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Erziehung - Begegnung

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Die Schule hat sich zunehmend zu einem Apparat der Informationsvermittlung entwickelt. Lehrinhalte sollen scheinbar objektiv vermittelt werden. Die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern ist unterkühlt. Daß dies eine Fehlentwicklung ist und daß die prägende Vorbildwirkung des Lehrers von entscheidender Bedeutung ist, zeigt der vorliegende Beitrag auf.

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Die Schule hat sich zunehmend zu einem Apparat der Informationsvermittlung entwickelt. Lehrinhalte sollen scheinbar objektiv vermittelt werden. Die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern ist unterkühlt. Daß dies eine Fehlentwicklung ist und daß die prägende Vorbildwirkung des Lehrers von entscheidender Bedeutung ist, zeigt der vorliegende Beitrag auf.

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Den Schüler nicht als Objekt, son­dern als Subjekt sehen, nicht als Sache, sondern als Person werten, fordert zu­nächst eine entsprechende Grundein­stellung. Sie äußert sich in vielen klei­nen Dingen: zuhören können; nicht nur auf den Wissenszuwachs, sondern auf die Entwicklung des ganzen Menschen sehen; gesprächsbereit sein; Zeit für den Schüler haben und anderes mehr.

Bei allem Planen müßte es uns um das ganze Kind und um die ganze Klasse gehen. Wir sollten sehen, daß hier die verschiedensten Lerntypen und die verschiedensten Formen der Kom­munikation aufscheinen. Wer dem Schüler begegnen will, wird nicht un­mutig, wenn er feststellt, daß seine Schüler sehr unterschiedlich im Lern­tempo und in der Ausdauer sind, er wird nicht nervös, Wenn die einen rasch und intensiv auf seine Anregungen ein­gehen und die anderen Zeit brauchen, um sich für ein neues Thema zu erwär­men.

Wem es um den Menschen und nicht bloß um Lernprozesse geht, der wird nicht in den Aberglauben verfallen, ab­solute Gerechtigkeit dadurch herstellen zu können, daß er Leistungsbeurteilung auf den Bereich der Zahlen, Fakten, Daten, also auf das Meßbare be­schränkt.

Er wird wissen, daß solcherart nur

Scheinobjektivität erreicht und die Schule zur Zensurenmaschinerie um­funktioniert wird. Vor dem Gewissen eines christlichen Lehrers müssen No­ten nicht nur juristischen Nachprüfun­gen, sondern auch pädagogischen An­sprüchen standhalten.

Wer anders als der christliche Lehrer muß in die Schuldiskussion einbringen, daß es viele Dinge gibt, welche sich der Objektivierung und Messung entzie­hen: das Staunen, die Auseinanderset­zung mit religiösen Fragen, der Gewis­sensbereich, der Einsatz für den Schwä­cheren und anderes mehr. Auch wenn diese Dinge nicht meßbar und beurteil­bar sind, zählen sie dennoch zu den legi­timen Anliegen schulischer Erziehungs­arbeit.

Dieses Erziehungsziel legt eine Reihe von Erziehungsanliegen und Erzie­hungsaufgaben nahe, die in der heuti­gen pädagogischen Diskussion zu Un­recht oft geringgeschätzt werden. Nach Ferdinand Kopp (Schule für das Kind, Randbemerkungen zur Schulpädago­gik und Didaktik, Donauwörth 1976) zählen dazu etwa:

• Die Einübung in Dankbarkeit: Wer dankbar ist, erkennt seinen Stand­ort, macht Ernst mit der Achtung vor dem anderen Menschen, und dies ge­hört zu den Grundprinzipien unserer Gesellschaftsordnung. Im übrigen hat eine dankbare Gesinnung geradezu psy­chotherapeutische Bedeutung. Wir se­hen allzu oft Welt und Menschen nur durch eine schwarze Brille. Die so er­zeugte Schwarzseherei ist geradezu eine moderne psychische Erkrankung.

• Die Erziehung zur Ehrfurcht: Wer Ehrfurcht hat, sucht nicht alles rational zu erklären, er kann schweigen und zer­redet nicht das Geschehen und die Dinge, er weiß um die Ungleichheit von Menschen, Dingen und Geschehnissen. Er verwischt die Distanz nicht, sondern achtet sie.

Diese Achtung ist mehr als Respekt. Sie ist ein Stück Demut, welche ein An- uerssein und eine Überlegenheit aner­kennt. Ehrfürchtiges Handeln meint

immer ein Tun, das den anderen in sei­nem persönlichen Wert nicht in Frage stellt und ihn nie zum bloßen Mittel er­niedrigt. Diese Ehrfurcht gilt auch heute noch im Sinne des Goethe-Wor­tes dem, was über uns ist, was um uns ist und dem, was unter uns liegt.

