Gratiszeitungen sind zu teuer

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Der Schock sitzt tief, aber leider nicht bei allen: Die Gratiszeitungen heute und Österreich haben an Reichweite zugelegt, ergab die Media-Analyse für das erste Halbjahr 2011. In den Verbreitungsgebieten Wien, Nieder- und Oberösterreich komme heute auf eine Reichweite von 22,3 Prozent, vermeldete die Austria Presse Agentur. Das ist in mehrfacher Hinsicht eine katastrophale Entwicklung. Die Begründungen für diesen Befund liegen keinesfalls in Neid und Missgunst, wie sie jede Branche kennt, auch nicht in Überheblichkeit oder Standesdünkeln. Es geht um anderes.

Es fehlt Unterscheidungsvermögen

Niedrige Qualität von Produkten und Dienstleistungen sowie billige Geschenkartikel kennt jegliche Sparte. Doch das wichtige Unterscheidungsvermögen der Konsumenten, Qualität von Mist zu trennen, einen faulen Apfel auch als solchen zu erkennen, das scheint hinsichtlich der Massenmedien dann doch zu vielen Personen etwas zu fehlen.

Das ist schon bei jenen Personen problematisch, die heute in der U-Bahn lesen und dessen schrille Verknappung von Sachverhalten für Information und dessen Auswahl an Themen für eine Reihung nach Bedeutsamkeit halten. Aber für Staat und Gesellschaft höchst fragwürdig und riskant wird die Sache, wenn einzelne derartiger Medien von Regierungen gefördert werden, direkt und indirekt, finanziell und politisch.

Deren Auswahl und Aufmachung der Themen befördert Banalisierung und Skandalisierung, Personalisierung von Sachverhalten und die Entblößung von Menschen. Das mag es so oder anders erstens stets und zweitens überall geben. Fehler, etwa eine unbescholtene Innenministerin auf einer Titelseite in eine Reihe mit Verdächtigen zu stellen, passieren auch anderswo. Das Empörende am Billigen und Banalen ist weniger dessen Existenz, sondern dessen Akzeptanz, ja Beförderung. Denn die Medienbranche hat diese Gratistitel in die Messung der Reichweite aufgenommen, was zu einer - sachlich unzutreffenden - Gleichstellung mit Kaufzeitungen führte und jegliche Betrachtung auf das Quantitative abstellte. Das ist ein Irrtum. Es ist - auch wissenschaftlich - erwiesen, dass erst das Qualitative an Massenmedien deren Wert und Bedeutung für die Rezipienten ergibt: damit diese sich ein Bild vom Lauf der Welt und von der Lage der Dinge zu verschaffen vermögen, um darauf aufbauend politisch entscheiden und solcherart Demokratie herstellen zu können. Deswegen wurde die Meinungsfreiheit erkämpft. Deshalb ist sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Und genau deswegen bescheinigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Massenmedien in seiner Judikatur eine Kritik- und Kontrollfunktion.

An diese musste auch das österreichische Regierungssystem langsam gewöhnt werden, wobei es anhaltend in einem anderen Irrtum verharrt: der Verwechslung von informativen mit unterhaltenden Medien, denn per Unterhaltung käme man auf kürzerem Weg zu jener Bekanntheit, die dann manche schon für Berühmtheit halten. Die Neigung der Politik, diesen Zustand selbst verschuldeter Abhängigkeit zu verlassen, scheint gering zu sein.

Demokratie braucht Qualität

"Definitiv enttäuscht“ zeigte sich der Präsident Weltverbandes der Zeitungen, Jacob Mathew. Er leitet den derzeit in Wien mit Tausenden Delegierten tagenden Kongress seines Verbandes. Dieser wird von Regierung und Medienpolitik ähnlich gemieden wie der dieswöchige future.talk 2011 der Telekom Austria, dessen Referent Tim Berners-Lee 1989 am CERN das World Wide Web begründete und der schon Regierungen beriet, allerdings in London und nicht in Wien.

Mit der Qualität von Medien steigt und sinkt jene der Demokratie. Wenn aber die nur auf Unterhaltung und Zeitvertreib angelegten Gratiszeitungen indirekte oder direkte öffentliche Förderung erhalten, wird es teuer.

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