6627257-1956_16_06.jpg
Digital In Arbeit

Schatzgraber mit Dynamit

Werbung
Werbung
Werbung

Die Nachricht von der großen Polizeiaktion,, an der die Karabinieri von Ladispoli, Cerveteri und Fiumicino beteiligt waren und die sich gegen geheime Schatzgräber in der Zone von Cerveteri, der etruskischen Gräberstadt einige Dutzend Kilometer nördlich von Rom, richtete, ist noch nicht alt. Die Schätze, nach denen unberufene Hände zur Nachtzeit die Erde durchwühlten, sind archäologisches Material von immensem, nicht nur wissenschaftlichem Wert: Amphoren, Fibeln, Teller, Münzen, Terrakottafiguren, wie sie das geheimnisvolle Volk der Etrusker ihren Toten ins Grab mitzugeben pflegte, damit diese auch im dunklen Orkus durch Besitz und die gewohnten Bequemlichkeiten des irdischen Daseins erfreut würden. Die Schatzgräber waren, wie immer in solchen Fällen, Bauern aus der Umgebung, und der Hergang ist so typisch, daß er erzählt zu werden verdient.

Das staatliche Institut für die schönen Künste in Rom hat letzthin durch seine „Informatoren“ Nachricht erhalten, daß auf dem Antiquitätenmarkt neuerlich wertvolles etruskisches Material zweifelhafter Herkunft aufgetaucht war. Verschiedene Indizien deuteten darauf hin, daß sie aus der Gegend von Cerveteri stammen dürften. Die Polizei wurde verständigt, und bald tauchte dort ein ausländischer Professor auf, dessen würdiger Vollbart und stahlumrandeten Brillen an Emil Jannings im „Blauen Engel“ erinnerten. Er befand sich in Begleitung eines jungen Studenten der Kunstgeschichte, seinem Neffen, der leise, aber doch laut genug herumerzählte, sein Onkel wünsche etruskische Grabbeigaben zu kaufen und sei auch bereit, sie hoch zu bezahlen. Das Gerücht machte die Runde, und die Wirkung blieb nicht aus. Es gelang, den Kontakt mit den Grabplünderern herzustellen, ein Koffer voll Banknotenbündel tat seine Wirkung, und in der Nacht, da das Geschäft getätigt werden sollte, machten die Karabinieri der Komödie ein Ende. Es gab einige Verhaftungen und Anzeigen. Bei den Hausdurchsuchungen kam weiteres Material zutage und eine große Menge Tritol. Und das ist das traurigste an der Geschichte, denn es zeigt, daß die Plünderer skrupellos genug sind, die neuentdeckten und den Behörden noch unbekannten Gräber mit Sprengstoff zu öffnen. Zu welchem Schaden für die Funde und die Wissenschaft liegt auf der Hand.

Von einer ähnlichen Polizeiaktion größeren LImfangs hat man im vergangenen November aus der Zone von Tarquinia gehört, und vor nicht langer Zeit beklagte sich der Direktor des Museums von Ferrara, Professor Nereo Alfieri, bitter über das Diebsvolk in der Gegend von Spina. Spina, von dem endlich die Gräberstadt aufgefunden werden konnte, war eine der nördlichsten Städte der Etrusker. Sie liegt am unteren Po, im Sumpfland, und die Finanzwache ist dort zu einem zermürbenden, aufopferungsvollen Dienst gezwungen. In dem trockengelegten Tale Pegna dürften sich schätzungsweise noch an die zweihundert ungeöffnete Gräber befinden. Ein Wettlauf zwischen den Archäologen und den Dieben hat dort eingesetzt. Ceram könnte ein neues Kapitel seinem Roman der Archäologie beifügen. Ein Gebiet von 3200 Hektar muß Tag und Nacht überwacht werden. Dabei ist es nicht möglich, die Zone einfach abzuriegein, denn sie ist Kulturland, das der Bestellung nicht entzogen werden darf.

Giuseppe Lugli, einer der höchsten Beamten der staatlichen Aufsichtsbehörde für Kunstdenkmäler und Altertümer in Rom und selbst namhafter Wissenschaftler, machte kürzlich folgende resignierte Feststellung: „In der ganzen Provinz Viterbo existiert ein dichtes Netz von heimlichen Gräberforschern, die nachts oder auch bei Tage, einzeln oder auch in Gemeinschaft, nach präzisen Richtlinien, sowohl was die Grabungen wie was den Verkauf anlangt, ihrem Gewerbe nachgehen. Praktisch sind alle Bauern der Provinz dabei; es genügt, daß der Pflug eine Tonscherbe zum Licht bringt, und schon wird der Ort in eine Grabstelle verwandelt. Nicht selten gelingt es ihnen, ein unversehrtes Grab zu finden, und dann tauchen bald Gegenstände von beträchtlichem Wert in Rom und Florenz auf.“ Am meisten verdienen freilich die Hehler daran: die Gegenstände wandern von Hand zu Hand und ihr Preis steigt iri geometrischer Reihe. Die Museen in Amerika sind seit dem Kriegsende in erstaunlicher Weise mit etruskischen Gräberfunden bereichert worden.

