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Gegängelte Riesen

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Die These, daß Pressefreiheit nur in sogenannten kapitalistischen Ländern möglich ist, stellt zwar eine grobe Verallgemeinerung dar, entspricht jedoch weitgehend den Tatsachen, da nur dort eine Regierungsabhängigkeit der Presse vermieden werden kann, wo eine konkurrenzwirtschaftliche Struktur besteht, die willens ist, eine Wettbewerbspresse zu unterhalten. Dennoch gibt es hier ein Paradoxon: Gerade die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte in demokratischen Ländern begünstigen wie-, derum Konzentrationen, Fusionen und somit letztlich die Schaffung von Meinungsmonopolen, die zwangsläufig neuerlich die freie journalistische Meinungsäußerung beschneiden müssen.

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Die These, daß Pressefreiheit nur in sogenannten kapitalistischen Ländern möglich ist, stellt zwar eine grobe Verallgemeinerung dar, entspricht jedoch weitgehend den Tatsachen, da nur dort eine Regierungsabhängigkeit der Presse vermieden werden kann, wo eine konkurrenzwirtschaftliche Struktur besteht, die willens ist, eine Wettbewerbspresse zu unterhalten. Dennoch gibt es hier ein Paradoxon: Gerade die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte in demokratischen Ländern begünstigen wie-, derum Konzentrationen, Fusionen und somit letztlich die Schaffung von Meinungsmonopolen, die zwangsläufig neuerlich die freie journalistische Meinungsäußerung beschneiden müssen.

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Aus einer Studie des „International Press Institute“ in Zürich geht hervor, daß derzeit von allen Mitgliedstaaten der UNO kaum ein Fünftel das genießen, was man Informationsfreiheit nennt; neben den Ländern des kommunistischen Bereichs gibt es auch in den meisten Staaten Asiens keine Pressefreiheit, mit Ausnahme Indiens, Japans und — mit Einschränkungen — Indonesiens. Zahlreiche lateinamerikanische Staaten sowie die Länder der arabischen Welt und Schwarzafrikas haben keine Pressefreiheit. Was bleibt, ist eine beschämend geringe Zahl von Staaten, für die jedoch weitere Einschränkungen gelten; so zum Beispiel gibt es in Südafrika zwar eine „weiße“, nicht aber eine „schwarze“ Pressefreiheit.

Ein weiteres Phänomen bildet die Tatsache, daß die Pressefreiheit zwar leicht verlorengeht, aber nur äußerst mühsam (und selten) zurückerobert werden kann, wie etwa in Indonesien nach dem Sturz Sukarnos oder in Südkorea nach der Ära Syngman Bhee, wo der Informationsfreiheit nur eine kurze Dauer beschieden war.

Nun macht sich in den „freien“ Ländern in jüngster Zeit eine zunehmende Bedrohung der journalistischen Meinungsäußerung bemerkbar, wobei die Möglichkeiten der Gängelung ein weites Spektrum aufweisen — politische, gesetzliche, gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Faktoren haben in zunehmendem Ausmaß die freie Presse zum Spielball wechselnder Interessen gemacht. Gerade der politische Druck beweist, daß eine freie Wirtschaftsverfassung nicht unbedingt auch zwingend die Pressefreiheit garantiert (wie zum Beispiel auf den Philippinen und in Ceylon).

Die Möglichkeiten von Regierungen, die Presse ihrer Freiheiten zu beschneiden, reichen von der Verweigerung von Regierungsinformationen über die Nichtgewährung von Regierungsaufträgen (Anzeigengeschäft!), über den Ausschluß von Pressekonferenzen bis zu Pressionen verschiedener Stärke gegenüber Redakteuren (Beispiel:! Südafrika).

Aber auch „harmlose“ legistische Maßnahmen können bereits zu einer Beschneidung journalistischer Freiheit führen, so insbesondere ein entsprechend formuliertes Ehrenbeleidigungsrecht, das in manchen Staaten etwa das Aufzeigen von Korruptionsfällen im Bereiche der Regierung oder Verwaltung verhindert. Wie bedeutend gerade auf diesem Gebiet die vom Gesetzgeber gewährte Beweglichkeit ist, hat in den USA der Watergateskandal gezeigt; die Korruption im Bereich der Verwaltung (insbesondere in der Polizei) und der Gerichtsbarkeit war bereits so ausgeprägt, daß die Presse praktisch das einzige Korrektiv darstellte. Die gefährlichen Versuche des mittlerweile versunkenen Vizepräsidenten Agnew, der Presse ihre Funktion abzusprechen, haben sich gerade noch rechtzeitig als Bume-namg erwiesen. Denn nicht die Oppositionspartei war es, die Watergate einer öffentlichen Diskussion zuführte, sondern eine Zeitung, die „Washington Post“.

