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Kostbarkeiten

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Aus der überreichen Fülle der vorhandenen Schätze wurde in der Albertina eine Ausstellung zusammengestellt, die unter dem Titel „Hauptwerke der Handzeichnung und Buchillustration von der Gotik bis zum Barock“ während der Sommermonate zugänglich sein wird. Bekannte und berühmte Blätter finden sich ebenso darunter wie einige Überraschungen seltener Art. Von den italienischen Meistern muß wohl an erster Stelle Michelangelo genannt werden, der mit der „Gruppe mit dem toten Christus", einer seiner schönsten Zeichnungen, und Studien zur „Schlacht bei Cascina“ vertreten ist. Drei der fünf Raffael-Blätter — die Madonnenstudien und die eindringliche „Caritas“ — bestätigen die eminente zeichnerische Kraft des Urbiners. Ein überaus schöner Sebastian beweist, daß Mantegna ein größerer Zeichner als Maler war, während an den beiden Pisanellos die Eleganz der Linien fasziniert. Herrlich ist der Entwurf Ghirlandajos für ein Fresko in Florenz, rhythmisch und räumlich überlegen gegliedert. Der Kopf von Lorenzo di Credi ist ein sehr schönes Blatt, an dessen Qualität der Andrea del Sarto, obwohl besser als seine Bilder, nicht heranreicht. Der Correggio-Entwurf für Parma ist eine historische Kostbarkeit. Die deutschen Meister erreichen selbst in ihren

Spitzenleistungen kaum die urbane plastische Freiheit der Italiener. Die seltene Schongauer-Zeichnung erscheint überarbeitet und verstümmelt — ein Jünglingskopf von H. Holbein dem Älteren, das mit Feder gezeichnete Bildnis der Agnes Dürer und der „Hans Luther“ von Lucas Cranach dem Älteren fallen heraus. Das Knabenselbstbildnis Dürers: „do ich noch ein Kind was“ nimmt noch immer eine hervorragende Stellung in seinem Werk ein, das außerdem mit der reizvollen „Innsbrucker Ansicht von Norden“ und so gemütvollen Standardwerken wie dem „Veilchenstrauß“, dem „Blaurackenflügel“, dem „Reiter“, der „Venezianerin" und Studien für bekannte Bilder und Graphiken repräsentiert ist. Der deutsche Manierismus erscheint in Altdorfer, Baidung Grien und Urs Graf, in Wolf Huber und Augustin Hirschvogel: dem dämonischen Expressionismus nordischen Bürgertums.

Dämonie und Expression können ganz andere Formen annehmen, wie die klassischen Blätter von Bosch beweisen oder die überlegen durchgeformten Zeichnungen Pieter Breughels des Älteren, von dem das berühmte „Maler und Kunstfreund“, „Die großen Fische fressen die kleinen“, die „Desidia" noch von einer hinreißenden Landschaft im Visitkarten- format übertroffen werden. Einige bekannte und schöne Rubens- und Van-Dyck-Zeich- nungen leiten zu Rembrandt über, der durchweg hervorragend vertreten ist. Bei den französischen Meistern fesseln ein Callot, eine Studie von Poussin, eine Baumgruppe von Lorrain, ein sehr schöner Watteau, voll Schmelz und Atmosphäre, ein berühmter Fragonard und ein erstaunlicher François Guerin. Unter der Buchillustration finden wir eine interessante Dante-Ausgabe, die klassisch schön gedruckte „Hypnerotomachia Poliphili“ von Aldus Manutius (haben wir im Buchdruck dazugelernt?), die Dürer-Illustrationen zum „Narrenschiff“, seine „Große Passion, Marienleben und Apokalypse“ in einem Band, seine theoretischen Werke von der Messung und der Proportion. Der Hol- beinsche Totentanz und Holbeins Holzschnitte zum Alten Testament schließen sich an, während uns die Ikonographien berühmter Zeitgenossen van Dyck auch als Stecher zeigen Eine überaus schöne Ausstellung, die wieder die Bedeutung der Albertina als erste Graphiksammlung der Welt beweist.

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