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Kirche auf dem Prüfstand

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Seit etwa zehn Jahren befürwortet eine wachsende Zahl von engagierten Christen, Seelsorgern und Theologen eine Änderung der bisherigen kirchlichen Praxis in bezug auf Scheidung und Wiederverheiratung. Dabei verlangen die einen, daß die Kirche unter bestimmten Umständen die zweite Verbindung als gültige Ehe anerkenne, die anderen meinen, sie solle lediglich die in einer Zweitverbindung Lebenden nach einer gewissen Zeit wieder zu den Sakramenten zulassen, ohne das Aufgeben der Geschlechtsgemeinschaft zu verlangen.

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Seit etwa zehn Jahren befürwortet eine wachsende Zahl von engagierten Christen, Seelsorgern und Theologen eine Änderung der bisherigen kirchlichen Praxis in bezug auf Scheidung und Wiederverheiratung. Dabei verlangen die einen, daß die Kirche unter bestimmten Umständen die zweite Verbindung als gültige Ehe anerkenne, die anderen meinen, sie solle lediglich die in einer Zweitverbindung Lebenden nach einer gewissen Zeit wieder zu den Sakramenten zulassen, ohne das Aufgeben der Geschlechtsgemeinschaft zu verlangen.

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Zweifellos kann nur eine Untersuchung des Gesamtzusamnienhan-ges deutlich machen, welche Schwierigkeiten einer Kommuniongewährung entgegenstehen. Im folgenden sollen Gründe und Gegengründe summarisch dargestellt und gegeneinander abgewogen werden.

Es handelt sich beim Verbot der Scheidung nicht, wie vielfach behauptet, um ein bloßes Kirchengesetz, sondern um eine ausdrückliche Verfügung Jesu, die abzuschaffen oder wesentlich abzuändern die Kirche nicht befugt ist. An vier Stellen zitieren die drei ersten Evangelien den entscheidenden Ausspruch Jesu: Mt 5, 31—32; Mt 19, 1—9; Mk 10, 1—12; Lk 16, 18. Damit stimmt Paulus überein, der im 1. Korintherbrief 7, 10 bezeugt, daß „der Herr“ und nicht er selbst dieses Gebot (im Unterschied zu vielen anderen Gemeinderegeln) aufgestellt hat.

In neuester Zeit allerdings vertreten einige Theologen die Ansicht, die kirchliche Praxis sei nicht identisch mit dem, was Jesus gemeint habe; es seien auch weniger strenge Regelungen denkbar, die seinem Gebot gerecht würden.

Unter denen, die solches behaupten, kann man, etwas summarisch, zwei Gruppen unterscheiden:

Die einen sagen, Jesus habe nicht oder wenigstens nT£ht in Jedem Fall die Ungültigkeit der zweiten Verbindung ausgesprochen.

Andere geben zu, daß Jesus tatsächlich die Ehe für unauflöslich erklärte, meinen aber dennoch, die in einer Zweitverbindung Lebenden könnten unter bestimmten Voraussetzungen zu den Sakramenten zugelassen werden.

Die Idee der Ungültigkeit (und nicht bloß Unerlaubtheit) der zweiten Verbindung, so sagt die erste Gruppe, sei eine dem römisch-mittelalterlichen Denken entsprungene juridische Vorstellung, die Jesus selbst ferngelegen habe. Richtig daran ist, daß erst in der abendländischen Theologie des 11. Jahrhunderts die Uberzeugung von der Ungültigkeit der zweiten Verbindung mit letzter Folgerichtigkeit zum Durchbruch kam. In der Kirche des ersten Jahrtausends hat es diese Überzeugung auf Grund der biblischen Texte ganz sicher auch gegeben; daneben aber treffen wir in dieser Zeit auf Beispiele, in denen diese oder jene Verhaltensweise von Bischöfen nur verständlich wird, wenn man annimmt, daß sie die dem Gebot Jesu entgegenstehende Verbindung zwar für unerlaubt, wohl aber für gültig angesehen haben.

Die klare Lehre der abendländischen Theologie seit dem 11. Jahrhundert wurde von den Päpsten übernommen und von ihnen fortschreitend auch den unierten orientalischen Kirchen vermittelt. Zum Abschluß ist diese Entwicklung im 19. Jahrhundert gekommen, als die letzten unierten Orientalen die bei ihnen herkömmliche Duldung der Wiederverheiratung aufgaben.

