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GESPRÄCH WIDER ALLE HOFFNUNG. „Kein Mitglied der Regierung hat meinem Standpunkt widersprochen." So konnte der österreichische Außenminister auf einer Pressekonferenz versichern, die der Interpretation seines weiteren Kurses in der Südtirolfrage diente. Der Bundeskanzler hat diese Auffassung im wesentlichen bei seiner sonntäglichen Rundfunkansprache bestätigt. Ihnen zufolge will Österreich das Gespräch mit Italien über Südtirol forfsetzen. Wien will den bei den Mailänder Verhandlungen in vage Worte flüchtenden Gesprächspartner moralisch zwingen, seine Thesen ebenso konkret zu formulieren, wie dies die Österreicher taten. Damit ist freilich nicht gesagt, daß eine solche Formulierung der Standpunkte zu einer Einigung oder auch nur zu einer Annäherung führen muß. Aber ohne diese Festlegung sind alle weiteren Schritte — mögen sie zur Vermittlungskommission, vor den Haager Gerichtshof oder schließlich wieder vor die UNO führen, undurchführbar. M?t viel gu*em Willen konnte man auch aus den Parlamentserklärungen Fanfanis und Segnis, die darob auch prompt von den Neofaschisten angepöbelt wurden, eine ähnliche Grundtendenz herauslesen. Allzu gemütlich kann das diplomatische Tempo aber nicht mehr bleiben. Denn schon sind die anderen Mitspielenden auf den Plan getreten: Denkmalsprengungen, randalierende Faschistendemonstra- tionen, nervös-wahllose Massenverhaftungen und ein Ton der Auseinandersetzungen auf mittlerer und niederer Ebene (nicht zuletzt auch in den Zeitungen), der von Tag zu Tag drastischer wird. In merkwürdigem Widerspruch zu den bisher spürbaren römischen Tendenzen stehen Korrespondentenmeldungen, denen zufolge man in Rom erwägen soll, die Verhandlungen über die Autonomie als praktisch erledigt anzusehen und eine administrative Politik der vollzogenen Tatsachen einzuleiten. Dann freilich müßte sich auch Österreichs Kurs ruckartig ändern. Die Karikatur einer deutschen Zeitung drückte das sehr grimmig aus: „Ein Wirbel und diesmal ganz ohne Chruschtschow." Was nicht heißen will, daß dieser .Whbel dem Genannten keine dauer- hafte Freude bereitet..

TRAGEN AUF ZWEI SCHULTERN. Eine Anekdote aus der vergangenen Besatzungszeit berichtete vom Soldaten eines ob seiner Urwüchsigkeit bekannten Volkes. Er war plötzlich betroffen von der Not einer kinderreichen Mutter, die seit Tagen keine Milch mehr erhalten hatte. „Da matka”, sagte er, und führte ihr eine lebende Kuh mit prallem Euter zu, der verzweifelten Klage eines Kleinbauern nicht achtend, dessen Haupteigentum eben diese Kuh darstellte. Die ersten konkreten Sparankündigungen des Bundes haben in manchen Ländern begreiflich Reaktionen hervorgerufen, die denen des Bauern ähnlich sind, „überflüssige" Bezirksgerichte zu schließen, ist eine löbliche Idee. Aber aus welcher Kasse werden die plötzlich Arbeitslosen entschädigt? Es war daher ein vernünftiger Beschluß der Koalition, schon in dieser Woche die Landeshauptleute samt ihren Finanzreferenten nach Wien zu laden und mit ihnen die Situation durchzusprechen. Dies ist auch aus einem anderen Grund dringend nötig. Bund und Länder sehen sich massiven Gehaltswünschen der Beamten gegenüber, die zwar schon sehr lange heranstehen, aber eben gerade jetzt im psychologisch ungünstigsten Zeitpunkt offiziell beraten werden sollen. Erst nach der Erarbeitung eines gemeinsamen Standpunktes will die Regierung dann mit den Beamten verhandeln. Man hat da so seine Erfahrungen mit gewissen, vom Ballhausplatz nicht allzuweit entfernt gelegenen Landesregierungen, die in ähnlichen Situationen recht generös zu sein pflegten, um den „knausrigen" Bund auszustechen. Und der eine oder andere vergaß dann, daß auch solches Geld letzten Endes aus der gleichen Tasche stammt. Aus der des Steuerzahlers nämlich.

