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Chancen einer neuen Weltwirtschaftsordnung

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Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Industrieländern und den Ländern der Dritten Welt sind trotz zahlreicher internationaler Konferenzen, Kommissionen und vieler Appelle weiterhin problematisch. Vor allem herrschen uneinheitliche Vorstellungen über die Grundordnung dieser Wirtschaftsbeziehungen.

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Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Industrieländern und den Ländern der Dritten Welt sind trotz zahlreicher internationaler Konferenzen, Kommissionen und vieler Appelle weiterhin problematisch. Vor allem herrschen uneinheitliche Vorstellungen über die Grundordnung dieser Wirtschaftsbeziehungen.

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Die Problematik der Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern der Dritten Welt wurde erst nach dem Zusammenbruch der Kolonialreiche in ihrer ganzen Tragweite erkannt. Vorher bestand eine durch die Machtverteilung nicht infrage gestellte Arbeitsteilung, in der der große tüchtige Bruder in Europa und Nordamerika die technologisch anspruchsvollen Industrieprodukte gegen die relativ einfach zu erzeugenden landwirtschaftlichen Produkte und Rohstoffe tauschte.

Die Unabhängigkeitsbewegung, die zunächst auf politische Selbständigkeit abzielte, hatte allerdings zur Folge, daß die nunmehr ungebundenen Länder sich auch mit der Frage nach ihrer wirtschaftlichen Zukunft konfrontiert sahen.

Hier war die Abhängigkeit durchaus nicht so leicht zu beseitigen, wie gerade auch die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigte. So weist etwa die Außenhandelsstatistik der Entwicklungsländer noch immer ein enormes Übergewicht der Rohstoffe aus: Noch 1976 betrug ihr Anteil an den Gesamtexporten der Länder der Dritten Welt 85%! Selbst unter Vernachlässigung des Erdöls machen Rohstoffexporte immer noch zwei Drittel aller Ausfuhren dieser Länder aus.

Dabei muß man berücksichtigen, daß die Preisentwicklung auf den internationalen Märkten starken Schwankungen unterliegt, wodurch die Ertragslage der Exportländer sehr ungewiß ist. Diese Schwankungen waren in den siebziger Jahren zwei- bis dreimal so hoch wie in den zehn Jahren davor.

Ein weiteres Problem der Rohstoffexporte liegt darin, daß sich die Austauschverhältnisse zu den als Gegenleistung eingekauften Industrieprodukten weiterhin verschlechtern: Die Preise der Industrieprodukte steigen rascher als die der Rohstoffe.

Es ist daher verständlich, daß die Entwicklungsländer Anstrengungen unternehmen, einerseits den Wert ihrer Produkte (insbesondere der Rohstoffe) möglichst hoch einzustufen, anderseits alles zu unternehmen, um aus der immer noch vorhandenen Einseitigkeit des Leistungsaustauschs herauszukommen.

Daher ergriffen sie die Initiative, eine neue Weltwirtschaftsordnung einzurichten. Das Grundanliegen war, den Weltwohlstand stärker zugunsten der Länder der Dritten Welt zu verteilen. Zu diesem Zwecke verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahre 1974 die „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“ gegen die Stimmen von sechs Industrieländern, darunter die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien und die USA.

Diese Charta einer neuen Weltwirtschaftsordnung verfolgte drei Hauptziele:

• eine rohstoffpolitische Neuordnung,

• die Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen und

• die Umverteilung der Weltindustrieproduktion.

Angeregt durch den Erfolg der OPEC war mehrfach der Versuch unternommen worden, die Produzenten anderer Rohstoffe zu Kartellen zusammenzuschließen, um ihre Exporterlöse zu steigern. Wegen unterschiedlicher Interessen der Beteiligten, starken Drucks der Industrieländer und aus anderen Gründen schlugen diese Versuche meist fehl.

Daher versuchten die Entwicklungsländer nunmehr internationale Vereinbarungen zu erreichen, die einerseits die Schwankungen der Rohstoffpreise verringern, andererseits die beständige Aufwertung der Rohstoffe sicherstellen sollten. In diese Richtung zielten internationale Rohstoffabkommen etwa für Kakao, Kaffee, Zinn, Zucker, und Olivenöl.

Bezüglich der Preisentwicklung bei Rohstoffen war die Koppelung der

Rohstoffpreise an einen Index der Preise maßgeblicher Importgüter aus Industrieländern vorgesehen.

Das zweite Anliegen zielt auf Herstellung eines gewissen Ausmaßes an Souveränität in den wirtschaftspolitischen Entscheidungen ab: Dabei ging es um die Kontrolle der ausländischen Direktinvestitionen.