An den zitierten Evangelienstellen wird nicht nur der Mann, der seine Frau (in damals rechtsgültiger Form) wegschickt, des Ehebruchs bezichtigt, sondern ebenso derjenige, der daraufhin eine solche geschiedene Frau heiratet. Was bedeutet das anders, als daß Jesus dem Scheidebrief, dem damaligen zivil und religiös rechtskräftigen Mittel der Scheidung zwecks Widerverheiratung, jedwede Gültigkeit und Rechtskraft absprechen will? Jede neue Verbindung ist nach ihm Ehebruch, weil die frühere Ehe, unabhängig vom späteren Willen der Partner, vor Gott und damit in der eigentlichen Wirklichkeit bestehen bleibt. Ist die Zweitverbindung aber Ehebruch, dann kann sie keine Ehe sein. Dabei mußte nach dem mosaischen Gesetz die weggeschickte Frau gerade deshalb, einen Scheidebrief erhalfen, damit sie im*

Fall einer neuen Verbindung nicht des Ehebruchs bezichtigt werden konnte! Für Jesus handelt es sich bei dem, was zwischen den Partnern einer gescheiterten Ehe bestehen bleibt, nicht um ein bloßes „abstraktes Eheband“, um eine „juridische Fiktion“, die allein noch zurückbliebe, wenn Liebe und Zuneigung geschwunden sind, wie vielfach, mitunter sogar von Theologen, behauptet wird. Nach den Worten Jesu ist die Ehe eine Einheit, von der er sagt, daß sie nach dem Schöpfungsplan Gottes unwiderruflich ist. Mann und Frau werden „ein einziges Fleisch“; dabei „verläßt der Mann Vater und Mutter“, die Bindung an den Partner ist jetzt stärker als die an die Eltern: dann muß sie aber auch wenigstens ebenso fest sein. Nun aber kann eine Mutter niemals gültigerweise sagen, ihr Kind sei nicht mehr ihr Kind, einerlei, wie böse und feindselig es sich ihr gegenüber verhält. Genauso ist es nach den Worten Jesu mit den Partnern in der Ehe.

Seit Jahrzehnten hat man sich daran gewöhnt zu sagen, ein Katholik dürfe aus wichtigen Gründen die Scheidung beantragen, vorausgesetzt, daß er keine neue Verbindung einzugehen beabsichtige. Es müßte jedoch klar hinzugesagt werden, daß dabei die Ehe eben doch nicht aufgelöst wird. Die beiden bleiben Partner der einen Ehe und tragen weiterhin füreinander eine ganz einmalige Verantwortung im Hinblick auf das ewige Heil: eine Verantwortung, der sie wenigstens durch Gebet und Opfer nachzukommen gehalten sind, sofern es anderswie (einstweilen) nicht möglich ist.

Weil ein solches Verhältnis exklusiv ist, weil es einen solchen Platz im Herzen eines Menschen nur einmal gibt, darum ist jede rechtmäßige Zweitverbindung zu Lebzeiten des anderen Partners unmöglich. Wollte jemand diese geistlich-religiöse Verpflichtung dem Partner gegenüber abschütteln und ihn völlig „abschreiben“, so wäre schon dieser Entschluß und nicht erst die Wiederverheiratung Sünde des Ehebruchs.

Von einer Reihe von Theologen werden die einschlägigen Schriftstellen so erklärt, als habe Jesus darin ein bloßes „Ideal“ oder „Zielgebot“ aufstellen wollen, das jedoch in der Welt, wie sie nun einmal ist, in vielen Fällen nicht erfüllbar sei. Auch jetzt, im Neuen Bund, gebe es noch die „Herzenshärte“, auf die Jesus die im Alten Bund von Gott geduldete Wiederverheiratung zurückführt.

Dies scheint jedoch die Aussage Jesu in ihr Gegenteil zu verkehren. Wer den Text unbefangen liest, muß ihn doch wohl so verstehen, daß Jesus das Regime der Herzenshärte für beendet erklärt; in der neuen, messianischen Gemeinde gelten höhere Forderungen, denn „wer viel bekommen hat^ßß^dem. wjj&ri_viel-verlangt“ (Lk 12, 48). Gewiß stellt Jesus eine Reihe von Zielgeboten auf, die unmöglich ganz zu erfüllen sind, wie etwa, daß man vollkommen sei wie der Vater im Himmel, was natürlich auch Jesus nicht wortwörtlich gemeint haben kann.

Davon aber unterscheiden sich in seinen Reden drei sicher heroisch schwere Forderungen dadurch, daß sie mit einer Sanktion versehen sind, die für den Fall der Nichtbeachtung den Ausschluß vom Reich Gottes androht. Es handelt sich: um die Feindesliebe (Wer seinem Bruder nicht verzeiht, dem wird Gott nicht verzeihen), um die Bereitschaft zum Martyrium (Wer mich vor den Menschen verleugnet, den werde ich vor dem Vater verleugnen) und um unseren Fall: Wer sich scheidet und neu verbindet, begeht Ehebruch: Das ist ganz sicher kein bloßes Versagen gegenüber einem „Ideal“, sondern sehr schwere Sünde und in der Bibel dazu noch der Inbegriff der Untreue und des Abfalls von Gott.

