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Unfestliche Festspiele
„Graz veranstaltet seine Festspiele zwar nicht ausschließlich mit eigenen Kräften, aber fast ausschließlich für sich.“ So war es vor einem Jahr an dieser Stelle zu lesen. Und an diesem Sachverhalt hat sich auch heuer nichts geändert. Im Gegenteil. Es ist ein rein regionales Festspiel geblieben, mit dem bedeutenden Unterschied allerdings, daß die heurigen Spiele, was das Programm betrifft, einen ausgesprochenen Rückschritt gegenüber dem Vorjahr bedeuten. War damals wenigstens versucht worden, eine stützende Idee zu finden, so ist man heuer beim kunterbunten Durcheinander angelangt. Diese Sommerspiele sind nichts als ein Anhängsel an eine ziemlich reichhaltige Konzertsaison. Die Grazer lassen sich für ihr Geld (und für keineswegs niedrige Subventionen) etwas vorspielen, ein Konzertjahrkonzentrat gewissermaßen, und laden dazu — ziemlich wahllos anscheinend — Künstler ein. die gerade greifbar sind. In der Tat: die Reichweite dieser Sommerspiele geht kaum über die engste Umgebung der Landeshauptstadt hinaus.
Das eben Gesagte richtet sich allerdings nicht in erster Linie gegen die Qualität des Gebotenen. Diese stand — im großen und ganzen — auf recht erstaunlichem Niveau. Der regnerische Sommer hat das Besondere dieser Spiele — die wundervollen Fieilichtschauplätze — kaum zur Geltung kommen lassen. Sehen wir zunächst nach den Darbietungen der herbeigeholten Gäste: da sind einmal die W i ener Symphoniker, denen die akustische Ungunst des Opernhauses übel mitspielte. So hatte trotz dem bemerkenswerten geistigen Konzept des Dirigenten Volkmar A n d r e a e das Blech in ' Bruckners Achter einen seltsam temperierten und verschleierten Klang. Im Programmpotpourri schien auch eine offenbar ad hoc zusammengestellte Stagione auf, die den „Troubadour“ in modo italiano vorführte. Ein Teil der Sänger bestand aus ausgesprochenen Stimmakrobaten, die Darstellung gehörte in den Bereich der Pradler Ritterspiele, dem Dirigenten G. Morel Ii ist ein hierzulande unnachahmliches Brio zu danken.
Besser schnitten dagegen die Kammerkonzerte ab. Die Musikalität der Klarinetten blasenden Nation, repräsentiert durch das Smetana-Quartett, feierte bei Schubert. Mozart und natürlich Dvofak ausgesprochene Triumphe. Statt der1 geliebten „Musici di Roma“ kam diesma.l das Quintetto Boccherini — kein ganz gleichwertiger Ersatz: die fünf Italicner zelebrieren fast ausschließlich das Werk ihres Namenspntrons. Das ist hübsch anzuhören, geht aber nicht in die Tiefe. Der sympathische Lyoner Universitätschor ist weniger ein schönstimmiges als ein gut exerziertes und musikalisches Instrument. Neben Meistern des Frühbarocks standen einige Moderne wie Debussy und Poulenc, auf dem Programm. Leicht enttäuscht hat diesmal auch (besonders im ersten Konzert) das Stuttgarter Kammerorchester. — Aber da war dann noch ein Abend im Eggenberger Schloß, der ganz unerwartet zum geistigen und künstlerischen Höhepunkt der drei Wochen wurde. Das Brüsseler Ensemble „Pro musicj a n t i q u a“ brachte
Musik der Gotik und der Renaissance. Eine neue, von den meisten Zuhörern kaum erahnte Welt tat sich, da auf. Beim 13. Jahrhundert begann es und führte herauf bis zu Gastoldi und Monteverdi; und es war keineswegs etwa ein trockener musikhistorischer Exkurs, sondern Begeisterung weckendes, stilreines, hingebungsvolles Musizieren — die schönste und erlebnisreichste Stunde dieser Sommerspiele.
Was die heimischen Künstler zum bunten Programm beitrugen, war recht wenig. Neben dem Burgtheatergastspiel mit der „Jüdin“, das unter einer gewissen Abgespanntheit und Glanz-losigkeit litt, spielten die Grazer im Burggarten den „S o m m e r n a c h t s t r a u m“. Es gab hübsche Einfälle, viel Rüpelklamauk, und das übrige kam von der einzigartigen Naturszenerie dieses bezaubernden Parks. Das ausgezeichnete C o 11 e g i u m musicum unter Illenberger, das sonst jedes Jahr auf dem Programm zu finden war, mußte heuer in einem nicht öffentlichen Domkonzert am Rande seine beachtliche Höhe in Werken von Lasso, Fux und Schütz zeigen. Der traditionelle „F i d e 1 i o“ machte den Beschluß. Neu.waren dabei vor allem der Dirigent Bertil Wetzelsberger und der Flore-stan H. Roswaenges. Ersterer scheint ein gewiegter Praktiker zu sein, letzterer störte mit seinem Pathos den mehr sachlichen Stil der Aufführung. — Die Bilanz: Es wäre an der Zeit, ernstlich darüber nachzudenken, wie aus diesem aus dem Aermel geschüttelten Sammelsurium repräsentative und lohnende sommerliche Spiele werden könnten.
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