6988068-1986_34_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Rückkehr zum Vater

19451960198020002020

Buße ist notwendige Versöhnung mit Gott und der menschlichen Gemeinschaft. Eine zeitgemäße Hinführung könnte die „Schwellenangst“ vor den Beichtstühlen nehmen.

19451960198020002020

Buße ist notwendige Versöhnung mit Gott und der menschlichen Gemeinschaft. Eine zeitgemäße Hinführung könnte die „Schwellenangst“ vor den Beichtstühlen nehmen.

Werbung
Werbung
Werbung

In meiner Jugend habe ich mir manchmal gedacht, daß es das Leben bedeutend „lustiger“ machen würde, fühlte ich mich nicht an die Gebote und an die christliche Lebensform, in der ich aufgewachsen war, gebunden. Mit zunehmender Einsicht in die Zusammenhänge des Lebens wurde mir — auch durch mein Theologiestudium- immer klarer, daß auch Nichtglaubende sich an einen Verhaltensrahmen binden müssen und daß sich gerade der altte-stamentliche Dekalog an einer allgemein menschlichen Sittlichkeit orientiert.

Das Christentum, das den Menschen den liebenden Gott kündet und das ihn in Jesus Christus auch dankbar glaubt, setzt vor den sittlichen Normen des Alten Testaments die Dimension der Liebe voraus. Die Sorge Gottes um die gefallene Schöpfung wird uns in der Heilsgeschichte des Alten Bundes deutlich vor Augen gestellt. Im Neuen Bund realisiert sich diese Zuwendung des Schöpfers in der Menschwerdung des Gottessohnes, im Gott und Menschen Jesus, dem Christus, dem Erlöser! Seine Botschaft zum Heil aller Menschen weiterzugeben ist Aufgabe der Kirche. So ist der Weg Jesu eine hilfreiche Weisung für den einzelnen Christen, aber auch ein Auftrag für alle Glaubenden.

Aber es gibt vielfache Verfehlungen. Weniger aus Bosheit gegen Gottes Liebe, sondern aus Schwäche den eigenen Sehnsüchten und Triebregungen gegenüber. Grundsätzlich will ich Gott nicht kränken, meinem Mitmenschen nicht schaden, aber man kann sich ja nicht um alles kümmern: jetzt will ich einmal das tun, was mir Spaß macht, ohne Rücksicht auf andere...

Wie der jüngere Sohn im Gleichnis (Lk 15,11-32), der sich von seinem Vater das Erbteil auszahlen läßt und fortzieht, um sich ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Erst wie er alles durchgebracht hat, besinnt er sich wieder auf das gute und schöne Leben zu Hause, auf die Liebe des Vaters und auf die geordnete Zusammengehörigkeit aller im Haushalt. So beschließt er, wieder nach Hause zu gehen und den Vater um Verzeihung zu bitten.

Nun kommt für mich die schönste und tröstlichste Stelle im ganzen Gleichnis: „Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küßte ihn.“ Dieses Entgegenkommen schenkt der Vater im zweiten Teil der Bildrede Jesu auch dem älteren Sohn. Der ist wegen des Festes gekränkt, mit dem der glückliche Vater den Heimgekehrten feiert; er neidet dem Bruder nicht nur das Fest, sondern wohl auch die Sünden, um die er sich in seiner Bravheit zu Hause geprellt fühlt...

„Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu...: Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.“

Am Anfang der Kirche, wo Erwachsene sich für den Weg Christi entschieden hatten, war es kaum vorstellbar, daß jemand diesen Weg des Heiles leichtsinnig in einer schweren Schuld wieder vertun würde. So gab es eine Zeitlang eine Spannung zwischen einer strengeren Richtung, die schweren Sündern die Vergebung nicht mehr zusprechen wollte, und einer liberaleren, die um die Schwäche auch des Treuesten sehr wohl wußte. Das Beispiel des liebevollen Vaters setzte sich durch, und dem, der seinen Fehler vor Gott und den Menschen eingesehen hatte, wurde — nach einer gewissen Bußzeit — wieder vergeben.

So wuchs im Schoß der Kirche die Vergebung der Verfehlung des Weges Jesu zu einem feierlichen Zeichen der Hilfsbereitschaft des Herrn, zu einem Sakrament, heran. Was vor Jahrzehnten Kinder im Religionsunterricht gelernt haben, ist zwar unmodern, aber doch einprägsam. Das Bußsakrament umschreiben die „fünf B“: besinnen, bereuen, bekennen, büßen, bessern; Buße ist kein äußeres Ritual, sondern ein Vorgang tief drinnen im Menschen.

Da Schuld einzusehen und einzugestehen das Innerste des Menschen betrifft, hat die Kirche nach einigen Jahrhunderten die Spendung gerade dieses Sakraments aus der Öffentlichkeit der Gemeinde herausgenommen und den Priester als Vertreter des Herrn auch zum Vertreter der Gemeinde bestimmt.

Er soll die Umkehr des Christen annehmen und ihm Gottes Vergebung im Namen der Kirche zusprechen: „Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters.. .“—so heißen die neuen Lossprechungs-worte.

Da beim Bußsakrament ein Mensch sein Innerstes bloßlegt, bedeutet das auch für den Priester eine ungeheure Verantwortung: es braucht Taktgefühl und Demut, Geduld und Liebe, Distanz und Zuneigung, um dem verwundeten Menschen Gottes heilendes Wort zu sagen. Da der wesentliche Bestandteil des Bußsakraments, die „Ohrenbeichte“, als Bekenntnis der konkreten Verfehlungen, in einen schlechten Ruf gekommen war, haben viele erleichtert aufgeatmet. Schnell waren Bußgottesdienste mit allgemeiner sa-

kramentaler Lossprechung eingeführt — zwei richtige Elemente miteinander unklug vermengend: Zum ersten tut es sicher jeder Gemeinde gut, Gott in einem Bußgottesdienst ihre gemeinsame Verantwortung für die Verwirklichung von Gottes Liebe zu bedenken, zum anderen gab und gibt es erlaubterweise die Generalabsolution in außerordentlichen Situationen. — Die Gläubigen waren es zufrieden, denn wer erzählt einem anderen schon gerne seine Fehler, und auch viele Priester waren froh, im Beichtstuhl nicht mehr vom alltäglichen Sündigen ihrer Christen belastet zu werden.

Meiner Meinung nach, und meine jahrelange Praxis in den Beichtzimmern der Domkirche bestätigt diese Ansicht, sind beide Seiten betrogen. Die Gläubigen, weil sie ihre Schuld nicht wirklich losgeworden sind, denn dazu gehört das Aussprechen, das einem anderen Sagen, und auch die Priester, die sich um die Chance bringen, Gottes heilende Liebe im Leben eines Menschen miterleben zu dürfen.

Wir Menschen leben in Schuld. Daß diese Schuld ernst ist, das zeigt das viele Leid, das Menschen über Menschen bringen. Daß Gott die Schuld der Menschen ernstgenommen hat, das zeigt die Kreuzigung seines Sohnes. Damit zeigte er den Sündern aller Zeiten, daß er ihnen helfen will. Und so dürfen wir voll Vertrauen — in aller Sündenverstricktheit - auf das Entgegenkommen des Vaters hoffen ...

Der Autor ist Dechant und Domvikar zu St. Stephan in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung