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Städte zum Sterben langweilig

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Bis vor kurzem war die Menschheit, „das große Wesen“, noch ein Kind —> man denkt es beim Lesen dieses Buches —, lebte in den Tag hinein und kümmerte sich nicht um den Nächsten, Nun aber — etwa nach dem zweiten Weltkrieg —■ ist sie erwachsen, hat Sorgen und bangt um ihre Zukunft. Und tatsächlich: jetzt erst hat sie Zukunft, wo sie bisher Illusionen, Utopien, Träume hatte. Denn die Utopien sind erfüllt, die Träume ausgeträumt und die Illusionen fernerhin gefährlich. Wie angenehm es war, ihnen nachzuhängen! Angenehmer jedenfalls, als der'Tatsache ins Auge zu sehen, daß es ohne unser Zutun keine Zukunft, und das heißt' keine Menschheit geben wird. Plötzlich reich geworden, sehnen wir uns zurück nach der Bequemlichkeit der Armut. Doch es nützt nichts: Wir müssen uns um unseren Reichtum kümmern. Die Zukunft liegt, eingerollt wie das Blatt in der Knospe, schon zur Entfaltung bereit in unserer Gegenwart. Sie bedarf unserer Lebenskraft und Denkkraft, sich ins nächste Jahrtausend glücklich zu entrollen

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Bis vor kurzem war die Menschheit, „das große Wesen“, noch ein Kind —> man denkt es beim Lesen dieses Buches —, lebte in den Tag hinein und kümmerte sich nicht um den Nächsten, Nun aber — etwa nach dem zweiten Weltkrieg —■ ist sie erwachsen, hat Sorgen und bangt um ihre Zukunft. Und tatsächlich: jetzt erst hat sie Zukunft, wo sie bisher Illusionen, Utopien, Träume hatte. Denn die Utopien sind erfüllt, die Träume ausgeträumt und die Illusionen fernerhin gefährlich. Wie angenehm es war, ihnen nachzuhängen! Angenehmer jedenfalls, als der'Tatsache ins Auge zu sehen, daß es ohne unser Zutun keine Zukunft, und das heißt' keine Menschheit geben wird. Plötzlich reich geworden, sehnen wir uns zurück nach der Bequemlichkeit der Armut. Doch es nützt nichts: Wir müssen uns um unseren Reichtum kümmern. Die Zukunft liegt, eingerollt wie das Blatt in der Knospe, schon zur Entfaltung bereit in unserer Gegenwart. Sie bedarf unserer Lebenskraft und Denkkraft, sich ins nächste Jahrtausend glücklich zu entrollen

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Der Kulturredakteur des Schweizer Rundfunks, Otmar Hersche, der die Frage nach der wahrscheinlichen Zukunft der Menschheit bekannten Wissenschaftlern stellte, • legt ihre Antworten, nachdem sie in einer Sendereihe ausgestrahlt wurden, der Öffentlichkeit nun auch in Buchform vor. Mit den Scheinwerfern von Zukunftsperspektiven leuchten darin Soziologen, Biologen, Theologen, Politiker, Philosophen und Astronomen in futurischer Absicht hinein und voraus in die Schnellstraße der verlängerten Gegenwart. Und wahrlich: Man wagt nicht zu zweifeln, daß es so und nicht anders kommen wird, daß es keinen Ausweg gilbt aus diesem Weg. Und da ist nichts, woran man leuchtenden Auges träumen könnte. Es ist nicht leicht, erwachsen zu sein! Die Bedingungen, wie sie Richard Behrendt (Die moderne Gesellschaft zwischen Alternativen) für das Erreichen dieser Zukunft stellt, sind nicht gerade leicht zu erfüllen: Lebenslängliches Sichweiterbilden der einzelnen, Verwirklichen der Demokratie; von derwir bisher nur geredet haben, und gemeinsames Planender Zukunft?“ifasiiers hat auch nicht mehr verlangt: Wir müssen Heilige werden.

Eine dem Irrationalismus abholde Menschheit verlangt Eugen Kogoon im Namen einer zukünftigen Weltpolitik. Also noch einmal Erziehung. Nur durch ein Zusammenwirken der heute bereits bestehenden Denkfabriken (in den USA) mit dem bis zur Jahrtausendwende mindestens verfünffachten Heer der Naturforscher und Ingenieure sei eine weiterschreitende Humanisierung der Existenzbedingungen auf der Erde zu verwirklichen; sei zu erwarten,daß der Einfluß einer im Keim bereits vorhandenen Weltmoral auf das politische Geschehen auch weiter zunimmt. Und wieder ist es die mangelnde Bildung der Weltbevölkerung, die beim Kampf gegen den Hunger einem dauernden Erfolg im Wege steht (Fritz Baade). Denn das Analphabetentum verhindert an den kritischen Punkten jede Möglichkeit wirksamer Planungen (Farnilien-planung usw.).

