Der ganz normale Büroalltag

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In ihrem Buch "Totreden" widmet sich Margit Hahn den Büromenschen von heute und deren täglichen Mühen. Amüsante Erzählungen mit Blick hinter die Kulissen, wo es sich gar nicht so amüsant lebt.

Würde man die Literatur der letzten Jahrzehnte nach den Berufen ihrer Hauptfiguren untersuchen, ergäbe sich daraus wohl kein besonders repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt. Denn ein großer Teil der Österreicher arbeitet eben doch nicht als Journalist, Schriftsteller oder Literaturwissenschaftler, sondern irgendwo in einem Büro. Das tun literarische Figuren seltener, und wenn doch, erfahren wir meist wenig über ihre Tätigkeit und ihr Arbeitsumfeld. Es ist fast, als ob mit dem Begriff "Literatur der Arbeitswelt", dem das heute tödliche Etikett "veraltet" angehängt wurde, auch das Thema abgehakt und in die "verteilungspolitische Mottenkiste der 70er Jahre" - so der Originalton eines österreichischen Ministers - gelegt worden wäre.

Blick auf die Lücke

Margit Hahn richtet den Blick genau auf diese thematische Lücke und verpackt in ihre satirischen Ambienteporträts genaue sozialpolitische Befunde über den Zustand unserer Arbeitswelt. "Totreden" ist eine Sammlung von zum Teil raffiniert miteinander verknüpften Erzählungen über Menschen im Büro, und den Generalbass bildet die radikale Veränderung der Arbeitsverhältnisse im Zeichen des global wütenden Furors von Outsourcing, Restrukturieren und Gesundschrumpfen. Wo Konzepte, Unternehmensziele, Sparpotentiale in einem fort umformuliert, neu definiert oder abgestimmt werden, bilden sich schwer durchschaubare, ständig wechselnde Konstellationen von Gruppen-, Sektions-und Sachgebietsleitern; über Nacht kann sich alles wieder ändern, und neue Herausforderungen lachen den Gekündigten wie den noch nicht Gekündigten entgegen. Auch wenn Margit Hahn die Bürogebäude nicht beschreibt, man darf sie sich als zeitgemäße Glaspaläste vorstellen, bei denen die Transparenz der Architektur die Undurchschaubarkeit der Konzernstrategien und Geldflüsse so anschaulich umhüllt. Die Sprache, in der die Figuren ihre Intrigen, Ängste und Strategien formulieren, wiederum zeigt die flächendeckenden Verheerungen, die der in der Alltagssprache gesunkene Psychotherapeuten-Jargon hinterlassen hat. Wer bringt sich heute nicht ein oder hat sich vom letzten Psychokurs nicht wenigstens die Zauberformel "Es geht mir gut" gemerkt?

Opfer um Opfer

Umstrukturierungen fordern immer Opfer im doppelten Wortsinn. Es gibt die, die auf den Abbaulisten stehen, und es gibt die, die nicht darauf stehen, aber eben nur noch nicht und also Opfer bringen müssen, damit das auch so bleibe. Strategisch denken heißt die Devise und das beginnt weniger bei Vertriebsplänen oder Produktpräsentationen denn in der Kantine. Wer sitzt mit wem beim Mittagessen zusammen? Lache ich laut genug, dass alle sehen, wie entspannt ich bin, obwohl alle wissen, dass X an meinem Stuhl sägt? Kann ich mich mir den Braten genehmigen oder muss ich ernährungsbewusst Flagge zeigen und den Gemüseteller bestellen?

Beispielhafte Schicksale

Wie Fallbeispiele rollt Margit Hahn die Schicksale auf, mitunter begegnen wir den Figuren in späteren Erzählungen wieder, die die Ereignisse, Kämpfe und Intrigen aus einer anderen Perspektive zeigen oder weiterspinnen; manche der Zusammenhänge fallen erst beim zweiten Lesen auf. Eingerahmt wird der Band von zwei Erzählungen über eine Bekanntschaft von der Online Single-Börse. Jan aus der ersten Erzählung ist der erfolgreiche, aggressivangriffslustige Erfolgsmensch; der Jan der letzten Erzählung ist gerade selbst einer Umstrukturierungsmaßnahme zum Opfer gefallen, und damit fällt auch recht viel von seiner stählernen Strahlkraft weg. Sympathisch sind sie beide nicht - und in diesem Punkt ist Margit Hahn ihren früheren Interessen treu geblieben: Ihre Geschichten enthalten immer auch lustvoll ausagierte Kommentare zum Verhältnis der Geschlechter, bei denen typisches Männer-wie Frauenverhalten recht gnadenlos zerzaust wird. Ihre Frauenfiguren sind jedenfalls bekennende Sinnenmenschen, sie wollen alles, nur keine Männersprüche.

Doch im Alltag sind die Geschlechterrollen durchlässiger geworden, auch im Büro, sogar in den höheren Etagen, und das thematisieren Hahns Geschichten ganz bewusst. Ob der Vorgesetzte, der die Kündigung ausspricht, eine Frau oder ein Mann ist, ändert tatsächlich wenig am Faktum und meist auch wenig am Vorgang.

Satirische Erzählwelt

Auch in den Reaktionsweisen ist vieles dabei, sich tendenziell anzugleichen. Es gibt in den Erzählungen nicht nur den gekündigten Mitarbeiter, der das Brotmesser gegen die verhasste Vorgesetzte erhebt und zusticht; bei Margit Hahn darf die tüchtige Assistentin kühl kalkulierend ihren selbstgefälligen Chef ermorden, um gelassen seine Nachfolge anzutreten. Oder die tüchtige Frau im Hintergrund wechselt, von ihrem Chef vor die Tür gesetzt, in die Chefetage einen Stock darüber und betreibt zielstrebig und erfolgreich seinen Sturz. Und diese Racheakte dürfen in Hahns satirischen Erzählwelten alle gelingen. Überraschend schlecht schneiden die Betriebsräte ab; sie helfen nie, widmen sich recht absurden "Verbesserungen" für die Mitarbeiter wie der Aktion Rosenquarz für jeden Schreibtisch, oder sind einfach korrumpiert, das "gute Einvernehmen" mit der Firmenleitung will nicht zerstört sein.

Pointierte Sprache

Durchlässig sind die Geschlechterrollen auch insofern geworden, als das Diktat des einnehmenden Äußeren inklusive dynamischer Jugendlichkeit keineswegs nur mehr für Frauen gilt. Gepflegte Kleidung, dazu gesunde Bräune, Waschbrettbauch und sonstige nachprüfbare Fitnessstudio-Effekte, das sind die musts für ihn. Fitness-, Jugendlichkeits-und Gesundheitswahn haben längst genderübergreifend ein Terrorsystem über die Leiber und Gemüter der Menschen errichtet. Zu alt kann Mann wie Frau schon mit vierzig sein, und erhöhte Cholesterinwerte gilt es ebenso sorgfältig zu verbergen wie Eheprobleme.

Alle diese Analysen baut Margit Hahn in ihre amüsanten Erzählungen ein und verpackt sie in eine verknappte, pointierte Sprache. "Er hat Sex-Appeal. Ich habe Urlaub", das ist sozusagen schon die ganze Geschichte von der Managergattin und dem Hausarbeiter ihres Schönheitshotels. Erotik und Macht gehen gerne eine Allianz ein, aber eben nicht nur.

TOTREDEN

Erzählungen

Von Margit Hahn

Skarabaeus, Innsbruck 2006

187 Seiten, geb., e 20,50

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