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Heilkraft der Freude

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Wenn man diesen und jenen unvermittelt fragt: „Was macht dir am meisten Freude?“, nimmt man zunächst verwundertes Schweigen wahr, dann lächelndes Kopfschütteln, manchmal wird eine harmlose Liebhaberei oder ein mehr minder edler Zeitvertreib angegeben und sehr oft folgt die zögernde Antwort: „Eigentlich nichts.“

Eigentlich freut uns nichts. Wir gehören einer Generation an, die innerlich nicht beschwingt ist, die sich nicht wahrhaft freuen kann, weil sie ihrer selbst nicht froh zu werden vermag. Sie findet beim Blick in sich selbst kein Bild, das des Betrachtens verlohne. Dem modernen Menschen fehlt der ruhende Pol in sich selbst, das Glück zu sich selber zu kommen, denn er kennt seine Bestimmung nicht, weiß nicht um den Sinn des Lebens, um den Weg zur Erfüllung dieses Sinnes. Seinen Lebenssinn verwirklichen heißt sich vollenden. Der Ausgangspunkt hiefür ist das rechte Sein; die Linie, die zur Vollendung führt, das rechte Tun. Wer sich auf dieser Linie bewegt, empfindet darüber Befriedigung. Er nähert sich dem Zustand der Glückseligkeit und erlebt diese Annäherung in einem Gefühl der Freude.

Wir haben allerdings mit unseren ver-taubten Herzen und unserer ausgebombten Phantasie wenig Verständnis für den Inhalt von Glückseligkeit. Wir halten es für verstiegen, aus unseren Verhältnissen in welche Glückseligkeit auch immer langen zu wollen. Wenn wir überhaupt einen

Glauben haben, dann Ist es einer an das “unvermeidbare Verhängnis und nicht an die Verklärung. Wir bezweifeln wahrscheinlich, daß es überhaupt ein erstrebenswertes Ziel gebe.

In der Prägung einer Zeit läßt sich der Abguß der Seelenhaltung der Menschen dieser Zeit finden, so daß die einzelnen Ereignisse ihre letzte Deutung nur vom Wesen der Menschen her erfahren, die diese Ereignisse heraufbeschwören. Die Abwertung im wirtschaftlichen Bereich ist die Photographie unseres Selbst, das sich abgewertet hat, indem ihm das Wissen um den Eigenwert verlorengegangen ist.-

Verloren ging damit das zutiefst Menschliche: die Freude. Denn sie ist das erhebende Gefühl von eigenem Wert, und zwar vornehmlich von dem der sittlichen Leistung. Etwas Gutes zu wollen, ist das menschenwürdigste, der menschlichen Anlage entsprechendste Streben. Das sie begleitende Gefühl ist Freude. Dieses Erlebnis kommt durch die Erkenntnis zustande, daß hier etwas gesetzt wird oder schon da ist, das einer bestehenden Ordnung entspricht. Der unverdorbene Mensch trägt die Sehnsucht in sich, in diese das sinnliche Dasein überhöhende Ordnung eingefügt zu werden. Seine dahinzielenden Bemühungen bereiten ihm letzten Endes Freude.

Die innere Auflösung des vergangenen Jahrzwölfts ist darum so tiefgreifend und wird so schmerzlich spürbar, weil sie in die feinsten seelischen Wurzeln einzudringen vermochte. Sie tötete die Freude. Denn der Nationalsozialismus zerschlug das Wertstreben, die Uberwindung des Ich um des Du willen, die Anspannung aller Kräfte — aus Liebe. Gerade das Wirken über sidi hinaus in persönlicher Hingabe an eine edle Sache löst Freude aus; das ist die Geisteshaltung, die den Menschen zu sich selber kommen, an seinem Opfer aufblühen und in seinem Tun fruchtbar werden läßt.

Das vergangene Regime verstand es zwar meisterhaft, die Kraft des einzelnen zu steigern, ja zu übersteigern, die persönliche Hingabe in einen Blutrausch zu stoßen, der* Widerstände tierhaft zusammenreißen konnte. Aus der hypnotisierten Anspannung aller wurde der Koloß des volkhaften Uber-Ich, das nicht liebte, sondern haßte. Hier liegt die Wurzel des Niederganges.

Die stille Freude, etwas unsichtbar Geistiges, erstarb unter dem gierigen Lodern der Lust eines Größenwahnes, wie ihn die Geschidite nicht oft zu verzeidinen hat. Die kleinen Geister stürzten aus dieser Lust eines allgemeinen Lebensdranges in die vorgezeichnete Lust des Geschlechtes, die keine Freude kennt, sondern nur Fron im Dienste des Triebes. Die Schwächeren, Feigeren, Unbestimmteren ließen ihren Hunger nach Glück in die breite Fläche schaler Vergnügungen einfließen, die die suchende Seele des Mensdien aufsaugen, ohne etwas wirklich Beglückendes und Freudenvolles zu hinterlassen.