Als weiteres Argument zugunsten einer „Öffnung“ der Kirche in der Scheidungsfrage wird der berühmte zweimalige Einschub bei Matthäus („außer im Fall von Unzucht“) angeführt: allerdings nur ganz gelegentlich und im Zusammenhang mit anderen Begründungen: denn nach einer ersten Welle der „Wiederentdeckung“ der Klauseln vor einigen Jahren setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß aus ihnen direkt kaum etwas zugunsten einer Änderung der kirchlichen Praxis zu holen ist.

Die damit zusammenhängende Problematik kann hier allerdings nur angedeutet werden. Auf den ersten Blick scheint es, als gestehe der Text hier eine wirkliche Ausnahme zu für den Fall, daß die Frau Ehebruch begangen hat. Bei näherem Zusehen hinsichtlich des biblischen und außerbiblischen Gesamtzusammenhangs jedoch kommt einer solchen Deutung nur noch eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit zu. Auf Grund anderweitiger Verwendungen des griechischen Ausdrucks für „Unzucht“ denkt eine Reihe moderner Exegeten eher an illegitime Ehen, di2 von Anfang an ungültig sind. Danach würde die Klausel also keine wirkliche Ausnahme bedeuten. Es gibt mithin auch von daher keinen durchschlagenden Grund, weshalb die Kirche ihre ererbte Lehre und Praxis aufgeben sollte, von der sie auf Grund einer Aussage des Trien-ter Konzils überzeugt ist, daß sie „schriftgemäß“ ist.

Wie wenig Tragfähigkeit auch die Verfechter der Kommuniongewährung den „Unzuchtsklauseln“ zuschreiben, beweist die Tatsache, daß eine der neuesten Darlegungen in diesem Sinn die genannten Klauseln nicht mehr als eine von Jesus zugebilligte Ausnahme faßt, sondern als ein von Matthäus für seine Gemeinde formuliertes kirchliches Zugeständnis. Daraus soll dann das Recht der Kirche abgeleitet werden, der absoluten Forderung Jesu gegenüber auch andere orts- und zeitbedingte Ausnahmen zu gestatten.

Hier wird jedoch, so will es scheinen, die Vollmacht der Kirchenführung in ungebührlicher Weise übersteigert: ihre ganze Befugnis besteht darin, die Forderungen Jesu zur Geltung zu bringen, nicht von ihnen zu entbinden. Die Binde- und Lösegewalt der Kirche hört da auf, wo der Herr selbst gebunden oder gelöst hat.

Manche Theologen geben mehr oder minder offen zu, daß die Zweitverbindung entsprechend dem Wort Jesu keine gültige Ehe ist, aber sie meinen, unter gewissen Bedingungen könnten die in einer solchen Verbindung Lebenden dennoch zu den Sakramenten zugelassen werden, ohne daß sie auf die Geschlechtsgemeinschaft verzichten.

Zunächst ist hier klarzustellen, daß die Kommunionverweigerung diesen Katholiken gegenüber keine Strafmaßnahme darstellen soll, vielmehr handelt es sich um die Anwendung einer an sich völlig einsichtigen Regel, nämlich daß niemand die Gemeinschaft mit Gott durch das Sakrament haben kann, der sich im Widerspruch zu einem Gebot Gottes in einer schwerwiegenden Sache befindet.

Das ganze Bemühen der genannten Theologen geht nun dahin, nachzuweisen, daß die Fortsetzung der unrechtmäßig begonnenen Ge-*etttechugemcinschaf4^ tqatMOt.VtB-* ständen'ertaubt sein 'k&mtef Einfach ist ein solches Unterfangen nicht! Kann ein Verhältnis, das Jesus als ehebrecherisch bezeichnet, sittlich einwandfrei werden, wenn es nur längere Zeit hindurch besteht?

Mit Recht weisen diese Theologen darauf hin, daß aus dem faktischen, wenn auch widerrechtlichen Zusammenleben Pflichten erwachsen: dem „Partner“ und gegebenenfalls den Kindern gegenüber. Sicher wäre es nicht die rechte Art der „Bekehrung“, würde man diese Pflichten übersehen und sich darüber hinwegsetzen. Sie richtig erfüllen kann der Wiederverheiratete aber oft nur dann, wenn er die Wohngemeinschaft mit dem zweiten Partner fortsetzt. Sofern das hier Vorausgesetzte zutrifft und die erste, gültige Ehe unheilbar zerrüttet ist, sind denn auch heute alle Seelsorger und Theologen der Auffassung, daß die zweite Wohngemeinschaft beibehalten werden darf. Die entscheidende Frage ist nur, ob diese Wohngemeinschaft zugleich auch Geschlechtsgemeinschaft sein darf.

