6775407-1969_20_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Guten sterben nicht...

19451960198020002020

Friedrich Funder starb zu Pfingsten, im Morgengrauen des 19. Mai 1959, also vor zehn Jahren. An seinem Grabe trauerten Freunde und Mitarbeiter und senkten die erbittertsten noch lebenden politischen Gegner den Degen. War er tot? „Sag nicht, daß die Guten sterben“, meinten die alten Griechen.

19451960198020002020

Friedrich Funder starb zu Pfingsten, im Morgengrauen des 19. Mai 1959, also vor zehn Jahren. An seinem Grabe trauerten Freunde und Mitarbeiter und senkten die erbittertsten noch lebenden politischen Gegner den Degen. War er tot? „Sag nicht, daß die Guten sterben“, meinten die alten Griechen.

Werbung
Werbung
Werbung

Als. Friedrich Funder im Jahre 1945 aus seinem Exil in Baden wieder nach Wien zog, hatte er schon, 73 Jahre alt, hinter sich, was man gemeiniglich ein erfülltes Leben nennt: auf Theologie, Jus und einer mehr als liebhaberischen Neigung zur bildenden Kunst (weniger zu Musik, Theater und Film) hatte er eine wohlfundierte geistig universale Tätigkeit als politischer Journalist aufgebaut. Dreimal hatte ein hartes Schicksal vergeblich versucht, ihn aus der Bahn zu werfen: 1914, als er mit Erzherzog Franz Ferdinand den künftigen Herrscher des geplanten trialistischen 'Kaiserreiches und damit ein ihm fest zugesagtes hohes Amt verlor; 1918, als das großräumige Reich in die kleinräu-mige Republik glitt und ein totales politisches Umdenken erforderte, und 1938, als das kleine Österreich von der Landkarte zu verschwinden und Männer wie Funder endgültig mit in den Abgrund zu reißen schien. Und doch ließen die Jahre 1938—1945 in Friedrich Funders „erfülltem Leben“ erst reifen, was seine Lebensarbeit krönen sollte: die Gründung der „Furche“ und zwei geistig souveräne, bei allem kämpferischen Temperament gelassene, gereifte, versöhnliche politische Memoirenbücher.

Es. gibt zwei Lesarten, die diesen letzten Lebensabschnitt Funders und die gänzlich gewandelte Art seiner unmilitanten Federführung erklären wollen.

Die eine besagt, daß die österreichische Politik unter dem Druck der Besatzungsmächte den exponierten Männern der autoritären Staatsära 1933—1938 die Wiederkehr auf Schlüsselstellungen verwehrte, Doktor Funder also gleichsam aus der Not eine Tugend gemacht und nolens volens statt einer Tageszeitung das Wochenblatt „Die Furche“ gegründet habe.

Dem widersprechen (zweite Version) heute noch lebende Mitbegründer der „Furche“. Sie erinnern sich genau, wie Dr. Funder bei allen vorbereitenden Aussprachen über die Gründung des neuen Blattes mit fixfertigen Konturen und Konzepten der neuen Zeitung aufwartete, die sich wesentlich vom Stil der alten „Reichspost“, aber auch von der durch den politischen Alltag wieder bestimmten Streitlust einer Tageszeitung Anno 1945 unterschieden. Wenn also auch die erste Lesart nicht gänzlich auszuschließen ist, scheint doch das Entscheidende gewesen zu sein, daß Dr. Funder einerseits durch die Tuchfühlung mit sozialistischen Schicksals- und Leid-gefährten das gemeinsame österreichische über das trennende Politische und Weltanschauliche zu stellen? gelernt, anderseits aus echt christlichem Geiste nicht nur den nationalsozialistischen Peinigern längst verziehen hatte, sondern 1945/46 die kleinen Mitläufer der unseligen Bewegung zu gemeinsamem Wiederaufbau aufrief und sie gegen die Härten eines von den Besatzungsmächten erzwungenen Gesetzes in vielbemerkten, ja aufsehenerregenden Leitaufsätzen in Schutz zu nehmen versuchte. Der „Furche“ wird heute manchmal vorgeworfen, sie habe das von Friedrich Funder in zwei bedeutenden Dokumentationen (Leitaufsatz der Nr. 1 der „Furche“ und Dr. Funders Testament), die wir seither1 mehrmals abgedruckt haben, grundgelegte Gesetz der Toleranz (nach links und rechts) verlassen. .

Dazu ist zu sagen: Allgemein ist rr hüben und drüben — in den politischen Diskussions- und Kampfstil wieder eine gewisse Härte eingebrochen. Mit dem Quadrate der Entfernung (sozusagen) von der Not- und Todgemeinschaft in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches und den unmittelbar folgenden Jahren sind auch die Duldsamkeit und das Verstehen von Mensch zu Mensch allgemein geringer geworden. Das ist tief zu bedauern, aber eine harte, menschlich verständliche Tatsache. Es bleibt eine Verpflichtung für die „Furche“, auf deren einflußreichen Posten noch Freunde und Mitarbeiter Friedrich Funders amtieren, diese zeitdiktierte Deklination vom ver sacrum der ersten Nachkriegsjahre immer wieder auf ein Mindestmaß herabzudrücken und die persönliche Achtung des Gegners bei allen sachlichen Kontroversen hochzuhalten.

Ein großes Mißverständnis beinhaltet der Vorwurf von rechts, die „Furche“ sei Friedrich Funders verzeihenden und versöhnenden Haltung „gegenüber dem Nationalsozialismus“ untreu geworden. Hier wird dem großen alten Manne etwas unterschoben, was nie in seiner Absicht lag. Friedrich Funders flammende Aufrufe zugunsten der „Min-derbelasteten“ galten den vielen, die genötigt oder gutgläubig in die Bewegung hineingeschlittert und dabei saubere, integre Menschen geblieben waren. Sie zu ermutigen, in das neue, geeinte Österreich wieder einzutreten, schien Dr. Funder eine ernste Pflicht.

Ältere und jüngere im Hause Herold Tätige sind zutiefst davon überzeugt, daß Friedrich Funders guter Geist noch immer unter uns ist. In der äußerlich stark mit der Zeit gewandelten „Furche“ tauchen noch heute Gedanken und Formulierungen auf, die von ihm stammen könnten. Die schmucklose, immer aber verständliche und ins Schwarze treffende Prosa seines Stils hat fast eine Schule Dutzender Schüler gegründet, ja vielleicht eine ganze Journalistengeneration mitgeprägt. Über sein Lieblings- und Sorgenkind „Die Furche“ scheint er bis heute seine schützende Hand zu halten. Und so würde sich niemand von uns wundern, wenn einmal in seinem Arbeitszimmer, das noch heute unbesetzt ist, wie einst um Mitternacht Licht brennte und eine nimmermüde Feder am Arbeitstische schriebe, wetterte, schützte, liebte — Sag nicht, daß die Guten sterben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung