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Die Einheit, zu überleben

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Es gab wohlmeinende Irrtümer, Mißverständnisse, Meinungsverschiedenheiten, viel Offenheit und das heftige Bemühen gegen Vorurteile anzukämpfen, vor allem gegen das, daß Gott sich nur einer bestimmten Kunst der Vergangenheit geneigt gezeigt habe, mit der Kultur der Gegenwart aber nichts zu tun haben wolle.

„Kultur und Glaube" war das Motto einer Studientagung in Graz vom 4. bis 6. März, die der

Vorbereitung des Osterreichischen Katholikentages 1983 diente, die Klüfte offenlegte und versuchte. Brücken über diese Klüfte hinweg zu schlagen.

Gleich zu Beginn der Tagung hatte der steirische Landtagspräsident Professor Hanns Koren versucht, den Kulturbegriff möglichst breit zu fassen: nicht als Sache einer Elite, sondern Kultur als Prozeß, in den jeder einbezogen sei. Der Glaube wiederum helfe dem Menschen, ein Mensch zu sein. Kultur und Glaube, so formulierte Koren, seien die Einheit, „die wir zum Uberleben brauchen".

Egon Kapellari, der Bischof von Gurk-Klagenfurt, deutete am Attend des ersten Tages zwei Probleme an, die auch heute noch zu Verständigungsschwierigkeiten zwischen Glaube und Kunst führen: Die umfassende Gegenwart der großen Werke toter Künstler enge den Spielraum der Lebenden ein, „drängt sie hinaus ins Offene des noch nie Gesagten, noch nie Gemachten, an die Grenze, wohin die Zeitgenossen nicht oder nur langsam mitgehen". Und das zweite Problem: wir haben das Hören, das Schauen verlernt. Kapellari sprach von einer „Verkleisterung der Sinne".

Um die Heilung von der Blindheit und von der Taubheit der Christen gegenüber zeitgenössischer Kunst ging es auch Professor Günter Rombold aus Linz in seinem Referat über den „Prophe-

tischen Auftrag der Kunst". Rom-bolds Vorwurf an die Christen: Die Provokationen der modernen Kunst seien empört oder ängstlich abgewehrt worden, aber die starken Bezüge zur Religion, die es in dieser Kunst auch gebe, seien nicht erkannt worden.

Wie weit das Land dieser Religion der Künstler ist, wurde sehr anschaulich in einem der acht Arbeitskreise demonstriert: Im Gespräch mit den Literaten Jeannie Ebner, Jutta Schütting, Matthias Mander und Klaus Hoffer. Jeannie Ebner wollte statt des Wortes Glaube den Begriff Frömmigkeit gesetzt sehen, von diesem Glauben komme sie nicht los, sagte sie, gab aber gleichzeitig sehr deutlich zu verstehen, daß sie sich dem kirchlichen Glauben entfremdet habe.

Jutta Schütting dagegen bekannte: „Mir steht die Kirche näher als der Glaube — eine Kirche allerdings, die nicht als Heilszeichen des Kommenden verstanden wird, sondern, wie die Schriftstellerin deutlich machte, als Trägerin alten Kulturgutes. Und so reagierte Jutta Schütting dort mit „Mitleid und Ironie", wo sie glaubt, daß Rituale dieser Kultiar-institution Kirche „heruntergekommen" sind.

Matthias Mander, der Autor des „Kasuar", Direktor in einem großen österreichischen Unternehmen, war der einzige, der sich ohne Vorbehalte als „bewunderndes und dankerfülltes Kind der Kirche" bekannte. Er habe, so sagte Mander, in seinem Leben und in den theoretischen Erfahrungsbefunden über den Weltlauf „die von unserer Kirche dargestellten und vorgelebten Lehren über Heil und Unheil voll bestätigt gefunden".

Klaus Hoffer wiederum („ich bin nicht getauft") meldete persönliche Widerstände an gegen das „Huren mit der Wahrheit" (Lessing), bekannte aber, daß er in sich „religiöse Zustände und Gefühle" entdecke, die er nicht zuordnen könne.

Dieser Pluralismus, nicht nur im Bereich des Glaubens, war wenige Stunden vorher von Alfred Kolleritsch, dem Herausgeber der Manuskripte und Petrarca-Preisträger, in einer philosophisch tiefschürfenden Rede nicht unangetastet geblieben: Pluralismus könne nur vorübergehend vom Gemeinsamen ablenken. Kolleritsch konstatierte zwar den Abbau neuer Mythen, wie etwa der Wissenschaft oder die Entartung der Vernunft zur Rationalität, warnte aber vor einem neuen Irrationalismus durch Remytholo-gisierung. In einem neuen Mythos aber sieht er ein mögliches Verständigungssystem, die Ermöglichung eines gemeinsamen Problembewußtseins: „Glaube als Hoffnung einer Annäherung und Kreativität der Kunst als Ebene des Erfahrungsaustausches".

Um auch mit ein paar konkreten Aktionen diesen mühsamen und langwierigen Prozeß der Annäherung von Kultur und Glauben etwas voranzutreiben, hat Bischof Weber für die Diözese Graz-Sek-

kau einen Kunstpreis gestiftet, und zehn moderne Künstler wurden eingeladen, bis Herbst Entwürfe für die Ausgestaltung von drei Kirchen auszuarbeiten. Daß es zu diesem Versuch einer neuen Art der Kunstförderung in Zusammenarbeit mit dem „Steiri-schen Herbst" kam, ist auch ein hoffnungsförderndes Symptom einer notwendigen Annäherung.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der „Kleinen Zeitung" in Graz

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