Die böse Vergangenheit, die die Freude getötet hat, ist zwar zusammengebrochen. Noch aber sind nicht die giftigen Nachbildungen der Freude, Lustbefriedigung und Vergnügungssucht von uns gewichen. Denn immer noch jagen wir Scheinwerten nach. Immer noch nehmen uns die Ansprüche des Egoismus zum Schaden des Du in die Zange. Immer noch halten wir es für eine unverbindliche Märchenbotschaft, daß das Ruhen in einem Werte, der um seiner selbst willen geliebt werden muß, die Aufgipfelung des menschlichen Daseins vorstellt. Mit diesem Lebensziel wäre die Höchstform der Freude wirklich erreicht.

Einmal vor langer Zeit hat wohl die meisten Menschen ein Widersdiein solcher Freude gestreift. Das war in dem Augenblick, als zum ersten Male die Schwelle der Kindheit überschritten, als zum ersten Male der andere Mensch erkannt worden war. Die feinen Saiten der Tiefe erklingen zum ersten Male, wenn das wunderbarste aller Geschenke begriffen wird: die Begegnung mit dem anderen Menschen. Der junge Mensch erzittert unter der Klangfülle einer anderen Welt, er spiegelt zum ersten Male seine blasse, kleine Sehnsucht in der Farbenpracht einer anderen Seele und zum ersten Male wird er vom Zauber geist-durchformten Geschlechtes umgriffen. Auf einmal rollt vor seiner Phantasie, die ihm bisher nur das eine oder andere Bild in schwachen Umrissen zeigte, ein unendlich scheinendes Filmband sich überstürzender Szenen ab, auf einmal wächst die fremde Leere in ihm selbst und wird zu einer reichen Einsamkeit. Auf einmal weiß der junge Mensch, dem es schwer war, Worte zu Sätzen zu formen, daß die Sprache das Instrament seiner Seele ist. Und so formt er Satz um Satz, erst kantig und unbeholfen im Tagebuch, das niemand liest. Dann fließen die sich drängenden Gedanken zum Briefe, den er wieder zerreißt, bis er doch zur Mitteilung an den anderen Menschen wird. Während er das Geschriebene schamhaft und verwundert überliest, wird es ihm klar, daß das, was er denkt und fühlt und erstrebt, nicht er selber ist, sondern etwas unendlich Gutes, das an dem anderen und an den anderen und für die anderen geschehen soll. Durch die eine einzige Gestalt, die sich aus der Schar der vielen löste, um dem Jugendlichen das Erlebnis des Menschen zu bieten, läßt er seine Sehnsucht nach Vollendung durchgehen wie den Sonnenstrahl durch das Prisma. Einen Augenblick lang wird diese Sehnsucht in dem Menschen zusammengehalten, dann zerlegt sie sich in die vielen ins Unendliche strebenden Sehnsüchte des Menschen, die ihr Ziel noch nicht kennen, aber das tiefe unvergeßliche Erlebnis der Freude bringen.

Der Mensch wandert auf den Straßen des Lebens weiter. Die Begegnung mit dem inderen Menschen hat ihn gelehrt, daß er allein wenig bedeute und daß er sich selbst mit der Tat erweise; auch erhöhe. Er hat vielleicht dies und jenes versucht und keine rechte Befriedigung gefunden, bis ihn eines Tages eine Arbeit doch mehr als die vorhergehende zu fesseln vermag. Da ist ihm die Beziehung zwischen Werkschaffen und Wertschaffen aufgegangen. Warum bereitet die gleiche Arbeit in diesem Betrieb mehr Freude als in jenem? Der Zusammenschluß der Mensdien ist ein anderer. Die Gemeinschaft ist lebendig, die das Werk gutheißt. Dieses selbst reicht weit hinaus über den Ertrag, den es dem Betrieb einbringt. Es sdiafft einem größeren Kreise von Menschen Nutzen, Erleichterung der Lebenshaltung. Doch wir haben den Satz vom Gemeinnutz, der vor den Eigennutz gehe, allzuoft gehört, und damals hatte er keinen guten Klang. Er erfüllte uns mit Erbitterung und keineswegs mit Freude. Denn die Menschen wurden nicht durch das sanfte Band der Liebe •zusammengehalten, sondern ineinandergepaßt durch den eisernen Reifen der Gewalt.

