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Selbsterforschung der Linken

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Von den großen in der jüngsten Wahlkampagne engagierten politischen Parteien zogen die Kommunisten als die letzten eine Bilanz ihrer Erfolge und Mißerfolge. Allerdings beschäftigten sich nicht nur das Zentralkomitee der KPF, sondern auch die Freunde und Gegner dieser Bewegung mit ihrer Zukunft. Denn diese ist ein konstantes Element der französischen Innenpolitik. Mit ungefähr 5 Millionen Stimmen und 73 Abgeordnetensitzen ist die KPF die zweitstärkste Partei außerhalb des sozialistischen Blocks. Da Frankreich mit einem permanenten Sitz) im Sicherheitsrat der UNO den Rang einer Weltmacht neben den USA, der Sowjetunion, China und Großbritannien beansprucht, ist die Position der französischen kommunistischen Partei wichtiger als jene der ihr zahlenmäßig überlegenen KP Italiens.

In der Diskussion um Strategie und Taktik der Kommunisten stehen nun zwei Fragen im Vordergrund: Wie weit ist Mitterands Meinung gültig, die kommunistische Partei, Partner des gemeinsamen Programms, habe sich in ihren Strukturen grundlegend geändert? Sie sei nicht mehr das willige Instrument der Kreml-Führung, sondern selbständig, und verteidige ausschließlich die nationalen Interessen ihres Landes. Damit ergabt sich die zweite Frage: In welcher Form die Nabelschnur zwischen dem Kreml und dem Glaspalast am Place Colonel Fabien weiterbestehe. Während der Wahlkampagne versicherten Sozialisten aller Schattierungen immer wieder, die Kommunisten würden das Spiel einer pluralistischen Demokratie spielen. Seien sie nicht etwa — so argumentierten die Bündnispartner — im Falle einer späteren Wahlniederlage bereit, die Macht zu verlassen und wieder das karge Brot der Opposition zu essen? Gerade in diesem Punkt gab es ein monatelanges Tauziehen zwischen Sozialisten und Kommunisten. Letztere vertraten die These, ein Staat, in dem der Sozialismus an die Macht gekommen sei, dürfe unter keinen Umständen wieder in die verhängnisvollen Schlingen des Kapitalismus geraten. Aber schließlich machten Marchais und sein Team dem Verhandlungsgenossen Mitterrand gegenüber die Konzession, den Wählerwillen respektieren zu wollen.

Außerdem versuchten die Sprecher der KPF, die Bürger mit größter Überredungskunst zu beruhigen, indem sie namens ihrer Partei bestritten, das kleine private Eigentum auch nur im geringsten antasten zu wollen. Ist also die KPF eine Reformbewegung, wie etwa der humanistische Sozialismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts? Oberflächliche, Beurteiler neigten dieser Ansicht zu. Kenner der Materie dagegen glauben nicht an eine Mutie rung der kommunistischen Partei Frankreichs. Wir führen hiezu die Zeugenschaft einer anerkannten Expertin in dieser Frage, der Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie auf der Universität Nanterre, Professor An-nie Kriegel, an. Madame Kriegel weist auf die Schlußansprache des Generalsekretärs Marchais auf dem 20. nationalen Parteikongreß hin. Der Nachfolger Waldeck-Rochets stellte eindeutig klar, daß die Zielsetzungen der Partei in keiner Weise einer Revision unterzogen worden seien. Die KPF will nach wie vor die „bestehende liberale kapitalistische Gesellschaftsordnung in einem revolutionären Prozeß stürzen und ein sozialistisches System einrichten.

Die französische kommunistische Partei war ohne Zweifel die „stalinistischeste“ außerhalb des Herrschaftsbereichs des Despoten. Der zweifellos bedeutende Staatsmann und jahrzehntelange Generalsekretär der Partei, Maurice Thorez, riskierte nie eine Abweichung, wie es sein italienischer Gefährte Togliatti tat. Die französischen Kommunisten akzentuierten den stalinistischen Personenkult auf eine fast würdelose Weise. Man erinnere sich der Tat Picassos. Er wagte es einmal, in einem genialen Gemälde die eigentliche Physiognomie des georgischen Diktators zu zeigen. Die Partei verurteilte daraufhin prompt einen der größten zeitgenössischen Maler als Majestätsbeleidiger.

Das Tauwetter kam dann mit dem ruhigen Waldeck-Rochet, der die Geschicke der Partei von 1964 bis 1969 lenkte. Während seiner Amtszeit lockerten sich die Bande der KPF zu Moskau. Die von den italienischen, spanischen und griechischen Kommunisten betriebene Form des Polyzentrismus fand damals, und bis 1970, ein zustimmendes Echo bei der KPF. Die Partei erlaubte sich sogar, den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Mächte in Prag zu verurteilen.

Unter Georges Marchais gewann jedoch die strenge Observanz wieder die Oberhand. In vielen bilateralen Gesprächen — zuletzt zwischen den Generalsekretären Breschnjew und Marchais —i wurden die Franzosen wieder auf die Linie der Kreml-Führung gebracht. In Paris hält sich das Gerücht, der Russe habe seinem französischen Genossen empfohlen, die innenpolitische Situation nicht zuzuspitzen und die. weltpolitische Situation der Sowjetunion zu respektieren. Diese besteht in der Wahrung des Gleichgewichts in Europa, der unbedingten Abhaltung einer Sicherheitskonferenz und der Intensivierung des großen Dialogs mit den USA. Auffallend ist, wie wenig die Presse der sozialistischen Staaten — sowohl im Mai 1968 als auch im Wahlkampf 1972/73 — die Union der Linksparteien propagandistisch unterstützt hat.

Außenpolitisches Ziel der KPF bleibt es weiterhin, eine feste Blockbindung in Westeuropa zu verhindern, die europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht zu einer Verteidigungsgemeinschaft heranwachsen zu lassen und die atlantischen Gespräche möglichst zu stören. Auf alle Fälle wird die KPF in ihren innenpolitischen Auseinandersetzungen und in ihren außenpolitischen Zielsetzungen die Willensäußerungen der sowjetischen Staats- und Parteiführung berücksichtigen. Für die KPF gibt es zumindest vorläufig keinen Polyzentrismus. Sie unterstreicht vielmehr weiterhin die Prioritätsansprüche der KPdSU im Weltkommunismus.

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