Dem Vorteil der Hereinnahme von technischem Know-how steht der Nachteil des Abflusses von Gewinnen

aus den Entwicklungs- in die Industrieländer gegenüber. Hier sollen neue Formen der Kooperation eingeführt und sogar das Recht, ausländisches Eigentum nach nationalem Recht zu verstaatlichen, institutionalisiert werden.

Diese Anliegen zielen im wesentlichen darauf ab, den Marktmechanismus des internationalen Handelns durch ein Paket von Steuermechanismen zu ersetzen, deren Ziel es ist, eine gezielte Umverteilung des Weltwohlstands zu erreichen.

Angekämpft wird so gewissermaßen gegen den blinden Marktmechanismus, der die besondere Förderungswürdigkeit der Anliegen der Entwicklungsländer nicht berücksichtigt und eine Ordnung herstellt, die zu ihrem Nachteil ausfällt. Der eigentliche Feind aber ist die rücksichtslose Einseitigkeit mit der die „Partner“ der Entwicklungsländer

ihre Möglichkeiten am Markt ausnützen und nur ihre eigenen Interessen verfolgen.

Deutlich wird dies etwa in der mangelhaften Interessensvertretung beim Handel mit Rohstoffen aus Entwicklungsländern. Dorthin fließt oft nur weniger als 30% vom Endverkaufserlös. Der Großteil des Ertrags kommt dem Transport, der Lagerhaltung und dem Handel zugute. Machtkonzentration im Vertrieb mancher Rohstoffe ist einer der Gründe: Bei Aluminium, Bananen, Tee und Tabak etwa beherrschen weniger als sechs Großunternehmen jeweils ihren Markt.

Daß nicht so sehr der Markt der Feind ist, sondern daß Entwicklungsländer ihn durchaus nützen wollen, zeigt ihre Forderung nach Umverteilung der Weltindustrieproduktion.

Hier lautet nämlich das Anliegen: Erhöhung des Anteils der Entwicklungsländer von gegenwärtig etwa-10% auf 25% im Jahr 2000 (formuliert auf der 2. Generalkonferenz der UNIDO 1975 als sogenanntes „Lima-target“).

Dieses Ziel kann freilich nur dann erreicht werden, wenn die Industrieländer einerseits massiv in der Dritten Welt investieren: Schätzungen belaufen sich auf rund 150 bis .190 Milliarden Dollar jährlich. Andererseits müßte in den Industrieländern die Bereitschaft wachsen, Produkten aus den Entwicklungsländern Zugang zu den eigenen Märkten zu verschaffen.

Bezüglich dieser Forderung wird also sehr wohl auf die Funktion des Marktes

gebaut. Denn es gibt immer größere Bereiche der industriellen Produktion, in denen heute Entwicklungsländer schon sehr erfolgreich in den Industrieländern konkurrieren! Dies gilt vor allem für die Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie, aber auch für Sektoren der Elektronik- und Optikindustrie.

Hier versuchen wiederum die Industrieländer durch protektionistische Maßnahmen die Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus zu unterlaufen.

Damit wird offenbar, daß es sich bei der Frage nach den zukünftigen weltwirtschaftlichen Beziehungen um eine tiefergehende Grundsatzentscheidung handelt.

Letztlich geht es darum, ob sich die Industrieländer die Anliegen der armen Länder dieser Welt zu eigen machen wollen; ob sie sich für das Geschehen in den wirtschaftlich unterentwickelten Regionen mitverantwortlich fühlen.

Dies ist aber eine über das ökonomische hinausgehende Grundsatzentscheidung. Eine solche Entscheidung hätte selbstverständlich weitreichende ökonomische Auswirkungen. Sie kann aber nicht durch eine ökonomische Schönheitsoperation, wie sie der formale Beschluiß einer „neuen“ Weltwirtschaftsordnung in der UNO darstellt, ersetzt werden.

Dementsprechend mager sind dann nämlich auch die Erfolge: So blieb der Anteil der nicht Erdöl exportierenden Entwicklungsländer an den Gesamtausfuhren der Welt mit 12% von 1970 bis 1978 konstant (1950 hatte er noch 25% betragen). Auch das raschere Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer in den siebziger Jahren (5,7% gegenüber 3,4% in den Industrieländern) täuscht: Es rührt vor allem von der enormen Expansion der OPEC-Länder her.

Gegenwärtig spricht jedoch nichts dafür, daß ein echtes Umdenken stattfindet. Die Industrieländer sind mit ihren binnenwirtschaftlichen Problemen anscheinend voll ausgelastet. Von Entwicklungshilfe spricht heute kaum mehr jemand. Sie beträgt im Durchschnitt der reichen Länder nach wie vor magere 0,33% des Bruttonationalprodukts statt der seit Jahren zugesagten 0,7%!

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