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Die Spesendiplomatie

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Daß US-Außenminister und Nobelpreisträger Kissinger als Friedensreisender zwischen Washington und Moskau, Peking und Tel Aviv pendelt, ist derzeit das spektakulärste Beispiel einer in aller Welt ein-und ausgeübten Form des Ma&sen-tourismus, den die Politiker mit dem schönen Vokabel Besuchsdiplomatie zu umschreiben pflegen.

Tatsächlich: noch ist nie so viel gereist worden. Nicht nur von den Staatsoberhäuptern und Außenministern, die ja von Berufs wegen herumfahren, sondern auch von Landwirtschafts-, Heeres- und selbst Innenministern, deren Auslandskontakte erst eine Rechtfertigung brauchen — weshalb sie die Politikjournalistik als „Erfahrungsaustausch“ umschreibt.

Aber wenn schon: der Steuerzahler mag denken, daß das Herumfahren von Regierungsmitgliedern zum guten Ton nationaler Reputation gehört.

Aber heutzutage reisen ja nicht nur Minister, sondern auch Parlamentarier, Landespolitiker, Bürgermeister, Diplomaten aller Ränge, Beamte aller Dienstklassen. Da lok-ken Kongresse, Tagungen, Sitzungen, Besichtigungen, garniert für die. Beteiligten nicht nur.mit Freiflügen (wer fährt noch mit der antiquierten Bahn?), Empfängen, Einladungen, Rundreisen, Freizeitprogrammen, sondern auch mit höheren Diäten für die Anreisenden. Versteht sich, daß so mancher Routinier Diäten als Aufbesserung seines Gehaltes mißversteht. Und ganz und gar nicht eben selten wird den Dienstreisenden um Steuergeld nicht zugemutet, allein den heimischen Herd zu verlassen: das Prestige erfordert die Begleitung durch die bessere Hälfte, die beim Damenprogramm am Kongreßrand Public Relations betreibt...

Massentourismus mit Steuergeld — dos geht noch weiter.

Jugendgruppen, Vereine und Berufsverbände erhalten Reisezuschüsse, sprich Subventionen; Künstler, Ensembles, Orchester dürfen bei Good-will-Ausflügen auf Steuergeld hoffen. Vor allem aber der Sport pflegt subventionierte Massenkontakte im Ausland. Wer da nicht alles zu Welt-, Europa- und sonstigen Meisterschaften geschickt wird! Dabei sein ist eben alles.

Und die Ergebnisse all dieser eilfertigen Spesendiplomatie?

Etwa weniger Spannungen in der Welt, weniger Aggression, mehr Freundlichkeiten auf den internationalen Märkten und Börsen, weniger Ausbeutung der Unterentwickelten, ein schnelleres Entwicklungstempo für eine menschenioürdigere Welt?

Friedrich Hacker meint, daß die Menschheit noch nie so erfinderisch in der Verfertigung und Verfeinerung von Feindsymbolen und in der Herstellung und Bekräftigung des eigenen guten Gewissens war. internationale Kontakte also als Feigenblatt der eigentlichen Aggression?

Man fragt sich mit Recht, wem es was nützt, wenn Pakistani und Inder gemeinsam in der UNO sitzen; etwa den sieben Millionen Verhungernden in Bengalen? Oder wenn israelische und arabische Wissenschaftler in Europa bei einer Historikertagung zusammentreffen; etwa den Kindern in einem Flüchtlingscamp des Gazastreifens?

Die Beispiele sind nur Demonstration. Man könnte sie ergänzen.

Aber schließlich tragen sie doch, so könnte man einwenden, dazu bei, einander zu verstehen.

Genauer besehen, existieren die Konflikte freilich stets noch immer weiter, wenn man sie auch bei einem Toast verschleiert. Und Emotionen bleiben bestehen, auch wenn man sie in Kommuniques ausklammert. Und Interessen werden nicht aufgegeben, wenn man sich lächelnd die Hände drückt.

• 1961 traf Kennedy Chruschtschow in Wien. Ein Vierteljahr später stand die Berliner Mauer. Ein Jahr später reckten sich Atomraketen in Kuba vor Washingtons Haustür. Der dritte Weltkrieg klopfte an die Tür.

• 1967 reiste U Thant an den Nil und nach Tel Aviv. Seine Beamten und Beauftragten wechselten die Flugzeuge wie die Krawatten; nur wenige Wochen später schössen Ägypter auf Israeli — und umgekehrt. Und der nunmehrige Krieg ist ein Ergebnis des Konflikts von 1967. • 1968 reisten Breschnjew, Kossygin und die Ostblockprominenz nach Cierna-nad-Tisud und Preßburg. Wenige Tage später war der umarmte Alexander Dubcek abgesetzt und standen Sowjetsoldaten vor dem Prager Hradschin.

Kleine Beispiele schließen sich den großen an. So hat Besuchsdiplomatie vor allem auch den Sinn, mit Freundlichkeiten ja die eigenen Absichten zu verschleiern, die Haltung des Gegners zu erkunden, die Verwirrung zu vergrößern.

