Flucht Küste - © Foto: AFP

EU-Asylreform: Wird das Sterben im Mittelmeer jetzt beendet?

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Nach dem Migrationsgipfel in Luxemburg präsentierten die EU-Innenminister(innen) einen „historischen Durchbruch“. Doch wird diese Asylrechts-Reform halten, was sie verspricht? Ein Gastkommentar.

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Nach dem Migrationsgipfel in Luxemburg präsentierten die EU-Innenminister(innen) einen „historischen Durchbruch“. Doch wird diese Asylrechts-Reform halten, was sie verspricht? Ein Gastkommentar.

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Das muss man ihr zugutehalten: Die EU-Asylreform hat einen hohen Plausibilitätsanschein. Schnelle Verfahren an der Grenze, rasche Abschiebungen, endlich eine solidarische Verteilung von Geflüchteten unter den Mitgliedsstaaten, die insofern verpflichtend ist, als man sich zwar durch Kompensationszahlungen freikaufen, aber nicht gänzlich entziehen kann; Rückstellung in „sichere“ Herkunftsländer oder Drittstaaten. Noch dazu sind minderjährige unbegleitete Flüchtlinge davon ausgenommen; Familien mit Kindern nur deshalb nicht, um falsche Anreize zu vermeiden.

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Soweit, so plausibel – aber eben nur dem Klang nach. Denn der Teufel steckt wie so oft in der europäischen Asylpolitik im Detail. Schon allein die Terminologie – ob bewusst gewählt oder zufällig passiert – verschleiert den tatsächlichen Inhalt der Reform: „Grenzverfahren“ sind mitnichten faire, vollwertige Asylverfahren, sondern Vorprüfungen, ob Personen zu diesen überhaupt zugelassen werden. Dies kommt in letzter Instanz einer schleichenden Aushöhlung des Asylrechts gleich, stellt doch das Recht auf Asylantragstellung einen Kern dessen dar: Jeder Mensch, der Schutz sucht, hat Anrecht auf ein rechtsstaatliches Verfahren, in dem er seine Fluchtgründe darlegen darf und angehört wird. Dies ist in einem Grenzverfahren, das innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden soll, weder vorgesehen noch operativ machbar.

Zwar wird seitens der Verhandler(innen), allen voran der deutschen Innenministerin, die sich bis zuletzt für den Schutz von Familien einsetzte, betont, dass Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung während des Grenzverfahrens gegeben sei. Doch die Praxis aus den Grenzstaaten lehrt das Gegenteil. Ebenso wird sich erst weisen, inwiefern sich Polen und Ungarn, die gegen die Reform stimmten, sanktionslos an einer „flexiblen Solidarität“ beteiligen werden.

Sich bequem aus der Verantwortung stehlen

Auf dem Papier ist vieles dessen, was die Mitgliedsstaaten vergangenen Donnerstag in Luxemburg entschieden haben, eine Verschärfung bestehender Regelungen. Der Zugang zu Asylverfahren in der EU wird erschwert, es sind haftähnliche Lager an den Außengrenzen geplant, zudem bekommen Geflüchtete zukünftig ein Preispickerl – wenn auch ein verkehrtes. Die 20.000 Euro pro Flüchtling muss nämlich zahlen, wer sie nicht haben will. Das ist nicht nur zynisch, sondern eröffnet für Mitgliedstaaten auch eine bequeme Möglichkeit, sich aus der Verantwortung zu stehlen und „den anderen“ die Versorgung und Integration von Schutzsuchenden zu überlassen.

Der Plan ist also ambitioniert und, folgt man der massiven Kritik von Hilfsorganisationen und Expert(inn)en, drastisch. Ob er aber jemals Realität werden wird, bleibt fraglich. Zuerst einmal wäre da die operative Ebene, denn „einig“ ist man sich in der EU nicht, wenn der Rat zu einer Entscheidung kommt, sondern wenn das Parlament zugestimmt hat. Dieses zeigte sich in Asylfragen in der Vergangenheit zwar durchaus restriktiv, dennoch bleibt zu erwarten, dass die einzelnen Fraktionen noch starke Adaptierungen der Reformpläne vornehmen werden wollen, bevor sie entscheiden.

Je schärfer der Umgang mit Schutzsuchenden, desto höher das Risiko für all jene, deren Flucht alternativlos ist.

Und dann wäre da noch die Frage der tatsächlichen Umsetzbarkeit. Angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre müssen wesentliche Eckpunkte der Reform als reine Träumerei abgetan werden. Der deutsche Rat für Migration wies in einer ersten Stellungnahme auf Evidenz aus Pilotprojekten an den EU-Außengrenzen hin, die eine Art Blaupause für die jetzige Reform darstellen. Die Evaluierung dieser Projekte zeigte, dass menschenrechtliche Standards in Auffangzentren an der Grenze nicht eingehalten werden konnten. Ebenso wenig war Rechtsbeistand gewährleistet, vielmehr wurden Anwälte und NGOs kriminalisiert.

Rückstellungen als Fiktion

Ähnlich unwahrscheinlich ist, dass durch die Reform Sekundärmigration, also die Weiterreise von Schutzsuchenden von einem EU-Mitgliedsstaat in einen anderen, unterbunden wird. Weder Länder mit Außengrenzen noch Geflüchtete selbst hätten irgendeinen Anreiz dazu, im Gegenteil; niemand wird freiwillig in den Auffangzentren in den Grenzländern bleiben, doch zurück werden viele der abgelehnten Asylwerbenden ebenfalls nicht wollen. Noch dazu, weil ein zentraler Baustein der Reform, nämlich die Rückstellung von Geflüchteten in sichere Herkunftsländer oder Drittstaaten, ohne deren Einbeziehung beschlossen wurde. Welche Länder sich konkret dazu bereit erklären werden, die eigenen Staatsbürger(innen) oder gar nur durchgereiste Migrantinnen und Migranten aufzunehmen, bleibt offen.

Vor allem aber fällt die Reform hinter das zentrale Versprechen der EU-Innenminister(innen) zurück, das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Die Annahme, dies würde durch mehr Abschottung und Auslagerung von Asylverantwortlichkeit gelingen, unterliegt einem fundamentalen Trugschluss, nämlich: Je „schärfer“ die Verfahren, desto weniger Menschen würden sich auf den Weg nach Europa machen. Dem muss auf Basis der wissenschaftlichen Evidenz und der Erfahrungen der letzten Jahre, die sukzessive Verschärfungen des EU-Asylregimes mit sich brachten, deutlich widersprochen werden: Je schärfer, härter und abgeschotteter Europas Umgang mit Schutzsuchenden, desto höher das Risiko für all jene, deren Flucht alternativlos ist.

Die Autorin ist Migrationsforscherin an der Wirtschaftsuniversität Wien und Autorin von „Das Fluchtparadox“ (Kremayr & Scheriau 2022).

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