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Alle Völker
„Dem Boten gleich, der nach langer Reise das ihm anvertraute Schreiben überreicht, so haben auch Wir das Bewußtsein, den — wenn auch noch so kurzen — privilegierten Augenblick zu erleben, da sich ein Wunsch, den Wir seit fast 20 Jahrhunderten im Herzen tragen, erfüllt. Ja, Sie wissen es. Seit langem sind Wir unterwegs, Wir sind Träger einer langen Geschichte. Wir feiern hier den Epilog einer mühsamen Pilgerfahrt auf der Suche nach einem Zwiegespräch mit der ganzen Welt, seit dem Tag, da Uns aufgetragen ward: ,Gehet, überbringt allen Nationen die Frohe Botschaft!' Sie vertreten alle Nationen!“
Diese Worte sprach Papst Paul VI. vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Es war eine Rede, wie sie diese Versammlung, wie sie dieses Weltforum wohl noch nie erlebt hat, eine Rede voll Bescheidenheit, voll Würde, aber auch voll Glanz. Es war dieses Papstes bisher größte, vielleicht auch schönste Rede. Dem Inhalt entsprach die Form, der Geist hat das Wort beflügelt. Es war eine johanneische Rede in paulinischer Prägung.
Das, was Mario Galli von Paul VI. bei der Eröffnung der vierten Konzilssession sagte, gilt in besonderem Maße hier: Nichts Zögerndes, nichts Ängstliches, nichts Gehemmtes und Gequältes war an ihm. Ein Glanz ging von ihm aus.
Ein Glanz ging von diesem Papst und von dieser Rede aus, der die diplomatischen und politischen Routiniers der Vereinten Nationen ebenso in seinen Bann schlug wie Millionen in allen Kontinenten, die über Presse, Rundfunk und Fernsehen diese historische Stunde miterlebten, einem Augenblick, der zu einer wahren Sternstunde der Menschheit werden könnte.
Es war der Geist des großen Johannes, den manche oft schmerzlich in seinem Nachfolger zu vermissen meinten, der mit Gewalt von dieser so ganz anders gearteten Persönlichkeit Besitz zu ergreifen schien. Johannes hat das Tor der Kirche in die Welt aufgetan. Das war seine einmalig große Leistung. Paul VI. ist durch dieses Tor in die Welt geschritten. Zögernd, so schien es anfangs, aber immer bewußter und immer freier mit jedem Schritt.
Drei große Reisen hat dieser Papst unternommen. Im Heiligen Land hat er an den Stätten, wo Christus gelebt, gelehrt und gelitten hat, durch den Bruderkuß mit dem Patriarchen Athenagoras die gesamte getrennte Christenheit umarmt, er ist in Indien mit den großen nichtchristlichen Religionen Asiens in Verbindung getreten. Und in New York hat er vor dem größten Forum, vor der größten Organisation, die die Welt heute kennt, gesprochen.
Diese Welt, diese immer mehr eins werdende Welt ist keine christliche Welt mehr. Auch unter den Delegierten der Vereinten Nationen dürften die Christen in der Minderheit sein. Diese Welt ist eine Welt voll Ängsten, Sorgen und Nöten, eine Welt voll Hunger, Haß und Neid, eine Welt also, die nichts mehr bedarf als einer Frohen Botschaft. Der christlichen Botschaft, wenn diese Botschaft eine Botschaft des Dienens, eine Botschaft der Hilfe, eine Botschaft der Liebe und des Friedens ist.
Eine Botschaft des Friedens! Kann die UNO diese Friedensrule, diesen Friedensruf aufnehmen? Hört sie diesen Ruf, vermag sie ihn umzusetzen in eine Friedensaktion? Hat die UNO nicht immer wieder ihre Ohnmacht erwiesen? Manche, auch manche Katholiken, haben gemeint, eine Reise des Papstes zur UNO wäre nicht nur nutzlos, sie wäre auch schädlich, weil sie einer abgewirtschafteten Institution den Anstrich einer moralischen Autorität gebe, die sie schon längst verloren habe.
' Aber nicht nur den Menschen, auch menschlichen Institutionen wird man nur dann gerecht, wenn man sie so sieht, wie sie sein sollen, wenn man über alle Unzulänglichkeiten der Verwirklichung den Plan und den Gedanken sieht, der in ihnen steckt und der ein Plan Gottes, ein Gedanke Gottes sein kann.
Die Vision ist nicht so unreal als manche meinen. Wer ohne sie die Welt betrachtet, ist nicht so weise, wie er glaubt. Hoffnung and Glaube sind größere Realitäten als Fakten. Größer noch Ist die Liebe. Gewiß, diese Liebe wird nicht ausbrechen und auch der Friede nicht. Aber eine Institution, der der Papst gezeigt hat, was sie sein sollte und was sie sein könnte, kann ihre Tagesziele nicht wieder niedriger hängen, muß innehalten, wenn sie wieder in Haß und Aggression, in Mißgunst und Streit zurückzufallen droht. In diesen kurzen Momenten der Besinnung aber müssen die Taten gesetzt werden, die Taten des Friedens. Ein mangelhafter Friede ist besser als ein perfekter Krieg. Eine mangelhafte UNO besser als keine. Wir haben nichts anderes.
Seit bald 2000 Jahren ist die Kirche unterwegs in mühsamer Pilgerfahrt, auf der Suche nach einem Gespräch mit der ganzen Welt. Mit der ganzen Welt, mit allen Völkern! Mit dem Papst ist die Kirche zu dieser Welt gegangen. Dorthin, wo sie sich als eine Gemeinschaft von Völkern organisiert hat, als eine Gemeinschaft aller Völker, denn die Botschaft, die die Kirche zu überbringen hat, deretwegen sie ja da ist, diese Botschaft der Freude, der Liebe und des Friedens ist eine Botschaft an alle Völker!
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