Wir sind heute vielleicht auch noch weit entfernt davon, an unseren Arbeitsplätzen ■n Liebesgemeinsdiaften gestellt zu sein, und ■chwerlidi wird uns Schillers berühmtes I ied an die Freude mit seinem überschweng-Jidien: „Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuß der ganzen Welt!“ ein Herzensbedürfnis bedeuten. Der Mensch kann sich weder im Aufsdiwung der ersten Liebe halten, noch vermag er im harten Muß einer notbedingten Arbeit eine innere Berufung zu sehen, an die er sein ganzes Ich hinzugeben imstande wäre.

Doch eines vermag er: Aus der unstillbaren Sehnsucht nach Glück, Frieden, Sicherheit, Ruhe und der Gemeinschaft der Notleidenden, die die Menschheit der Welt heute darstellt, kann er gewisse Schlüsse ziehen. Das Verlangen nach Glück, nach Freude, ist genau so wirklich wie der Mangel daran. Die tiefe Freude, die die Liebe zwischen zwei Mensdien auslöst, die Freude an einer Arbeit, die einem „liegt“, sind für jeden Menschen vorstellbar, auch wenn ihm selbst vielleicht nicht das Glück vergönnt ist, das eine oder das andere zu erleben. Hier sind zweifellos Wirklichkeiten, die dem mensdilichen Sein angehören.

Auf der anderen Seite brauchen wir keinem Menschen zu beweisen, daß Leid vnd Leiden auch Wirklichkeiten sind, die 'em menschlichen Sein ebensosehr zugehören.

Das menschliche Leben schwingt zwischen den uralten Erfahrungen der Freude und des Leides, die beide in ihrer abgründigen Unauflösbarkeit über den begrenzten Mensdien hinausweisen. Wir sagten im Anfang, daß das Streben nach Vollendung, nach Harmonie einem jeden Glücksempfinden, aller Freude innewohne. Die Freude ist im tiefsten das Gefühl dafür, daß es Unendlichkeit, daß es Ewigkeit gebe. Freude wird dann zur Heilkraft, wenn sie aus dem Endlichen, das der Mensch, das Werk, die menschliche Gemeinschaft darstellt, zum Unendlichen, zum Ewigen, zu' Gott selbst vorstößt. Immer noch ist die Freude am menschlichen Du und menschlichen Werk doch eine Freude an sich selbst und die Liebe, die diesen Kreis umschließt, bleibt eine Liebe, die sich erschöpft, verbraucht. Jeder Aufschwung, der die greifbare Welt nicht überfliegen kann, fällt schließlich in sich selbst zusammen und begräbt die Freude in der Asche des Leides.

Die Notgemeinschaft der Menschen von heute mußte entstehen, weil die Menschen der vergangenen Jahrzehnte, der vergangenen Jahrhunderte, eingemauert in ihre Entdeckungen und Erfindungen, nicht mehr zu dem zu finden imstande waren, der diese Entdeckungen und Erfindungen überhaupt erst ermöglichte. So wandelte sich die echte Freude, deren Ursprung und Ziel außerhalb des Mensdien, jenseits seiner Grenzen liegen, in eine rauschhafte Betäubung, die Uberspannung des Selbstgefühls, krankhafte Machtgier und einen Zwang, das eigene Ich unentwegt zu bestätigen, gezeitigt haben.

Echte Freude weist über das Selbst hinaus, überschreitet die Enge eigengerichteter Vorurteile und fliegt in das Licht der Ewigkeit. Dieser Freude vermag sich ein jeder zu verbinden, der „guten Willens“ ist, sie überdauert die erste Liebe, sie liegt nicht im Zweck der jeweiligen Arbeit, sondern in ihrem Sinn, und sie meint nicht irgendeine gedachte, nicht bestehende Gemeinschaft, sondern die wahre Verbundenheit der Menschen, die Kinder des ewigen Vaters sind.

Keine Zeit war so bedürftig, aber auch so reich an Freude wie die unsere. Denn das

Wesen der Freude besteht darin, aus dem Verschweben eines Lädielns, dem Aufblühen eines Wortes, der Drangabe eines Dinge« die Brüdte zum anderen Menschen zu schlagen.

Wie schwer es für den Menschen ist, aus einem bloßen Entschluß heraus das Rechte zu tun, aus dem Drängen einer geistigen Sehnsucht allein den höchsten Wert zu lieben und die echte Freude zu suchen, hat der unendlich weise Gott gewußt. So schenkte er den Menschen Weihnachten und damit die in Raum und Zeit gesenkte Geburt der Freude.

Wenn in der heiligsten Nacht die Glocken erklingen, wenn in der Mitternachtsmesse der Gesang aufbricht: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“, so kommt zu dem, der „guten Willens“ ist, die lebendigste Freude, um ihn zu erfüllen und zu verwandeln, und er wird die Heilkraft der Freude nicht nur an sich selbst beglückt erfahren, sondern sie auch an andere Menschen weitergeben dürfen.

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