In weiten Gebieten Italiens ist die Gräber-p'ünderung ein traditionelles Uebel, eine durch Generationen weitervererbte Leidenschaft wie die Wilddieberei, mit dem Unterschied, daß hier zur sportlichen Passion des Suchens und Ent-deckens noch ein erheblicher Gewinn winkt. Die Bauern wissen nichts von den modernen Methoden der Archäologie, von den Sondie-riingsgrabungen, von elektromagnetischen Instrumenten, chemischen Analysen, Photogram-metrie, geoseismischer Methode, llltraschall-wellen, Explorierung vom Flugzeug aus. Aber sie verfügen über einen sicheren Instinkt und eine unglaubliche Beobachtungsgabe. Eine ab*-gegrenzte Stelle dichterer Vegetation ist für sie bereits ein untrügliches Anzeichen, Sie kommen zu Ergebnissen, die den Fachleuten fabelhaft erscheinen. Aber Haue und Spaten vernichten mehr, als sie zutage bringen. „Andare alle tombe“ ist im nördlichen Latium ein stehender Begriff: „Zu den Gräber gehen“, das wird so gesagt, als würde-man auf die Jagd oder fischen gehen wollen.

Laut italienischem^ Gesetz gehört dem Staat alles, was sich tiefer als vierzig Zentimeter unter der Erdoberfläche befindet. Doch das Gesetz ist eine Sache und die Praxis eine andere. Giuseppe Lugli rät daher, die Bauern davon zu überzeugen, daß der Staat auch zu zahlen bereit sei, sogar gut für die Dinge zahlen will, die sie „zufällig“ bei ihrer Feldarbeit gefunden haben, und das ohne bürokratische Verzögerungen und ohne viel nachzufragen.' Auf diese Weise ist vor Jahren eine einzigartige Entdeckung geglückt. Am Monte Circeo, hundert Kilometer südlich von Rom, wohin die Legende den Aufenthalt der Zauberin Circe verlegt, soll ein Hirte, den Gerüchten nach, einen schönen marmornen Frauenkopf gefunden haben, nicht weit von dem Tempel der Göttin entfernt. Alle Wege, in den Besitz des Fundes zu gelangen, schlugen fehl. Erst als dem Finder eine größere Prämie in Aussicht gestellt und die Versicher rung gegeben wurde, daß keine Rechtfertigung verlangt würde, tauchte der Kopf auf: Es war wirklich jener der Göttin, ein wunderbares Werk aus der ersten Kaiserzeit. Der Fund befindet sich heute im Thermenmuseum in Rom,.

Auch in jüngster Zeit haben die „wilden“ Grabungen einen Erfolg zu verzeichnen, nach dem die offizielle Wissenschaft jahrzehntelang vergeblich gestrebt hatte: die Entdeckung der antiken Stadt Lucus Feroniae, achtzehn Kilometer vor Rom an der Via Tiberina. Auch hier hatte das Auftauchen altrömischer Votivgaben auf dem römischen Antiquitätemnarkt die Spur auf die unbefugten Forscher gelenkt. In .der Zeitschrift „Nuova Antologia“ erzählt der Superintendant für die Altertümer in Süd-etrurien, Renato Bartoccini, wie das Netz über den Uebeltätern zusammengezogen . wurde, wie diese bei hellichtem Tage auf dem Grundstück der Fürsten Massimo an der Arbeit waren, als die Polizei eintraf und wie vor den erstaunten Augen des Superintendanten Mauerreste und Marmorblöcke aus dem Boden auftauchten, die sich schließlich als der Tempel und das Forum des berühmten antiken Wallfahrtsortes herausstellten.

Hin und wieder gelangen den Aufsichtsbehörden Gegenstände in die Hände, die alle Anzeichen der Echtheit haben und doch nichts weiter als Fälschungen sind. Manchmal sind sie mit derartiger Meisterschaft hergestellt, daß erst lange Nachforschungen über die Herkunft ihre „Harmlosigkeit“ erweisen. Bei Bronzeplastiken wird gewöhnlich eine Metallanalyse vorgenommen. Aber auch die führt zu keinem Ergebnis, wenn die Fälscher zum Guß Bruchstücke echter, antiker, aber wertloser Gegenstände benützt haben. Jeden Sonntag kann auf dem römischen Ramschmarkt bei der Porta Portese genug davon um billiges Geld gekauft werden: billig, wenn man es für echt hält...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung