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Applaus für alte Hüte

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Unsere Medien hatten kürzlich wieder einmal etwas Feines zu berichten. „Gorbi“, wie der freundlich-dynamische Kreml-Chef Michail Gorbatschow in Österreich längst heißt, hat offensichtlich wieder einige Tropfen 01 in die

Laterne nachgegossen, die das Licht der neuen, besseren Zeit für die Sowjetunion leuchten läßt:

In der „Prawda“, so wurde berichtet, hat Jewgenij Primakow, Leiter des Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften und Berater Gorbatschows, der Idee des Exports der kommunistischen Revolution eine klare Absage er-, teilt. Das Grundkonzept der sowjetischen Außenpolitik müsse nun, heißt es, die politische Sicherung des Friedens sein…

Eine „Wende“ der Sowjetunion also auch in Sachen Außenpolitik?

Nein, nicht alles, was in hiesigen Ohren so neu klingt, ist es auch. Es liegt vielmehr am oft nicht ganz sachkundigen Bemühen auch hiesiger Redaktionen, etwas Neues aus der „Prawda“ herauszulesen, wenn dieser Eindruck vermittelt wird.

Schon vor mehr als 20 Jahren las man im Rechenschaftsbericht des Zentralkomittees der KPdSU an den XX. Parteitag: „Bis auf den heutigen Tag versuchen die Feinde des Friedens zu versichern, daß die Sowjetunion angeblich die Absicht habe, den .Kapitalismus in den anderen Ländern mit Hilfe eines .Exports der Revolution zu stürzen … Wenn wir davon sprechen, daß im Wettbewerb der zwei Systeme… das sozialistische System siegen wird, so bedeutet es keineswegs, daß der Sieg durch bewaffnete Einmischung der sozialistischen Länder in die inne-

ren Angelegenheiten der kapitalistischen Länder erreicht wird… Wir haben es stets betont und wiederholen es, daß die Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung in diesem oder jenem Land eine innere Angelegenheit der Völker dieser Länder ist… “

Nun ja, könnte man einwenden, das war ein Bericht Nikita Chruschtschows, und der war ja so eine Art Vorläufer des jetzigen Chefs in Moskau; ihm ging es vielleicht auch schon um so etwas wie Gorbatschows „Perestrojka“, nur konnte er das vielleicht nicht so deutlich sagen.

Aber schon die „Klassiker“ in der Sowjetunion ließen es nicht an Deutlichkeit fehlen, wenn es

darum ging, die Idee des Revolutionsexportes von sich zu weisen. Lenin etwa sagte am 28. Juni 1918 bei einer Gewerkschaftstagung in Moskau: „Gewiß, es gibt Leute, die da glauben, eine Revolution könne in einem fremden Land auf Bestellung nach Übereinkunft entstehen. Diese Leute sind entweder Wahnwitzige oder Provokateure …“

Stalin versicherte am 5. März 1936 auf die Frage nach den sowjetischen Absichten und Plänen für eine Weltrevolution einem Journalisten der New Yorker Times: „Wir haben niemals solche Pläne und Absichten gehabt!“

Es ist also durchaus keine Abkehr von der klassischen Lehre, wenn man in der Neufassung des Parteiprogrammes der sowjetischen Kommunisten vom März 1986 ebenfalls liest: „Die KPdSU war und ist der Ansicht, daß ein Export der Revolution prinzipiell unzulässig ist und daß sie niemandem von außen aufgezwungen werden darf.“ Schon in der zuvor geltenden Fassung vom Oktober 1961 hat es geheißen: „Eine Revolution läßt sich nicht auf Bestellung machen.“

Aber wie schrieb doch Primakow jetzt in seinem aufsehenerregenden Artikel so treffend: „Der sowjetische Staat genießt eine nie dagewesene Popularität im Ausland, sowohl in der einfachen Bevölkerung als auch bei der Intelligenz.“

Kein Wunder, daß dabei Programmthesen über Frieden, Sicherheit und „Konzession an die Vernunft“, wie es in der „Prawda“ heißt, um einiges populärer sind als zum Beispiel der sowjetische Truppeneinsatz in Afghanistan oder die direkten und indirekten Interventionen und Stützpunkte der Sowjetunion von den osteuropäischen Staaten angefangen über Angola, Mozambique oder Südjemen bis Vietnam. Und - weder das geltende noch das vorige Parteiprogramm schließen derlei Gewaltexporte für die Zukunft aus.

Aber vielleicht wird künftig so etwas von westlichen Kommentatoren, wenn schon nicht zur „exportierten Revolution“, so doch zumindest zum typischen Fall eines „Joint Venture“ erklärt, wenn man diesen ebenfalls so populären Ausdruck einmal vom ökonomischen Bereich auf den revolutionären übertragen darf.

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