mit hellenischer Kirchensprache und -tradition haben die altkirchlichen Patriarchate verschiedene Wege eingeschlagen. Das allen Hellenisierungstendenzen und damit auch den jüngsten Athener Plänen abgeneigte arabische Patriarchat von Antiochien lehnt sich mehr und mehr an Moskau an. Zu einem selbständigeren Kurs fehlen ihm die Kräfte, solange der greise Patriarch Theodosios VI. im Libanon in Spitalspflege weilt und seine Funktionen rin Damaskus -vdn? drei recht’ uneinigen Patriarchalvikaren ausgeübt werden.

Das Patriarchat Jerusalem wiederum hat sich voll und ganz den Athener Plänen zur Verfügung gestellt, da es sowohl finanziell wie in Hinblick auf seinen Nachwuchs ganz von Griechenland abhängig ist. Während der von König Hussein wiederholt unternommene Versuch seiner Ara- bisierung nach der israelischen Besetzung des Westjordanlandes vereitelt erscheint, schlägt der ortho-

doxe Erzbischof von Amman, Diodo- ros, einen immer proarabischeren Annäherungskurs an das Patriarchat von Antiochien ein.

Dem seit einem halben Jahrhundert nicht nur dem Namen nach, sondern auch in seiner Aktivität „ökumenischen Patriarchat“ in Istanbul werden von türkischer Seite immer mehr Beschränkungen auferlegt. Was 1964 als Vergeltungsmaßnahme für die Schwierigkeiten der Türken auf Zypern begonnen hatte, ist heute zur systematischen Abwürgung dieses letzten Erben des christlichen Byzanz im Herzen der Türkei geworden. Verlagern sich die Aktivitäten des Patriavehäts von Konstantinopel mehr und mehr nach der ihm unterstellten halbautonomen Kirche von Kreta und in die Kloster- exarchate von Aathos, Patmos und Thessaloniki, so ist sowohl im Patriarchat von Alexandria wie beim Erzbistum von Sinai und Raithu nach der Wahl neuer Kirchenführer im Mai 1968 beziehungsweise Jänner 1969 eine beachtliche Aufwertung ihrer interorthodoxen Stellung und Ausstrahlung festzustellen.

Beide Kirchen haben ihren Schwe-

sterpatriarchaten vor allem die finanzielle Unabhängigkeit von griechischen Zuwendungen wie Moskauer Spenden voraus, die sich im Falle des Sinaierzbistums auf die Wohlhabenheit seiner Köster, beim Patriarchen von Alexandria auf seine reichen Diözesen in Ägypten, dem Sudan und Südafrika gründet. Da beide Jurisdiktionen nur über eine geringe Zahl von Gläubigen verfügen, brauchen sich ihre Patriarchen, Erzbischöfe und Metropoliten nicht mit Seelsorgeangelegenheiten zu überlasten, sondern können ihre ganze Kraft und Fähigkeit der theologischen Arbeit, Reformplänen und öküftienischert Fragön wid’fnön. Während die bisherigen Inhaber des Markus- und Katharinenthrones von dieser Gelegenheit aber kaum Gebrauch machten, sind Patriarch Ni- kolaos VI. Varelopoulos und Erzbischof Gregorios II. Maniatopoulos bereits wiederholt als ostkirchliche Führergestalten hervorgetreten. So hat sich der Abterzbischof des Sinai zum Sprecher der über den römischen Wandel von Johannes XXIII. zu Paul VI. verstimmten Orthodoxen gemacht und bei Gelegenheit der letzten Streichung ostkirchlicher Heiliger aus dem römischen liturgischen Kalender dem päpstlichen Primats- und Unfehlbarkeitsanspruch ein Veto entgegenstellt. Mehr in irenischer Hinsicht hat sich hingegen Patriarch Nikolaos VI. von Alexandria hervorgetan, der bei seinen zahlreichen Reisen zwischen Istanbul, Moskau und Athen ganz entscheidend dazu beitragen konnte, die Spannung zwischen dem russischen und dem griechischen Kirchenblock zu mildem und dem zwischen den Großkirchen eingeengten Athenagoras I. eine Atempause zu verschaffen. Nikolaos VI., der seihst äüs Istanbul stammt, hat’sicli damit alle Voraussetzungen erworben, in die Fußstapfen des großen Einheitsapostels Athenagoras zu treten und dessen Werk zu vollenden. In der Mitte zwischen Athen und Moskau sowie zwischen dem alten und neuen Rom stehend eröffnet sich dem Patriarchat von Alexandria neben seiner bereits in Angriff genommenen missionarischen Aufgabe in Afrika eine ökumenische Sendung, die seiner Bedeutung in frühchristlicher Zeit ebenbürtig ist.

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