In diesem Zusammenhang ist jedoch noch ein anderes Detail von Bedeutung: die Veröffentlichung der — geheimen — sogenannten Pentagon-Papiere stellte, nach Ansicht zahlreicher Fachleute, ein Überschreiten der journalistischen Kompetenzen dar. Eine allzu große „Freizügigkeit“ in dieser Richtung müßte jede Regierung zwangsläufig zu exzessiver Geheimhaltung, ja Geheimniskrämerei zwingen, da ansonsten wohl kein Regierungsprogramm mehr durchführbar wäre. Hier liegt es vor allem an den Journalisten, Askese zu üben und durch verantwortungsbewußte Arbeit nicht Entwicklungen zu begünstigen, deren Auswirkungen nur eine Beschneidung der Pressefreiheit bedeuten können. Spannungen zwischen Regierung und Presse wird es immer geben und muß es geben, da eine Regierungspresse beziehungsweise eine chronisch regierurngsfreundiche Presse wohl kaum mehr einen Anspruch auf Unabhängigkeit erheben kann.

Ein bedauerliches Phänomen der jüngsten Zeit ist jedoch der starke gesellschaftliche und wirtschaftliche Druck, der auf den freien Journalismus ausgeübt wird.

Die Situation auf dem österreichischen Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt ist ja hinlänglich bekannt, aber auch in einer Reihe anderer Staaten sind — mehr oder weniger deutlich — Tendenzen zu erkennen, vor denen nicht früh genug gewarnt werden kann.

In Frankreich gibt es zwar einen gesunden und vielfältigen Wettbewerb auf überregionaler Ebene, auf dem Gebiet der Regional-und Lokalzeitungen, die sich großer Beliebtheit erfreuen, haben bereits acht große Konzerne das Land in acht Einflußsphären „aufgeteilt“ und einen Nichtangriffspakt geschlossen. Wenn man bedenkt, daß zum Beispiel allein der Sud-Ouest in Bordeaux öiyegion^eA^u^^ dann muß von echten. Kegionälmoho-' polen gesprochen werden. Daß die Regierung noch dazu über ein Rundfunkmonopol verfügt, charakterisiert die Mediensituation in Frankreich hinlänglich.

In den USA haben vor allem wirtschaftliche Interessen zu lokalen Medienimonopolen geführt, die nicht nur via Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch über angeschlossene TV-Anstalten eine Informationsgleichschaltung hergestellt haben.

Daneben hat die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften (auch in Europa) Presseangestellte in Spit-zenverdienerpositionen gebracht und dadurch für hohe Lohnkosten und oft auch Überbeschäftigung gesorgt. Aus diesen Gründen erklärt sich vor allem das Zeitungssterben in Neu; York, wo es heute nur noch drei nennenswerte Tageszeitungen für acht Millionen Leser gibt.

Auch in einer klassischen Zeitungsstadt wie London wurden seit dem Zweiten Weltkrieg bereits sieben Zeitungen eingestellt; der wirtschaftliche Druck nimmt ständig zu: 1971 warfen die Londoner Zeitungen trotz eines Umsatzes in Höhe von rund 200 Millionen Pfund lediglich einen Gewinn von 2 Millionen Pfund ab. Dennoch verfügt London immerhin noch über neun Tageszeitungen, wovon nur zwei mit Verlust arbeiten (es sind Parteizeitungen). Die Konzentrationstendenz erscheint vorläufig gestoppt, dennoch stellt die schmale wirtschaftliche Basis eine ernste Gefahr für den Fall einer wirtschaftlichen Rezession dar.

Von solchen Konzentrationen wird regelmäßig die Qualitätspresse am stärksten getroffen, da diese nicht über so große Einkünfte aus dem Anzeigengeschäft verfügt wie die Boulevardzeitungen. (Interessante Ausnahmen bilden hier nur die skandinavischen Länder und Belgien).

Insbesondere die Situation auf dem italienischen Zeitungsmarkt war in letzter Zeit Ursache zu ernsten Befürchtungen für die Zukunft der italienischen Presse. FIAT-Bossl Agnelli, der nicht nur die bedeutende und einflußreiche Turiner Zeitung „La Stampa“ zu seinem Konzern zählen kann, erwarb Anfang 1973 auch noch ein Drittel des Mailänder „Corriere della Sera“, wobei sich ein weiteres Drittel in Händen der Industriegruppe Angelo Moratti befindet. Diese beiden Blätter von internationalem Standard sind nunmehr von der — zugegeben — aufgeklärten Haltung Agnellis abhängig, ein Zustand, der in Zukunft noch zu ernsten Konflikten führen wird.

Die staatseigene Mineralölgesellschaft ENI hat bereits vor Jahren ihre Fühler ins Zeitungsgeschäft ausgestreckt und verfügt heute bereits über ein beachtliches Imperium. Der private Öl-Zar Attilio Monti besitzt neben dem Bologneser „Resto del Carlino“ noch eine Reihe anderer Regionallblätter im Norden Italiens.

