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Die Religion soll keine Chance mehr haben

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Was für Lateinamerika die Diktatur in Chile ist, scheint für Europa mehr und mehr der Führungsapparat in Prag zu werden: ein antidemokratisches Regime, das seinen Machtan^ Spruch nur mit Methoden sichern kann, die sich von denen Hitlers oder Stalins lediglich im Ausmaß unterscheiden. Der Terror gegen Andersdenkende und die Verfolgung namentlich der Christen, die Liquidierung religiösen Lebens und dje Zerstörung des kirchlichen Gefüges jedenfalls erinnern fast schon an antike Greueltaten, nicht nur an zeitgeschichtliche Gewaltexzesse. Sie sind in keinem anderen Ostblockstaat - nicht einmal in der UdSSR - so ausgeprägt wie in der Tschechoslowakei, einem Land, das traditionsgemäß katholisch ist

Die Tätigkeit der Kirche, die Glaubensfreiheit und die Religionsausübung sind zwar gesicherte Verfassungselemente, doch ist das Grundgesetz, wie in den meisten Diktaturen, nicht mehr als,nur ein Stück Papier. Schon seit den fünfziger Jahren, vermehrt jedoch seitHusäks Amtsantritt, und mit besonderer Heftigkeit seit Anfang 1976 wird von der Prager Führung alles unternommen, um die Bevölkerung in Böhmen, Mähren und der Slowakei dem christlichen Bekenntnis zu entfremden und die gewachsene kirchliche Ordnung zu zerstören. Die erzbischöflichen Verwaltungssitze sind ebenso verwaist wie die - zum Teil von Administratoren übernommenen - Diözesen und wie 1706 von fast 4700 einstigen Pfarreien.

Den stärksten Repressalien sieht sich die Geistlichkeit der Katholiken ausgesetzt. Ein Siebentel von ihr, 520 an der Zahl, ist suspendiert oder verhaftet und in Kerkern festgehalten. Die Tätigkeit der übrigen hat sich an staatlich vorgeschriebene Weisungen zu halten, Einschüchterung und Drohung aber engen auch noch diesen Freiraum ein. So mußten erst vor kurzem Hunderte von Geistlichen den Weg zum STB antreten, zu der unter Husäk wieder straff gezügelten Gestapo, und wurden aufmerksam gemacht, daß die Beschlüsse von Helsinki nicht das geringste an der offiziellen Haltung gegenüber der Kirche oder den Gläubigen geändert hätten, und daß man nicht versuchen möge, sie etwa umzudeuten oder zu verfälschen.

Die Tätigkeit des noch verbliebenen Klerus einzuengen und abzuwürgen, darf als das Hauptziel des staatlichen Bemühens angesehen werden. Prag plant zum Beispiel, alle über 60 Jahre alten Geistlichen in den Ruhestand zu schicken, um so eine frühe „Uberalterung“ des Klerus zu schaffen. Gleichzeitig wird der Priesternachwuchs gebremst. Die wenigen Seminare, die noch den Bewerbern um ein theologisches Doktorat offenstehen, unterliegen dem Numerus clausus (in Leitme-ritz etwa gelangten von 204 Inskriben-ten nicht mehr als 25 zum Zug). Klöster wurden geschlossen und aufgelöst, die Mönche und Ordensfrauen zivilen Berufen oder auch der Zwangsarbeit zugeführt. Es soll keine Schüler, es soll keine Lehrer mehr geben; die Theologie soll verschwinden.

Auf breiter Front wird auch versucht, den auf nur eine Stunde wöchentlich begrenzten Religionsunterricht an den Schulen abzuschaffen. Die Eltern müssen, sollten sie sich überhaupt dazu entschließen, für ihre Kinder einen Antrag auf Teilnahme am Religionsunterricht stellen, der die Genehmigung der kommunistischen Bezirksbehörde braucht. Die Folge sind berufliche Schikanen für die Eltern und Repressalien für die Kinder, die dann in der Regel keine höhere Schule und keine Universität mehr besuchen dürfen. Zudem hat man die Propaganda für den Atheismus auch in den Schulen verstärkt, um aufkeimendes religiöses Interesse zu unterlaufen.

Das atheistische Bewußtsein, heißt es nämlich, könne nicht von selbst zu einem Teil der öffentlichen Meinung werden. Es müsse zäh und unbeirrt in alle Denkprozesse eingefiltert werden. Die Konsequenz daraus ist bereits ein weiterer Schritt: man will der Bevölkerung, die sich zu 86,9 Prozent als gläubig bekennt, „Ersatz für ihre Glaubensäußerungen bieten“, also ihr auch Taufe, Trauung und Beerdigung als sakramentgebundenes Kirchen-' brauchtum nehmen... All das im Widerspruch nicht nur zur eigenen Verfassung, sondern auch zu Menschenwürde, Menschenrecht und jener Akte von Helsinki, die sich am Beispiel der Tschechoslowakei als Farce erweist: gleich nach Helsinki nämlich hatte sich dort die Kommunistische Partei zu einer Weisung aufgerafft, die das Ergebnis dieser Konferenz sogleich ad absurdum führte.

„In naher Zukunft“, hieß es da, „ist es unbedingt notwendig, auf dem Gebiet des Kampfes gegen die Religion härter und zielbewußter vorzugehen und den Raum für kirchliche Tätigkeiten immer weiter einzuschränken“. Vor allem sei die Zahl der Atheisten im ersten Halbjahr 1976 von 13,1 auf 25 Prozent, die Zahl der Schüler, die dem Religionsunterricht fernbleiben, um 50 Prozent zu steigern. Zudem sei in Betrieben, Ämtern und Schulen die Werbung für den Kirchenaustritt zu forcieren; man möge notfalls mit Entlassung oder Schulverweisung drohen.

So weit, so ungeheuerlich! Ebenso ungeheuerlich aber ist es, daß 250 „Friedenspriester“ all das toleriert haben. „Pacem in terris“ nennt sich die Vereinigung der Priesterrenegaten, die sich der Gunst des „Amts für Kirchenangelegenheiten“, mit anderen Worten also: der Regierung und der Partei, erfreuen, und die man sogleich nach Helsinki hatte tagen lassen. Der erzbischöfliche Verwalter Jo-zef Vrana negierte dabei ebenso die Unterwanderung der Kirche durch den Staat wie Bischof Jozef Feranec aus Banska Bystrica und Bischof Julius Gabris aus Trnava. Dieser meinte lediglich, die Arbeit für den Frieden müsse schon daheim und auf dem Arbeitsplatz beginnen. Im übrigen sei zu erwägen, wie man'„das optimale Wohl der Menschen in einer sozialistischen Gesellschaft sichern“ könne ...

Seither, scheint es, hat sich in der Tschechoslowakei die Religion tatsächlich ihrer Chance begeben. Dem Kommunismus ist es, wie jeder Diktatur, wesensimmanent, die Kirche und den Glauben zu bekämpfen. Wenn aber Kirchenfürsten so offenkundig Verrat betreiben, rückt die Tragödie fast schon in die Nähe Golgathas. Das neue Golgatha heißt Tschechoslowalrpj

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