Um auch dies zugestehen zu können, sagen einige, die Geschlechtsgemeinschaft sei nicht das Ausschlaggebende. Einer solchen Behauptung kann man jedoch nicht zustimmen. Das Spezifische der ehelichen Gemeinschaft ist das „Einswerden im Fleisch“, und das steht „Partnern“ dieser Art dem Worte Jesu entsprechend gerade nicht zu, da ja die „Einheit im Fleisch“ mit dem ersten Partner fortbesteht. Man darf dje Zweitverbindung darum nicht als eine wirkliche Ehe bezeichnen, und die Rechte, die man den in ihr Lebenden vernünftigerweise zugestehen kann, sind rein „mitmenschliche“ und keineswegs eheliche Rechte.

Andere unter den zur Frage stehenden Theologen argumentieren, daß der geschlechtliche Verkehr deshalb erlaubt sein müsse, weil die Enthaltung davon unter der Voraussetzung des Zusammenwohnens unmöglich sei.

Gewiß ist volle Enthaltsamheit in der vorausgesetzten Situation vielleicht „übermenschlich“ schwer. Aber wird dem Menschen nicht in anderen Situationen — in dieser und in anderen Hinsichten — ähnlich Schweres abverlangt? Ist man nicht schon nach einer sehr verbreiteten menschlichen, auf jeden Fall aber nach christlicher Überzeugung verpflichtet, in einer solchen Lage eher Tortur oder Tod zu ertragen als nachzugeben? Ist darin nicht auch der Verzicht auf den geschlechtlichen Verkehr und darüber hinaus auf das gesamte Familienleben enthalten? Und gibt es nicht auch Fälle, in denen aus gesundheitlichen Rücksichten oder weil unter keinen Umständen das Risiko einer Schwangerschaft eingegangen werden kann, Enthaltsamkeit von der Natur der Sache her geboten ist? Gewiß darf niemand hart urteilen über solche, die schwach werden und fallen. Man kann um eine derartige Standhaftig-keitirömer nur demütig ringen,

Damit soll natürlich “nicht gesägt sein, daß alle Getauften, die eine Zweitverbindung eingehen oder eine solche als Geschlechtsgemeinschaft aufrechterhalten, notwendigerweise auch subjektiv schwer sündigen und damit innerlich von Gott getrennt sind. Es gilt hierfür wie für alle anderen Gebote, daß, wer eine Forderung ehrlicher- und unverschuldeterweise nicht einsieht, infolge dieses für ihn unüberwindlichen Irrtums bei der Übertretung des Gebotes nicht schuldig wird. Er kann darum — notfalls auch ohne die Sakramente — innerlich mit Gott verbunden sein.

Aber die Kirche ist verpflichtet, eine so klare Forderung Jesu wie die zur Frage stehende unmißverständlich zu lehren, und sie darf deshalb einem diesbezüglichen Irrtum und dem daraus resultierenden irrigen guten Glauben in keiner Weise Vorschub leisten. Das jedoch würde sie unzweifelhaft tun, wenn sie die offenkundig im Widerspruch zum Gebot Jesu Lebenden zum Sakramentenempfang zuließe.

Abschließend sei eine seit langem fällige kirchenrechtliche Reform empfohlen, die ohne jeglichen Verstoß gegen die Glaubens- oder Morallehre in einer ganzen Reihe von Fällen zu helfen erlauben würde. Die Nichtigkeit einer gescheiterten Ehe sollte leichter und schneller als bisher festgestellt und damit der Weg zu einer wirklichen Eheschließung freigegeben werden können. Bisher bestimmte das Kirchenrecht, daß eine in der gesetzlichen Form geschlossene Ehe als bestehend zu gelten habe, bis das Gegenteil sicher bewiesen sei. Ein solcher Grundsatz mag seine Berechtigung gehabt haben, als die Kirche in dieser Frage auch für die bürgerliche Ordnung verantwortlich war. Heute, da sie dieser Verantwortung enthoben ist, sollte sie doch wohl im Hinblick auf das ewige Heil ihrer Mitglieder diese starke Rechtspräsumtion aufgeben und als Grundsatz aufstellen, daß eine gescheiterte Ehe immer dann als von Anfang an ungültig angesehen werden kann, wenn sich ernsthafte Gründe für die Ungültigkeit anführen lassen.

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