Robert Jungks Glaube an die Vorhersehbarkeit der Zukunft stützt sich auf ein makabres und daher nicht sehr überzeugendes Beispiel: Die Gemeinschaftsarbeit an der Atombombe in den USA. Da die Denkfabriken dort, wie man hört, bisher nur für Rüstungsaufgaben Vorzügliches leisteten und gezweifelt werden muß, ob sie ebenso tüchtig im Dienste der anonymen Menschheit arbeiten werden, bleibt man skeptisch. Auch für Jungk ist der Mangel an echter Demokratie eine Hauptgefahr für die Zukunft. Dieser Mangel nämlich leiste dem üblichen Verhalten der Experten Vorsehuto-, sich oHgarchischen 'Interessengruppen als Helfer' anzubieten und so die '““geistig ohnedies überforderte Bevölkerung in Interesselosigkeit verharren oder versinken zu lassen.

Alexander Mitscherlich beschäftigt das bislang ungelöste Problem des notwendigen Gewaltverzichtes angesichts einer am Aggressionstrieb „leidenden“ Menschheit. Er sieht das Heil in einer psychoanalytischen Untersuchung der menschlichen Gesellschaft auf jene Bedingungen hin, die eine Pazinzierung hemmen. Das Resultat könnte zu einer Prognose verwendet werden, ob Aggression in Destruktion ausarten muß.Realistisch sieht Karl Rahner in der zukünftigen pluralistischen Gesellschaft ohne Glaubensgemeinschaft nur hoch Diasporen- statt der Kleruskirchen. Und ihre Ämter in den Händen älterer Laien. Vorauszusehen sei auch ein Fortschreiten der Entmythologisierung und ein Wandel in der Verkündigung des Evangeliums. Eine der Person entschieden feindliche Welt ahnt Gabriel Marcel. Bedrohungen stellen insbesondere die als Zerstreuung angebotenen standardisierten Informationen und die Bevölkerungsexplosion dar. Doch müsse man sich vor jedem Defaitismus hüten. Die Biologie (Ernst Hadorn) hat gegen die Bastar-disierung der Menschheit nichts einzuwenden, da erfahrungsgemäß von Edelrassen ohnedies nichts zu halten sei. Dagegen sei die sonst so segensreiche Medizin gefährlich, da sie den zum Schlechtem hinneigenden Gen-Mutationen ein Überleben garantiert. Nur bei Gelingen der Familienplanung, der Erschließung neuer Lebensräume — und Lebensmittel kann sich die Menschheit Überlebenschancen ausrechnen.

Am nächsten gerückt erscheint die Zukunft in Hans Arregers Aufsatz: „Stadt der Zukunft“. Denn jetzt schon sehen wir um uns herum die Städte sich entwickeln, die in 30 Jahren der bis dahin verdoppelten Menschheit Platz bieten müssen.Sie werden zum Sterben langweilig sein, wenn man der heute bemerkbaren Verdorfung an den Stadträndern nicht entgegentritt. Nicht Städte, sondern Stadtregionen werde es geben, mit Zentren für je hunderttausend Einwohner, Zentren mit allem Drum und Dran. Wenn Anreger schließt: Der Mensch werde Muße haben, statt an Sensationen wie bisher, an zeitlosen Werten sich zu ergötzen, so ist diese Hoffnung völlig unbegründet. Das „Zukunftsbild des Astrophysikers“ (Fritz Zwicky) beschließt den Kapitelreigen. Der Morphologe, ein mit Astronomie, Physik und Raumforschung vertrauter Wissenschaftler garantiert für ein ebenfalls morphologisches Weltbild, mit Gleichberechtigung für materielle und geistige Werte. Rätsel wird es auch weiterhin aufzulösen geben. Supernova, Zwergstern und Rotverschiebung warten noch auf eine Erklärung. Wir müssen nicht bangen vor der Zukunft.

Wir hören die Botschaft und es fehlt uns nicht an Glauben. Doch regt die geschilderte Zukunft unsere Phantasie nicht an. Das Spielzeug „Weltzukunft“ ist etwas für den Papa Wissenschaftler, der sich für seine Vollkommenheit begeistert. Wir Publikums-Kinder finden dieses Spielzeug langweilig. Mag sein, wenn wir einmal größer sind, um 2000 herum...

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