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Weinlandsommer

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Die geringsten Niederschläge von ganz Österreich hat das nördlich Wiens gelegene Pulkautal mit 460 mm Regen im Jahr.

Nun mußt du für das Weinland eine neue Lehre von der stofflichen Zusammensetzung der Weltkugel verkünden: der Erdkern ist feurig-flüssig, die Rinde ist erkaltetes Gestein, und auf dieser Rinde liegt über Sommer eine weite Hülle Staub. Bis zu einer Spanne mißt die Stärke dieser Hülle, dort aber, wo viele Radspuren einander berühren oder schneiden, weist sie Täler und Hügel wie ein kleines Dünengewirr. Einmal liefst du mit deinen Kaifleraden durch die Feldwege dieser Jahrzeit. Weit hinauf hieltet ihr euch die kurzen Bubenhosen und.mit ganzem Gewicht ließet ihr eure Füße in die stauberfüllten Gleise fallen. Endlose Reihen von Rauchsäulen stiegen vor euch auf, umwallten euch die nackten Beine und zogen in unablässigen Wellen empor über eure Schöpfe.

Diese Wochen sind eine hohe Zeit. Wie eine große, kämpfgemute Wanderschaft überkam es die Menschen. Wie fortgesogen aus Stube und Stall, standen sie täglich mit dem ersten Morgenlicht in unermeßlicher Ährenweite. Stechende- Glut fiel auf Äcker, Straßen und Bäume. Tag und Welt schienen nichts denn erstarrte Hitze.' Nur über Klee und Wiesengräben bebten zuweilen glasklar und zitterfein die Lüfte. Einzelnes Gewölk glich pur-lauterem Schnee auf unendlich blauer Tiefe, und es wunderte einen, daß dieser Verlorene nicht schmolz. Wie künstliche Feuer sprühten hellgrün die Weingart-hügel, blitzender Glimmer lag auf Buchen und Eichen der Berge.

Die Höfe lagen erstorben. Reglos ruhten in Staubbädern die Hennen, Hunde und Katzen schliefen wie ohne Leben. Kaum daß die Kirchturmuhr zu schlagen wagte, so versteint schien die Stunde. Wie aus der Zeit gefallen, tappte durch manches Haus ein Einsames — Großvater, Großmutter. Nahe bei Mitternacht schon, können sie sich im hohen Mittag nur mühsam regen, bloß rasten, traumhaft bedenken....

Nur auf dem Wehr oben schlägt und ruft Lebendigkeit. Aber nicht alle Kinder liegen im Wasen, springen immer wieder in das sprühende, tosende Wallen, in den leuchtenden Gischt. Viele sind mit draußen Bänder legen, goldschwingende Wellen antragen.

Jedoch: kleine Herzen haben in diesen Tagen wenig Macht und Raum. Selbst der werkende Mensch ist schier hinausgestellt aus der Allgewalt der; Secrens. Er darf ihm dienen. Ist er aber sein Herr? Das Dorf ist tot, der Acker überstark und groß.

Die Welt ist Korn und flutender Sommerhimmel. Schichtende Garben, türmendes Brot prägen das Land.

Dann aber wurden Feldwege und Straßen lebendig. Pferde, Männer und Burschen zeichneten den Tag.

Viele Jahre sind seither hinabgezogen. Traktoren und Mähbinder haben sich gegen die Segensflut des Sommers an die Seite der Menschen gestellt.'Sonst ist sich das Amt1 gleich geblieben. Du sitzt an deinem Tisch, mußt aber das Fenster geschlossen halten, denn nun könnte die von unzähligen Rädern zermahlene Erde Flaggenfarbe deiner Heimat sein. In ganzer Breite ruht Staub auf Wegen und Plätzen. Jedem Gefährt zieht er voraus, folgt er in lautloser, hoher Wolke. Der Tritt der Pferde, Ochsen und Kühe scheucht ihn empor, hinauf bis in die Wipfel der Bäume. Von weitem gesehen, zieht er wie feierlicher Rauch um Tiere und Menschen. Neben der Milchkammer steht ein Nußbaum. An der Brücke — über St. Johannes — eine Kastanie. Jedes Blatt beider Kronen ist weißgrau überschichtet. Durch das geschlossene Fenster dringt der Staub auf deinen Tisch, und läßt du geraume Weile Blätter und Bücher liegen und daneben die verschlossene Schreibmaschine ohne Schutzhaube stehen, findest du Papier und Metall hauchfein, aber dicht besät. Plötzlich wird es dunkel im Raum, als hätte sich die Sonne verborgen. Hohe, machtvolle Kornfluchten zogen vorbei, zwie-spännige, weit ausladende Leiterwagen, darauf, mit langer Reichgabel hochgeschichtet, Garbenlage auf Garbenlage. Gewaltige, kornleuchtende Prismen, wuchten die Fuhren gassenwärts. In schweren, scheibenblinkenden Geschirren schreiten gelassen starke Rosse, überglänzte Kraft, nicken dichtwallende Mähnen, schlagen buschende Schweife.

Gänse steigen plötzlich auf, eine große Schar, und die ganze Straße, von Häuserwand zu Häuserwand, bis hinauf über das zu höchst fliegende Tier, ist Staub, nur Staub. Drüben in der Kellergasse fährt ein schwerer Lastkraftwagen. Nach fünfzig Schritten ist er nicht mehr zu sehen. Einen einseitigen, heftig wallenden Pyramidenstumpf zieht er straßenlang nach, einen weißgrauleuchtenden Riesenkörper, dessen Deckfläche zusammenfällt mit der Wagenrückwand, dessen unscharfe Grundfläche immer weiter hinaufwächst an den Himmel. Am Abend erfüllt eine solche Straße das aufgescheucht Wölkende wie dichtester Nebel, darin geisterhaft trüb die Lichter des Kühlers glühen. Wer dort war oder Geographie gelernt hat, darf an London denken.

Jene Hektoliter Haustrunk, Wein, Bier, Wasser, Brausepulver, die in Amt und Drusch getrunken werden, können wir nicht zählen. Würden die gesammelten Rinnsale Schweiß, die zu dieser Zeit in allem Bauernland über brennende Leiber sickern und fließen, Bäche ergeben, Flüsse, Ströme?

Staub und Glut zeichnen nicht nur Straße und nahe Äcker. Die Anmut bewegter Horizonte ist erloschen. Schleier dämpfen ferne Farben und Konturen. Selbst auf dem immerfrischen Wald draußen scheint Staub zu ruhen. Pollauer, Falkensteiner, Leiser Berge und Staatzer Spitz sind versunken. Nicht versunken, verhüllt. Klein ist sie geworden, die weite Heimat, die glühende, denn aus ihren Straßen und Steigen, Wegen und Plätzen, aus ihren hinschenkenden Äckern raucht die geöffnete, sonntrunken gereifte Erde.

Darüber, in gestuften oder hügelnden Rebengärten, körnt wundertätig die glückhafte Traube.

1 Ernte. kett, ein .gemeinsames Band, das viele zehntausefide Mitglieder in fast allen Teilen Europas .verband. Einfache, den untersten sozialen Schichten der Bevölkerung angehörende Menschen besiegelten mit ihrer .Unterschrift ebenso die Treue zur katholischen Lehre wie Kaiser, Erzherzoge und Erzbischöfe.

über diesen großen Aufgaben, die ihm seine Zeit stellte und die er mehr als

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