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„Das Tagebuch der Anne Frank”

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Das von Frank Goodrich und Albert Hacket dramatisierte „T agebuch der Anne Frank” führt seit seiner New-Yorker Uraufführung auf Hunderten von Bühnen in allen Ländern zu großen Erfolgen, ln Deutschland lief es im vergangenen Herbst gleichzeitig an neun Bühnen an und wurde bereits von dreißig Theatern übernommen. Man spielte es bei Barlog in Berlin und an den Münchner Kammerspielen (die mit dem Stück im Februar in Bregenz gastierten), man spielt es zur Zeit in Frankfurt, Hannover, Köln, Stuttgart, Bochum, Dortmund, Wiesbaden, Hagen. Bielefeld. — Eine einzigartige, seltsame Erfolgsserie; seltsam genug — und das nicht etwa deshalb, weil sich der Run auf ein Theatererlebnis bezieht, das im strengen Sinn undichterisch, unliterarisch und nur kraft des Stoffes „dramatisch” ist. — Seltsam und unvorhergesehen dieser Siegeslauf eines packenden, quälenden Stückes, in einer Welt, in der man schon so vieles vergessen zu haben scheint, und eben wieder daran ist, die Augen und Ohren zu verschließen, sich von den Lehren der Vergangenheit abzuwenden.

Wohl gibt es Erklärungen; dieses Tagebuch des im Konzentrationslager Bergen-Belsen umgekommenen fünfzehnjährigen Mädchens, diese wahren, tiefempfundenen, rührenden tragischen Zeilen eines an einer unmenschlichen Zeit gereiften Kindes, über die sich der Tod und das Grauen breiten, um mit einem unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen zu Wettstreiten, sind ein erschütterndes Dokument der Verfolgung, aufwühlender Ausdruck des Bangens und der Bitternis, der Hoffnung und des Lebenswillens, der menschlichen Größe wie der menschlichen Schwächen. — Kein Zweifel, daß die Ergriffenheit des Publikums zu einem gewaltigen Teil davon herrührt. Dazu kommt die erregende, beklemmende Szenerie, die Kunst einer aufrüttelnden schöpferischen Dichte, mit der die Autoren Goodrich und Hacket aus einem an sich unliterarischen Entwurf Szenen von großer dramatischer Kraft formten. Die ganze Gewalt des Erlebnisses aber, die das Publikum in einen schmerzhaften Bann zwingt, die so manchen Rezensenten veranlaßte, sich zu weigern, das Stück im üblichen Sinne zu kritisieren, anderen wieder die Frage aufdrängte, ob denn eine Dramatisierung solch eines Vermächtnisses zutiefst menschlicher Sphären überhaupt statthaft Sei, das volle Ausmaß der Erschütterung, die überall dort, wo dieses Buch gelesen und das Stück gespielt wird, eine nahezu globale Welle humanen Bekenntnisses mobilisiert, rührt von dem unmittelbaren, an den Leib gerückten Erlebnis, von der aufwühlenden Authentizität einer Tragödie, deren genauen Hergang, deren Daten, deren Ort wir kennen.

Die Aufführung dieses Requiems im Theater in der Josefstadt ist großartigc Regisseue Karl Guttman ,(der auckdie iraienierungen in Amsterdam. Frankfurt’und Köln schuf), der Bühnenbildner Prof. Otto Niedermoser und ein Ensemble bewunderungswürdiger Gestaltungskraft vollbrachten ein ganz großes theatralisches Ereignis. Vollendet Chariklia Baxevanos als Anne Frank, herrlich Guido Wieland in einer überaus menschlich-tragischen Studie als Dussel, ergreifend Leopold Rudolf, Vilma Degischer, Wolfgang Heben- streith, Gretl Elb, sehr gut Maria Emo, Michael Lenz, Paola Loew, Heribert Aichinger.

Wie blaß, erzwungen, unwahr, spekulativ dagegen ein Stück, das nach einigen Jahren wieder im Park- ring-Theater gezeigt wird; „Gottes Utopia” von Stefan Andres. Damals, 1952, als es erstaufgeführt wurde, bestach eine sehr wirkungsvolle Aufführung mitsamt der damals noch recht eindrucksvollen Ambition der Avantgarde — diesmal legte die sehr schwache, unbeholfene Inszenierung (Jörg Buttler) all die Unechtheit einer unseriösen, wild literarisierenden Effekthascherei bloß: eine marktschreierische Szenenfolge hochtrabender, ausgetüftelter, scheinheiliger Dialoge und unerträglich brutaler Kriegsbildnerei. Die Akteure sind ein roter Spanienkämpfer, der sich vor Gott fürchtet, und ein entsprungener Mönch, der an die Sakramente nicht glaubt (Zeremonien sind dazu da, um einer faulen Phantasie auf die Beine zu helfen); Thema ist eine Art privatreligiöser Ethik, untermalt von Chorälen aus dem Tonband, erläutert von einer Vision, die eine popularisierende Theodizee für zweifelnde Handelsschüler liefert (Gott gab uns eine Blankovollmacht — ein drückendes Scheckheft — es ist eine kitzlige Frage, Christ zu sein). Um ihre Rollen bemühen sich mit viel Stimmaufwand Peter Weihs und Ernst Zeller; eine treffliche Episode liefert Joe Trümmer.

Noch unsinniger, übler und langweilig das Schauspiel „Fortsetzung auf Seite 2” von Michael Clayton Hutton im „Kleinen Theater im Konzerthaus”. Ein Irrer, der in dem Bemühen, eine „quälende Ungewißheit” zu fabrizieren, aber ausschließlich die Lächerlichkeit einer zutiefst unoriginellen „Reißeridee” demonstrierend, zwei Stunden mit einer schußbereiten Pistole dasteht, ist Mittelpunkt eines Stückes, das keines ist — nur eine langatmige, pausenlose Gewaltszene unendlich träge dahinholpernder Sätze über die Schrecken des Krieges und allerlei andere Anklagen, die in diesem Rahmen niemanden erschüttern.

Am Burgtheater sprang mit bewunderungswürdigem Einfühlungsvermögen der Volkstheaterschauspieler Edd Stavjanik als Leonhard („Maria Magdalena”) ein. Das Volkstheater spielt in den Randgemeinden einen (weiß Gott warum) biedermeierisch verkleideten Shakespeare: „Was ihr wollt” in einer Inszenierung, Gustav Mankers. Ausgezeichnet,urtuSoT/ winetz, sehr gut Walter Kehut, Hilde Sochor,-Ludwig Blahav Oskar’Wegrostek.

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