Im Mai 1973 gelang es einem weiteren Industriellen, Edilio Rusconi, 50 Prozent des eher linksstehenden römischen „Messagero“ zu erwerben; seither sind in der Redaktion dieses angesehenen Blattes die Unstimmigkeiten, die aus der von Rusconi gewünschten Kurskorrektur nach rechts entstanden, noch immer nicht beendet.

Andere Zeitungsimperien haben der petrochemische Konzern SIR und der Zementindustrielle Carlo Pesenti geschaffen. Die im Industriebesitz befindlichen Tageszeitungen stellen heute immerhin rund 60 Prozent der Gesamtauflage.

Noch 1952 gab es 111 Tageszeitungen in Italien, 1971 waren es nur noch 86.

Gründe für diesen rapiden Konzentrationsprozeß liegen vor allem in den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen die italienische Presse seit Jahren zu kämpfen hat. Vorschläge, die Kostensituation der Presse zu verbessern, gibt es zahlreiche, und ein bereits fertiggestellter Gesetzentwurf fiel koalitions-intemen Meinungsverschiedenheiten zum Opfer.

Der Druck durch die Interessenverbände (insbesondere durch die Gewerkschaften) sowie durch den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf rief viele Zeitungsschützer auf den Plan; und in zahlreichen Ländern werden derzeit Modelle einer wirksamen Erhaltung der freien Presse und damit der Meinungsvielfalt erprobt bzw. diskutiert.

Beim „Pariser Modell“, das bei „Le Monde“ und „Le Figaro“ gute Erfolge zeigt, haben die Redakteure Miteigentum und können somit wenigstens einen Verkauf (und eine damit verbundene .Richtungsänderung') verhindern; diese Form der Absicherung hat jedoch nur dann Erfolg, wenn es sich um Wirtschaftlieh gesunde Blätter handelt. Bei einer Zeitung, die vor allem durch sinkendes Anzeigengeschäft sowie durch steigende Kosten in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommt, kann auch das Miteigentum der Redakteure keine dauerhafte Lösung bringen.

In Norwegen erhalten Zeitungen, soferne ihre Auflage 40.000 nicht übersteigt, staatliche Druckkostenzuschüsse.

In Schweden und Finnland wird die Presse der Parteien gemäß deren Mandatsstärke im Parlament subventioniert.

In der Schweiz wurde erst vor wenigen Wochen eine Motion, die „sowohl Sofortmaßnahmen direkter und indirekter Art als auch Vorkehrungen langfristiger Natur zur Erhaltung der Vielfalt der politischen Presse“ enthielt, eingebracht, ihr jedoch die Dringlichkeit aberkannt. Es steht aber zu rechnen, daß die Schweiz in nächster Zeit nur Maßnahmen langfristiger Natur ergreifen wird.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland sind die Verleger aktiv geworden; sie fordern unter anderem:

• vollständige Entlastung von der Mehrwertsteuer sowie andere steuerliche Vergünstigungen;

• niedrige Gebühren für den Zeitungsvertrieb und die Nachrichtenübermittlung;

• ERP-Kredite auch für größere Zeitungen.

In Großbritannien wird mit „ownership trusts“ (Miteigentum) experimentiert, andere Länder streben differenzierte Mitbestimmungsmethoden an.

Versteckte Subventionen für die Presse gibt es ja in fast allen Ländern etwa in Form ermäßigter Post-und Bahntarife, spezieller Nachrichtengebühren, steuerlicher Erleichterungen usw. Dennoch zeigt sich, daß zahlreiche dieser Maßnahmen oft zu einer Versteinerung neigen und daher eine Anpassung von Zeit zu Zeit notwendig wäre.

Daneben müßte — vor allem auch in Österreich — ein ^zeitgemäßes Medienrecht geschaffen werden, das eine Entwicklung, die sich international bereits abzuzeichnen beginnt, in den Griff bekommt und Beschneidungen journalistischer Freiheit verhindert.

Bei allen Schwierigkeiten, denen sich die freie Presse in den „kapitalistischen“ Ländern gegenübersieht, sollte jedoch — wie dies in letzter Zeit leider allzuoft geschieht — die kommunistische Definition der Pressefreiheit“ nicht vergessen werden; sie kann im sowjetischen Organ der Journalistengewerkschaft, „Journalist“, nachgelesen werden: „Das marxistische Konzept der Pressefreiheit im Rahmen des sozialistischen Systems verlangt nach völliger Freiheit für den kommunistischen Journalismus und Liquidierung der bourgeoisen Presse. Dies wird im Interesse echter Freiheit getan, um die bürgerliche Presse daran zu hindern, die Massen zu verführen.“

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