PRÜGELKNABE CV! Zur innenpolitischen Auseinandersetzung in einer Demokratie gehört das Ringen und der Wettbewerb, der Wahlkampf, nicht aber die bösartige Denunziation. Sie arbeitet mit fixen Klischees, die den politischen und weltanschaulichen Gegner als Sündenbock, der nicht zuletzt für eigene

Fehler in die Wüste geschickt wird, hinstellen. In einer charakteristischen Allianz haben sich hierzulande „nationale”, „liberale", sozialistische und selbst gewisse betont „bürgerliche” Kreise zusammengetan, um den Cartell-Verband der katholischen Hochschulverbindungen als schwarzes Schaf der Öffentlichkeit vorzusfel- len. Zwei Hauptvorwürfe gellen ihm entgegen: die „Ämterpafronage" und die Tatsache, daß seit 1918, seit der Gründung der Ersten Republik, viele führende Politiker Österreichs, und nicht zuletzt jene, die den Abwehrkampf Österreichs gegen den Rechtsund Linksextremismus geführt haben, CVer waren und sind. Dies letztere ist besonders bemerkenswert: es ist nämlich überaus angenehm, das eigene Ressentiment gegen den freien Staat Österreich und gegen jede echte Eigenständigkeit unseres Volkes abzureagieren, indem man nicht den Österreicher offen angreiff, sondern eben den „CVer". Es ist, zum zweiten, angenehm, vom oft recht indiskreten Drängen nach eigener Machtübernahme durch diskrete und indiskrete Hinweise abzulenken: „schon wieder ein CVer" in diesem und jenem Amt. Es ist, zum dritten, überaus erwünscht für Männer dieses Schlages, jeweils nicht die eigene Farbe bekennen zu müssen. Dergestalt erweist sich der „CV" als ein hochwillkommener Paravent, den man vorslellt, um abseits und hinterrücks um Macht und Positionen zu kämpfen. Demokratie sieht anders aus. Sie bekundet sich zuletzt in der Selbstkritik des CV. Ein Blick in seine Zeitschriften zeigt, daß man es sich in seinen Verbindungen durchaus nicht leicht macht, katholischer Akademiker, Österreicher und politischer Mensch zu sein.

DER RÜCKTRITT DES NATO-GENE- RALSEKRETXRS PAUL HENRI SPAAK hat mehr als eine innerbelgische und mehr als eine NATO-Bedeutung. Es ist nicht nur der Wunsch belgischer Kreise, für die Überwindung der belgischen Krise diesen „alten, starken Mann' zur Verfügung zu haben, der hier im Spiel ist. Soaak ist amtsmüde. Und die NATO selbst weiß

nicht, was aus ihr werden wird,

weder politisch noch militärisch.

Spaak hat seine Enttäuschung nicht

verhehlt: er hafte versucht, aus der NATO eine breitere politische Gemeinschaft zu bilden, und ist dabei vorwiegend an de Gaulle, an der französisch-englischen Rivalitäf, an dem Desinteressement und der Lethargie der Eisenhower-Regierung gescheitert. Es ist wohl kein Zufall: dieser bedeutendste NATO-Europäer verläßt in eben dem Augenblick die Kommandobrücke, in dem Kennedy ein Umrüsfungsprogramm vorlegt, das die NATO auf lange Sicht überflüssig macht oder nur in aanz neuen Formen weiterbestehen lassen wird.

ZWEI BRANDSTELLEN. Unverblümt haben der neue Präsident der USA und sein Außenminister die beiden geographisch weit voneinander entfernt liegenden Punkte beim Namen genannt, an denen zur Stunde die akuteste Gefahr eines Zusammenstoßes der Mächte besteht: Kongo und Laos. So verschieden die internen Ursachen und Gegebenheiten in Zenfralafrika und Südostasien sein mögen: Im Kräftespiel der Weltmächte sind die Gewichte ähnlich verteilt. In beiden Fällen geht es darum, ob ein sich selbst für neutral erklärendes Land zwangsläufig in den Sog eines der beiden Blöcke geraten und somit die Intervention des anderen herausfordern muß. Lumumba geriet — ob ganz mit eigenem Willen oder nicht, weiß man nicht — tragisch eindeutig in das kommunistische Kraftfeld. Die vergangene amerikanische Regierung stützte sich daher kritiklos auf seine zur radikalen Westorientierung bereiten Gegner Kasavubu und Mobutu. Die Parallelen in Laos liegen auf der Hand: Auch dort ist die neutralistische Regierung ins kommunistische Fahrwasser gedrängt worden. Der Riß geht im Kongo mitten durch das verzweifelt um Präsenz bemühte UNO-Kontingent, das sich in feindliche Gruppen aufzulösen beqinnf. Kennedy hat angedeufef, daß er nicht jeden Neutralen von vornherein als Feind und Parteigänger des Ostens ansehen wolle. Das große Problem ist nur, die hier angestrebte Umorientierung durchzuführen, ohne die bisherigen Parteigänger fallen zu lassen und damit erst recht das Chaos, den Verzweiflungskampf aller gegen alle, heraufzubeschwören. Viel wird von den Sowjets abhängen, die diesen neuen Weg erleichtern können. Wenn sie wollen, allerdings.

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