7213200-1992_39_08.jpg
Digital In Arbeit

Der Trabbi hat ausgedient

19451960198020002020

Die Ossis sind in letzter Zeit ziemlich ins Gerede gekommen. Ein Lokalaugenschein in Sachsen und Thüringen beweist jedoch, daß sie besser als ihr Ruf sind. Mit der Romantik - von der klassischen bis zur kommunistischen - ist es allerdings vorbei.

19451960198020002020

Die Ossis sind in letzter Zeit ziemlich ins Gerede gekommen. Ein Lokalaugenschein in Sachsen und Thüringen beweist jedoch, daß sie besser als ihr Ruf sind. Mit der Romantik - von der klassischen bis zur kommunistischen - ist es allerdings vorbei.

Werbung
Werbung
Werbung

In einem haben die Ostdeutschen bereits westdeutschen Standard erreicht: Bei den Staus auf den desolaten Autobahnen, die nun generalsaniert werden. Aber nicht nur die Straßen, auch ganze Stadtviertel werden restauriert. Die neuen Bundesländer sind zu einer einzigen Großbaustelle geworden. So wird zum Beispiel das Schloß in Dresden wiedererrichtet. Darin werden zwar keine Fürsten mehr logieren, aber der internationale Geldadel, der sich ein Kempinski-Hotel der absoluten Luxusklasse leisten kann. Schon heute kostet ein schlichtes, dafür umso geschmackloseres Einbettzimmer mit Dusche in einem der ehemaligen Inter-Hotels 135 DM.

Bananen müssen keine mehr verteilt werden. Es gibt von Obst bis zu exklusiven Parfüms (in durchgestylten Geschäftslokalen) alles zu kaufen. Doch man wird das Gefühl nicht los, daß die neuen Geschäfte mehr von den zahlreichen westdeutschen Touristen frequentiert werden als von den (arbeitslosen) Ossis. Und dann müssen sich die neuen Bundesbürger von ihren Landsleuten jenseits der ehemaligen Zonengrenze auch noch sagen lassen, „wir haben '45 auch bei Null angefangen; ihr müßt erst mal wieder arbeiten lernen". Die Quar-tiergeberin aus Jena, die mir dies berichtete, fügte auch gleich hinzu: „Die ignorieren völlig, daß auch wir unser '45 hatten, danach aber 40 Jahre lang .umsonst' gearbeitet haben."

Gleichgültig mit wem man spricht, der Unmut über die Präpotenz der Wessis ist allgegenwärtig. Von der revolutionären Losung „Wir sind ein Volk" ist Deutschland viel weiter entfernt als im Herbst 1989. Auch von der Bonner Politik haben die O stdeut-schen, preußisch gesagt, „die Schnauze voll". Ihre Stimmung ist treffend durch einen Spruch auf einer Hausmauerin Weimar wiederzugeben: „Ich und Du - CDU / Helmuts Esel - die sind wir".

Vor diesem Hintergrund muß man die Ausschreitungen gegen Asylantenheime sehen. Es ist in erster Linie ein Auf-sich-aufmerksam-Machen und ein Protest darüber, daß man nach 40 Jahren kommunistischen Lügen nun auch von Bonn „verscheißert" wird. Sieht man sich die Nachrichten im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) an, so ist der Rechtsradikalismus keineswegs eine Erfindung der Ostdeutschen. Im Gegenteil: eine dort veröffentlichte Statistik zeigt, daß der prozentuelle Anteil der Neo-Nazis im Westen höher als im Osten ist. Im übrigen habe ich von Dresden bis Eisenach keinen Einheimischen gefunden, der mit den Randalierern sympathisiert hätte.

Eine Zwischenbilanz

Einiges hat sich schon verändert im ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaat, vieles bleibt aber noch zu tun. Die einstige Prachtstraße Dresdens, die Prager Straße, unterscheidet sich nur in den Ausmaßen vom Berliner Alexanderplatz. Um daraus wieder einen einladenden Boulevard zu machen, wird mehr nötig sein als die „Frittenbuden" abzureißen und in die Betonwüste ein paar Bäumchen zu pflanzen. Manchen Stolz der SED, etwa den Kulturpalast am Altmarkt mit den für die DDR typischen, riesigen bronzefarbenen Fenstern, sollte man aus optischen Gründen am besten abreißen, anderes hingegen, zum Beispiel die mit Marx- und Lenin-Zitaten durchsetzten Museen, sollten unbedingt erhalten bleiben.

