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Die Avantgarde zeichnet
Die Herbstflaute in Wiens Avantgardegalerien ist vorbei. Qualität wird als Devise wieder großgeschrieben, Namen mit überregionalem, ja, sogar internationalem Ruf fehlen nicht. So zeigt Kunstkritiker und -manager Peter Baum in seiner Schottenring-Galerie Multiples und Serigraphien des berühmten Künstlers der Kinetik und Op-Art, des 54jährigen Ungarn und Wahl-Parisers Victor Vasarely. Er hat als einziger Op-Artist konsequent seine Ästhetik der optischen Information durchgeführt: Ästhetik, die von der geometrischen Grundform, vom Positiv- und Negativeffekt, von Permutationen, Serien, Farbtonleitern und programmierten Abfolgen bestimmt wird. Vasarely sollte man allerdings längst nicht mehr als Maler ansprechen. Seit seiner Erfindung der „plastischen Einheiten“ (1955) ist er vor allem Arrangeur, ein Artist, der mit Baukastenelementen spielt. Wichtigstes Charakteristikum seiner Arbeiten ist nun das Quadrat, dem wieder kleinere geometrische Formen (Kreis, Ellipse, Dreieck, Quadrat, Rechteck) eingeschrieben werden. Damit erzielt Vasarely das programmierte Kunstwerk aus Normteilen, die beliebig aneinandergereiht werden können. Allerdings wird man gerade bei seinen Multiples der letzten Jahre, bei den Kunststoffplastiken im Auftrag der Editions Pyra wie bei den Druckgraphiken, nie ganz den Eindruck los, daß einem da ein sinnund zweckfreier Massenkonsumarti-kel vorgesetzt wird. Ein Massenartikel, mit dessen Hilfe Vasarely zwar versucht, Kunst in den Alltag zu integrieren und unsere Bewußtseinserweiterung im optisch-ästhetischen Bereich mitzubestimmen, der aber in Wirklichkeit längst zum dekorativen Souvenir degradiert wurde, weil der Kunstmarkt ihn genauso als „Markenkunstwerk“ angepriesen hat wie irgendein kostbares Bild.
Zeichnungen und Druckgraphiken des in der Schweiz und auf internationalen Ausstellungen erfolgreichen Wieners Alfred Hofkunst (Jahrgang 1942) sind in der Galerie nächst Sankt Stephan zu sehen. Seine besten Arbeiten wurden in Gruppenausstellungen in Buenos Aires, auf der „3. Internationale der Handzeichnung“ in Darmstadt, in New York, im Pariser Grand Palais, 1971 auf der Biennale von Sao Paolo und 1972 auf der „Internazionale Grafica“ in Lugano viel beachtet. Hofkunst zählt sicher zu den besten Tips des Kunstmarkts: ein souveräner Zeichner und Lithograph, der mit frappierend exaktem Realismus Objekte täuschend naturgetreu festhält — Kleider an einer Wand, Leintücher auf der Wäscheleine, Gurkenscheiben, Notizblockseiten —; aber er zeichnet diese Quasi-Photos „überscharf“ und führt so über die Bestandsaufnahme hinaus. Die Dinge scheinen plötzlich von einer magischen Realität beseelt, führen ein isoliertes Dasein.
Ähnliche Tendenzen zeigt die für die österreichische Avantgardezeichenkunst seit den späten sechziger Jahren sehr charakteristische Ausstellung in der Galerie Grünangergasse 12. Zu sehen sind: mit erstaunlicher Detailgenauigkeit registrierte Umweltverfremdung, von Max Peintner, expressive Federskizzen, Aktionsprotokolle von Günther Brus, Walter Pichlers kunstvoll schattierte Studien für die Aufschüttung von Erdhügeln, Gräbern, Denkmäler; Attersees leger-phantastische Skizzen für menschliche Prothesen... Zum Besten, Anspruchsvollsten der ausgestellten Arbeiten gehören Bruno Gironcolis Objektgrafiken, großformatige Gouachen, auf deren leeren Farbflächen sich vor dem Betrachter erstaunliche Spannungen zwischen Relikten aller Art entwickeln. Gironcoli provoziert die Leere, verunsichert den Betrachter, läßt ihn unmerklich in elektrisch aufgeladene Zonen geraten und surreale Zusammenhänge verspüren.
Bei Würthle ist „Wirklichkeiten“-Mitglied Peter Pongratz zum zweiten Male mit Bildern und außerdem mit einer Graphikmappe (Text: Peter Handke) vertreten. Er ist zu seinem früheren Lieblingsthema zurückgekehrt: zu „Querschnitten“... Also schneidet Pongratz Meeresküsten, Fabeltiere, Menschen entzwei, läßt Maschinen, im Schnitt gesehen, arbeiten. Und er halbiert den menschlichen Kopf, um Apparaturen psychischer Steuerung, seine „Modulatoren“, vorzuführen. Es ist ein Versuch „unter die Oberfläche“ zu schauen, ein Versuch, in die bizarre „Welt aus dem Kopf“ (Handke) einzudringen.
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