Zur Absicht kommt die Geste. Gespannt blickt alle Welt auf den prominenten an der Gangway des Flugzeugs. Kameras belauern den Händedruck des Gastgebers, Experten analysieren Kommuniques, in Bonmots werden tiefe Weisheiten hineingelesen, Höflichkeiten werden zu Anerkennungen.

Das geht noch weiter: politische Reisende mit imperialen Gesten nützen Reisen selbst zur Hetze: so ermunterte de Gaulle die Franco-Kanadier in Montreal zur Resistenz gegen ihr Land, und Sadat die El-Fatah-Rebellen zum Widerstand gegen König Hussein. Derartiges pflegt sich zu rächen.

Normalerweise geht es freilich weniger turbulent zu. So reisen Staatsoberhäupter nicht eben selten als lebendige Requisiten umher — Museumschätzen nicht unähnlich, die man auf die Reise geschickt liat. Denn die Verfassungen geben Staatsoberhäuptern, Präsidenten und Monarchen in vielen Ländern ja nur dekorative Aufgaben: sie haben keinen Einfluß auf die Außen- und Innenpolitik, reisen aber deshalb desto eifriger, Geschäftigkeit vortäuschend. Die Nichtigkeit des Unternehmens spricht in den allermeisten Fällen für sich.

Denn wenn etwas wirklich herauskommt, ist es stets vorher schon lange geregelt. Außenminister, Botschafter haben schon abgeklärt. Oder glaubt irgendwer noch im Ernst, daß in einem Zweistundengespräch unter den berühmten vier Augen Konflikte bereinigt werden können? Und daß sich der sogenannte Meinungsaustausch auf dialektischen Höhen bewegt?

Was das den Steuerzahler kostet? In Österreich sind Zahlen nur schwer eruierbar. Man schachtelt und ordnet die Detailziffern sorgfältig in Buchhaltungen ein. Von Zeit zu Zeit bringen es Parlamentsanfragen an das helle öffentliche Licht.

Doch was nützt die publike Neugierde? Solange man mit Reisediplomatie Erfolge heimzubringen behauptet, und solange Publikum, Medien und die Politiker selbst nationale Reputation auch in der Zeit des emigrierten Nationalismus zu benötigen behaupten, wird die Reisewut nicht abklingen, sondern nur wachsen.

Dabei schaffen Kleinstaaten das

Reisepensum ja noch erheblich schwerer als die Großen. Und die besonders Geschäftigen der internationalen Szene, die sich als blockfreie Vermittler umtun, kommen vor lauter Außenpolitik ja kaum noch zu den inneren Problemen. Die Araber etwa pflegen sich einmal in Kairo, dann in Tripolis, dann in Amman so häufig zu versammeln, daß ihre Politiker aus den jeweiligen Einmischungen in die Probleme der anderen gar nicht zu den eigenen vordringen. (Ghanas Nkrumah oder Kambodschas Sihanouk haben weiland durch ihre Reiselust ihren Sessel verloren. Während sie noch im Ausland mit Glanz und Gloria gastierten, putschten daheim erfolgreichere Nachfolger.)

Zu alledem kommen noch die reichhaltigen internationalen Vereinigungen, von denen die UNO die größte, dafür auch so ziemlich die erfolgloseste ist. Oft dauern UNO-Kongresse Wochen; und die Usancen der Spesenrechnungen tragen dann nur beizeiten abgesprungene UNO-Diplomaten an die Öffentlichkeit. Dazu kommen jene zahllosen Organisationen, die nur durch ihre Abkürzungen auseinanderzuhalten sind: die OECD, der IWF, die UNESCO, NATO, FAO, UNIDO. EWG und EFTA haben Erfolge aufzuweisen: um so lieber nimmt man auf nationaler Ebene die Kosten in Kauf. Insgesamt würde die Summierung wohl eine Post ergeben, mit der man vielen Wissenschaftlern und talentierten Studenten Ausbildungsstipendien im Ausland zahlen könnte.

Nicht ans Tageslicht kommen freilich etwa auch die Usancen kommunaler Ausflüge. Da reisen allen Ernstes Stadtväter, Journalisten und Magistratsbeamte auf Kosten des Steuerzahlers bis nach Ostasien — offenbar, um in Bangkok die Kanalisation zu studieren...

Zieht man einen Schluß, dann ist jeder Vorwurf der überflüssigen Reiselust unserer Notabein Donquichotterie. Prestige für den Staat und die eigene Wichtigkeit machen Kritiker des bezahlten Spesenluxus zu zwergenhaften Querulanten, die das alles boshaft mißverstehen wollen — und womöglich noch gegen.die internationale Verständigung sind.

Mitnichten, mitnichten.

Aber eine bessere Welt baut man nicht im Jet nach New York. Die vielstrapazierte bessere Welt braucht nämlich vor allem vernünftige Menschen.

Und Vernunft reimt sich nicht unbedingt auf Reisen.

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