Denn es wäre jammerschade, etwa das sehenswerte Jenaer Stadtmuseum „Göhre", das die Entwicklung des berühmten Ortes vom Weinbauerndörfchen zum Zentrum deutscher Kultur nachvollzieht, ideologisch zu entrümpeln. Der „Parnaß" deutscher Literatur, also Jena und Weimar, wurde auch schon zu DDR-Zeiten hochgehalten. Dementsprechend informativ und gepflegt sind die dortigen Gedenkstätten. Diskutiert wird unter den Wärterinnen des Goethewohnhauses (mit angeschlossenem Nationalmuseum) am Weimarer Frauenplan nur die Frage, ob alle ihren Arbeitsplatz werden behalten können, da sich der kommunistische Staat nahezu für jedes Zimmer eine Aufpasserin leistete.

In einigen, kurz nach der Wende erschienenen Reiseführern wird Weimar als etwas verschlafenes Provinznest beschrieben. Auch daran kann man sehen, daß der sogenannte Wiederaufbau voranschreitet. Denn heute hat sich die ehemalige „Metropole deutschen Geisteslebens" (so liest man's in einem Prospekt des Fremdenverkehrsamtes) zu einem durchaus ansprechenden und lebendigen Städtchen gemausert. Am Theaterplatz laden Cafes zum Verweilen an dieser für die politische und geistige Geschichte Europas so wichtigen Stätte ein. Denn hier steht das Deutsche Nationaltheater, in dem 1919 die Verfassung der Weimarer Republik beschlossenen worden war und davor die bekannten, mächtigen Statuen der Dichterfürsten Goethe und Schiller.

Freilich mit der heuer ihr 1.250-Jahr-Jubiläum feiernden thüringischen Hauptstadt Erfurt kann Weimar nicht mithalten. Hier, wo so wichtige Begegnungen stattgefunden haben wie jene von Napoleon und Goethe 1808 oder von den beiden Willis, nämlich Brandt und Stoph 1970, ist noch im Stasi-Staat mehr geschehen als etwa in Leipzig, das Erich Honecker angeblich aus Rache an dem Lepiziger Walter Ulbricht stärker hat verkommen lassen. So ist der Anger nicht erst heute ein von städtischem Flair erfüllter Boulevard während der Leipziger Hauptplatz, unter dem sich das Messegelände befindet, noch recht triste wirkt. Auch das Viertel um die als Ponte vecchio des Nordens bezeichnete Krämerbrük-ke über die Gera ist ausgezeichnet renoviert worden. In Leipzig dagegen sind die meisten Sehenswürdigkeiten (sofern sie nicht wie die Gewandhausoper jüngeren Datums sind) noch eingerüstet. Hier ist auch die DDR noch präsenter. So pilgern die Touristen hier heute aus Revolutions-Nostalgie in die architektonisch eher unbedeutende Nikolai-Kirche. In Erfurt jedoch steht natürlich der Dom im Zentrum des Interesses. Selbstverständlich hat auch Leipzig historisch Bedeutendes aufzuweisen, zum Beispiel die Thomaskirche, in der Johann Sebastian Bach als Kantor tätig war, oder „Auerbachs Keller", weltbekannt durch Goethes „Faust".

Die wahrscheinlich „deutscheste" Gedenkstätte der neuen Bundesländer ist Martin Luthers Wartburg. Dorthin wälzen sich auch Ströme von Touristen. Zwar kann man sich von Eisenach aus „mit dem Wartburg auf die Wartburg" chauffieren lassen (statt die knappe dreiviertel Stunde zu Fuß hinauf zu gehen), doch die durchschnittliche Wartezeit von einer guten Stunde für die Besichtigung der Burg mit Luthers Studierstube kann man nur in Geduld ertragen oder aufgeben.

Den Trabbi, sowohl Symbol für das DDR-Regime als auch für die Flucht vor ihm, sieht man zwar noch, aber er prägt nicht mehr das Bild.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung