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Nun geht die Saat auf

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Die Erklärung fällt nicht schwer, wenn man sich die jahrzehntewährende Massenbeeinflussung vor Augen hält, die kein anderes Ziel kannte, als jegliche Verankerung in einer metaphysischen Ordnung, die dem menschlichen Leben Sinn und Richtung gibt, für lächerlich, vernunftwidrig und menschenfeindlich hinzustellen. Im Gewand mehr oder weniger different erscheinender ideologischer und politischer Systeme wurde der Geist des Materialismus in alle Fugen und Poren der Gesellschaftsstruktur gepumpt. Für ihn gibt es nur den Maßstab der Befriedigung der persönlichen Wünsche und Bedürfnisse. Der Nächste existiert und interessiert am Rand, so-ferne man ihn nämlich auch für sich brauchen kann. Do ut des. So hat man auch die Nächstenliebe als Vokabel außer Kurs gesetzt. Man braucht so etwas nicht. Dafür sind der Staat und die öffentliche Hand da. Es ist des modernen Menschen weder würdig, Nächstenliebe zu üben, noch sie entgegenzunehmen. Man hat beispielsweise die Ordensschwestern verspottet und verachtet, weil ihre Existenz mit vollem Recht als lebendiges Zeugnis gegen diesen Geist empfunden wurde, der nichtsdestoweniger immer mehr Allgemeingut, Teil der Lebens- und Weltanschauung der Gegenwart, Ausdruck der Kultur des 20. Jahrhunderts geworden ist.

Nun hat sich allerdings gezeigt, daß ein aus solchen Quellen gespeistes Berufsethos schon bei unkomplizierten Arbeitsverhältnissen wenig geeignet ist, den Arbeitseffekt zu fördern. Doch mit gewissen Berufen, zu denen auch der Pflegeberuf zählt, ist diese Auffassung schlechthin unvereinbar. Auch die bestmögliche Entlohnung in der Krankenpflege wird sich in angemessener Relation innerhalb der allgemeinen Lohnbedingungen bewegen müssen. Was die Schwester für den einzelnen und die menschliche Gesellschaft leistet, kann, absolut gemessen, gar nicht bezahlt werden. Leben und Gesundheit stellen Güter dar, die sich nach Marktregeln weder einschätzen noch handeln lassen. Was offen bleibt, wird auf einem anderen Konto gutgeschrieben. Es besteht schlicht und einfach in dem Entschluß, kranken Menschen helfen zu wollen, und in dem Bewußtsein, diesem Entschluß treu geblieben zu sein. Die Menschheit müßte verzweifeln, wenn es nicht auch das gäbe. Letzten Endes wiegt der innere Ausgleich, der einem Leben auf dieser Basis folgt, den bloßen Besitz realer Güter und euch den Wert einer unter zweifelhaften Voraussetzungen um jeden Preis geschlossenen Ehe hundertfach auf.

Am Sonderfall der Krankenpflege erweist sich sinnfällig, daß die ma-, terialistische Auffassung, als ob dem Beruf nur eine Erwerbsfunktion und nicht zugleich auch eine wesentliche existenzielle Bedeutung für die menschliche Person und darüber hinaus für die Allgemeinheit zukomme, falsch und ein Unglück für die Menschheit ist. Sie bedarf einer radikalen Korrektur.

Solange diese Revision in der öffentlichen Meinung nicht Platz greift, wird sich der Zustrom zur Krankenpflege immer unter der Bedarfsschwelle halten. Es ist richtig, daß die Situation in allen Ländern der Hochkonjunktur die gleiche ist. Das bedeutet aber nur, daß Österreich die Ohance besitzt, selbst initiativ zu werden, und nicht unbedingt darauf zu warten braucht, was die anderen tun. Punkt eins wäre eben die erzieherische Wek-kung des sozialen Gewissens, an der sich alle Faktoren, die Anteil an der allgemeinen Meinungsbildung haben, also vor allem die politischen Parteien, die Presse, Rundfunk und Fernsehen usw., beteiligen sollten. Man bezeichne diesen Weg nicht als aussichtslos, bevor man ihn nicht richtig beschritten hat. Die Wirkung der Massenmedien ist erwiesen. Die bisherigen ungenügenden und verzettelten Ansätze müßten nur durch einen gut organisierten Aufklärungsfeldzug auf breitester Basis abgelöst werden.

Die strukturellen Veränderungen

Man muß aber beachten, daß die Dinge ineinandergreifen. Da es kaum glaubhaft ist, daß die allgemeine kulturelle Verflachung allein schuldtragend an der rapiden Abnahme des Interesses am Pflegeberuf ist, ergibt sich die Frage, welche konkreten Anlässe standespolitischer Art vorliegen.

Im Gesamtbild der medizinischen Entwicklung haben sich auch bei den medizinischen Hilfsberufen tiefgreifende strukturelle Veränderungen ergeben. Der Pflegedienst ist weitgehend in die Medizin hineingewachsen, so daß die Schwester als nächste Helferin des Arztes an den meisten diagnostischen und therapeutischen Vorgängen unmittelbar beteiligt ist. Die Erwerbung umfangreicher theoretischer Kenntnisse und praktischer Fertigkeiten, eine ständige fachliche Fortbildung und eine besondere charakterliche Eignung sind heute unerläßliche Voraussetzungen für die Ausübung des Berufes. Im Bundesgesetz vom 22. März 1961 wird der Krankenpflegefachdienst als Träger spezifischer Aufgaben des Gesundheitswesens u. a. dadurch hervorgehoben, daß die Ausbildung, die durch ein staatliches Examen zu beenden ist, in allen Einzelheiten genau geregelt wird. Die Festlegung des Schultyps, des Lehr- und Ausbildungsstabes, des Lehrstoffes und der mehrjährigen Ausbildungsdauer läßt die sprunghafte Entwicklung des Berufes erkennen, aber auch die integrale Bedeutung für das Gesundheitswesen, die ihm der Gesetzgeber beimißt.

Im allgemeinen bedingt die wachsende soziale Bedeutung eines Berufsstandes, insbesondere wenn sie mit einem professionell-bildungsmäßigen Aufstieg einhergeht, eine adäquate soziale und personalrechtliche Aufwertung. Dies ist eine Forderung der Vernunft und Gerechtigkeit, deren Nichtbeachtung unweigerlich zu einem sozialen Mißverhältnis mit allen nachteiligen Konsequenzen führen muß.

Tatsächlich aber ist die soziale Rangsteigerung, auf die der Schwesternberuf kraft seiner Bedeutung für die menschliche Gesellschaft und seiner Aufgaben im Rahmen der Medizin gerechterweise Anspruch erhebt, ausgeblieben. Das ist ein Umstand, der um so schwerer wiegt) als die anderen Hauptgruppen des medizinischen Fachpersonals, nämlich die medizinisch-technischen Dienste, de facto bereits aufgewertet wurden. Die Absolventen der medizinisch-technischen Schulen können nämlich auf Grund der in die gesetzlichen Aufnahmebedingungen eingefügten Reifeprüfungsklausel nach dem Beamtenschema eingestuft werden oder doch eine analoge Gehaltszuteilung beanspruchen. Der Zustrom zum medizinisch-technischen Labordienst ist seit dieser Regelung stark angestiegen, wodurch die Richtigkeit und Wirksamkeit dieses Schrittes bestätigt wird.

Diplom — der Matura gleichzusetzen?

Unter den Aufnahmebedingungen in die Krankenpflegeschulen findet sich die Reifeprüfungsklausel nicht Sie wäre in diesem Falle aus grundsätzlichen und praktischen Erwägungen auch nicht sinnvoll. Es bietet sich aber ein Ausweg in der Form an, daß das Schwesterndiplom selbst dem Reifezeugnis einer mittleren Lehranstalt gleichgestellt wird, was mit dem Lehrstoff und der Ausbildungsdauer hinreichend begründet werden kann.

Der Einwand, daß die Diplomschwester durch diverse Dienstzulagen gehaltsmäßig an das Beamten-sohema herankomme oder fallweise sogar besser abschneide, ist nicht stichhältig. Erstens müssen durch die Zulagen (z. B. die Nachtdienst-, die Sonn- und Feiertagszulage) zum Teil Leistungen vergütet werden, die analogerweise im Beamtendienst nicht verlangt werden. Zweitens geht es nicht allein um finanzielle Fragen, sondern gerade auch um die soziale Stellung und Wertung des Schwesternberufes. Beide aber, Gehalt und Wertung, würden durch eine dem Beamtensohema entsprechende Behandlung eine zeitgemäße Lösung erfahren, die der Leistung und Verantwortung der Diplom-schwester gerecht wird und dadurch eine beträchtliche Zunahme der Schwesternzahl erwarten läßt.

Diplom-Wäschcschlichterin!

Doch auch der Pflegedienst selbst weist heute bei weitem nicht immer und überall jene Züge auf, die ihm gemäß den Ansprüchen der Medizin und der Ausbüdung in der Schwesternschule zukämen. Wozu die ganae medizinische Vorbildung, wenn sich die Berufstätigkeit größtenteils mit Wäscbemanipulation. sonstigen einfachen Verrichtungen und in Administration erschöpft? Man sollte diese unrationelle Verwendung so rasch als möglich durch ein System vernünftiger Arbeitsteilung mit dem nichtdiplomierten Pflegepersonal ersetzen. Es läßt sich jedoch diese Forderung wie auch manche andere, die zum Komplex einer zeitgemäßen Reform des Pflegewesens gehört, nicht früher erfüllen, bevor nicht die erforderliche zahlenmäßige Gesamtstärke des Schwestemstandes wir-lsr erreicht ist.

Es ist leider anzunehmen, daß dieser Zustand anhalten wird, da sich noch nirgends eine Änderung ankündigt. Wenn man aber nicht riskieren will, daß man aus einer Situation, die schon jetzt nur mit großer Mühe beherrscht werden kann, unversehens in das Stadium des offenen Notstandes gerät, muß man zumindest an die Vorbereitung von Überbrückungsmöglichkeiten denken.

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