• Erziehung zu den „kleinen Tugen­den“, wie Sachlichkeit (wo Emotionen und Affekte das Handeln bestimmen, wird das Zusammenleben erheblich ge­stört und die Stabilisierung der eigenen Person, die Identitätsfindung, verstellt und verzerrt); Fairness (eine moderne Form der Ritterlichkeit, sie verzichtet darauf, die Schwächen seines Gegners auszunützen); Rücksichtnahme (Ein­ordnung der eigenen Interessen in ein „Wir-Bewußtsein“); Freundlichkeit

(Ausdrucksform des echten Wohlwol­lens) und anderes mehr.

Um begegnungsfähig zu werden, ist es auch notwendig, das Verzeihen zu er­lernen. Wo sich die Erwachsenen vor­einander für Unachtsamkeit, Unauf­merksamkeit und falsches Verhalten entschuldigen, da wird auch das Kind lernen, um Verzeihung zu bitten.

Es wird begreifen, daß das „Bitte, entschuldige!“ meistens soviel heißt wie: „Es tut mir leid, das habe ich nicht gewollt!“ Und weil das Kind meistens ja nicht böse sein will, sondern sich nur unwillkürlich falsch verhält, wird ihm dieses Eingeständnis erleichtern, mit den Schuldvorstellungen, die sich beL ihm bilden, fertig zu werden, nicht schwer daran zu leiden.

Eine realistische Sicht wird sich in diesem Zusammenhang auch mit dem Phänomen des Versagens und des Bö­sen auseinanderzusetzen haben. Es paßt dies freilich wenig in das Bild eines autonomen, mündigen und emanzipier­ten Menschen. Dennoch: „ ...Das Gute und das Böse, Sünde und Schuld, Reue und Vergebung, Strafe und Versöh­nung, Heil und Unheil sind Begriffe, die erneut in unser pädagogisches Denken integriert werden müssen.“ (Ferdinand Kopp, Seite 49f.)

Begegnung ist ebenso wie die Ehr­furcht im Sinne Goethes nicht bloß eine zwischenmenschliche Kategorie. Für den gläubigen Lehrer ist daher die Be­gegnung mit Gott ein Anliegen, das im

Erziehungsalltag als Weg und Ziel Be­achtung fordert.

Die Begegnung mit Gott ist heute eng verwoben mit der Frage nach dem Sinn des Lebens, nach der Sinnfindung und Sinnerfüllung. Kardinal König schrieb in einem Artikel „Wer nach Werten sucht, sucht auch Gott“ („Profil“, 2. Jänner 1980):

„Es liegt in der menschlichen Natur, sich letztlich an einem im Absoluten verankerten Wert zu orientieren. Do­stojewski, der aus eigener Leiderfah­rung die geistige Tiefe des Menschen auszuloten versuchte, meint: ,Wozu soll man viele Worte machen? Man kann ja gar nicht Mensch sein, ohne sich vor irgendetwas beugen zu müssen. Ein solcher Mensch - der sich nicht sel­ber beugen kann - ist nicht imstande, sich selber zu ertragen; und es gibt auch gar keinen solchen Menschen. Wer Gott verleugnet, der beugt sich vor ei­nem Ideal, sei es aus Holz, aus Gold oder auch nur ausgedacht.* Als Nach­fahren Dostojewskis können wir hinzu­fügen: Wer sich nicht vor Gott beugt, beugt sich früher oder später vor der Macht eines anderen Menschen oder vor irgendeiner Ideologie.“

Pädagogische Systeme, Schulfor­men und Schulorganisationen, Kon­zepte und Pläne, welche die Sinnsuche und das Sinnfinden hemmen, hindern, ausklammern oder frustrieren, führen letztlich zur Entfremdung des Men­schen. Nun ist diese Sinnsuche aber im­mer eine letztlich religiöse Angelegen­heit. Deshalb sollte uns bewußt bleiben, daß der Religionsunterricht an der öf­fentlichen Schule und die Verankerung der religiösen Werte im Zielparagraph unseres Schulwesens zu den unaufgeb­baren Dingen im Rahmen der Schule zählen.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus einem Vortrag, den der Autor auf der Jahreshauptversammlung des Landesverbandes Steiermark der Vereinigung christlicher Lehrer im vergangenen Jahr gehalten hat.

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