7021769-1988_47_15.jpg
Digital In Arbeit

Fehlsteuerung vor 10.000 Jahren?

19451960198020002020

In seinem jüngsten Buch liest Hans Hass den Haien im wirtschaftlichen Leben seine Evolutions-Leviten vom verpaßten und nachzuholenden Übergang zur Partnerschaft.

19451960198020002020

In seinem jüngsten Buch liest Hans Hass den Haien im wirtschaftlichen Leben seine Evolutions-Leviten vom verpaßten und nachzuholenden Übergang zur Partnerschaft.

Werbung
Werbung
Werbung

Der österreichische Meeresforscher Hans Hass filmte einst an einer senkrechten Korallenwand im Roten Meer einen drei Meter langen Riffhai, der sich mit ins Wasser geworfenen, zerstückelten Köderfischen beschäftigte und entsprechend seinem angeborenen Beuteschema, in dem der Mensch nicht vorgesehen ist, verhielt: Er beachtete ihn nicht. Plötzlich wurde Hass auf der anderen Seite von einem Vier-Meter-Exemplar von Weißem Hai angegriffen. Es gelang ihm, den großen Kopf mit bloßen Händen abzuwehren und sich in Sicherheit zu bringen. Für den Verhaltensforscher wurde das unangenehme Abenteuer durch das Verhalten des anderen Hais interessant: Völlig unerwartet griff auch er an.

Hass: „Es war Futterneid... Eine ähnlich schnelle Umpolung im Verhalten zeigt auch der Mensch unter bestimmten Voraussetzungen“, darunter, laut Hass, genau die, welche den Riffhai angreifen ließ: Die erfolgreiche oder auch bloß erfolgversprechende Strategie eines Konkurrenten wird sofort instinktiv übernommen. Klassisches Beispiel: Der Goldrausch, der wahre Menschenmassen nach Alaska lockte.

Der Mensch, so Hans Hass in seinem soeben erschienenen jüngsten Buch „Der Hai im Management“, habe vor etwa 10.000 Jahren einen wichtigen Anpassungsschritt verfehlt, sei auf einer Entwicklungsstufe, die völlig neue Verhaltensweisen möglich und notwendig machte, in denen des Räubers steckengeblieben und dadurch in einen „Psychosplit“ geraten. Hass versteht darunter ein überholtes, in der Raubtiervergangenheit des Menschen wurzelndes Beuteerwerbsverhalten, das ihm die Umstellung auf die längst allein angezeigten partnerschaftlichen Strategien erschwert.

Durch den Ubergang von der Raub- zur Tauschwirtschaft trat, so Hass, „an die Stelle des Nahrungserwerbes ... die Aufgabe, Wünsche, die andere hatten, zu erfüllen. Also wurde über den Vorgang der Konditionierung der Interessent, der Kunde, der „Nachfrager“ und der „Arbeitgeber“ zur eigentlichen Beute, der es das Wesentliche zu entreißen galt. Nämlich mehr Geld, als einen die eigene Anstrengung und der eigene Aufwand kostete. Gelang dieses „Geschäft“ — dann war das zweite, nämlich das Eintauschen der benötigten Nahrung, nur eben ein in der Regel höchst einfaches Nachspiel. Auf den Gelderwerb kam es jetzt an.

Und da dem Menschen dafür keinerlei Strategien angeboren waren, sprang der Nahrungstrieb mit all seinen angeborenen Richtlinien (die sich seit mehr als einer Jahrmilliarde immer weiter verfeinert hatten) höchst automatisch in die Bresche. So wie beim Verhalten des Jägers und Sammlers die menschliche Intelligenz den instinktgesteuerten Beuteerwerb unterstützte, so unterstützte nun — und unterstützt bis heute — unser Instinkt, über Raub Beute zu erwerben, unseren Intellekt bei seiner neuen Bemühung, über einen doppelten Tauschakt an Nahrung zu gelangen.“

Darin, so Hass, liege unsere Tragik: „Wenn der Mensch heute in der Wirtschaft die Methoden des Räubers anwendet, dann ist er nicht ,böse' oder .schlecht* — sondern ungeschickt. Er ist über sich selbst nicht genügend aufgeklärt ... So kommt es, daß der Mensch - wie Konrad Lorenz sehr richtig hervorhob — in seinem technischen Fortschritt bereits dahin gelangte, auf dem Mond zu landen, während er in seinem ,in-nerartlichen Verhalten' kaum vergleichbare Fortschritte zu verbuchen hat. Hier blieb—trotz religiöser und ideologischer Mahnungen, trotz ethischer und moralischer Bemühungen jeglicher Art —noch alles im Prinzip beim alten, sosehr sich der Mensch auch selbst darüber wundert.“

„Die zur Uberwindung dieser Hürde geeignete Strategie“, so Hans Hass, „nenne ich OBS“, worunter man Optimal Bartering

Strategy (Optimale Tauschstrategie) oder „Optimal Business Strategy“, Optimale Berufs-ebenso wie Optimale Betriebsstrategie verstehen könnte.

Sie ähnelt zum Verwechseln dem, was amerikanische Management- und Berufsratgeber seit Jahrzehnten empfehlen: Man möge, um erfolgreich zu sein, nicht so sehr an den eigenen Erfolg wie an die Probleme seiner potentiellen Kunden denken und sich als deren Problemloser verhalten.

Lücken im Rezept

Selbstverständlich spielt im Buch des Meeres- und Verhaltensforschers das Korallenriff, dem ja ein Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit galt, eine wichtige Rolle. In der Tat bietet die Uberfülle ökologischer Nischen und auf deren Ausnützung hin spezialisierter Lebewesen in diesem Biotop interessante Parallelen zur Fülle der Marktnischen und der keine von ihnen auslassenden Angebote. Eine von ihnen hat Hans Hass auf getan: Er untermauert und rechtfertigt, was jeder clevere Manager, Marketingberater, Werbemann und so weiter längst weiß und anwendet, mit seinem Wissen als Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe, scheut dabei keineswegs eine Portion Trivialität und bietet jedem einschlägig Tätigen, der sein Buch liest und in Gesprächssituationen geschickt anwendet, Anweisungen zur Erzeugung höherer wissenschaftlicher Aura.

Hans Hass' Energon-Therapie, auf der seine umfassende Interpretation räuberischen Verhaltens beruht, kann man jedenfalls nicht absprechen, daß sie produktives weiteres Nachdenken stimuliert. Exkurse in benachbarte Disziplinen werden kaum gewagt — mit gutem Grund, wie gleich zwei Schnitzer in einem Absatz über die Psychoanalyse beweisen (Psychose statt Neurose; das Wort „Unterbewußtsein“ ist bei Freud verpönt). Abschweifungen ins Historische, in die uralte Auseinandersetzung des Menschen mit dem Raubtier in sich selbst, wären reizvoll gewesen.

Da Hass seine Nische im Riff sehr gut kennt, dosiert er die generellen Warnungen mit Vorsicht. Auch er empfiehlt den Ubergang vom quantitativen zum qualitativen Wachstum. Sicher hat ein so scharfsinniger Beobachter wie er längst selber bemerkt, daß die Befolgung seiner Ratschläge unter anderem auch zu einer Erhöhung der Problemlösungs-Kapazität Und damit Effizienz auf betrieblicher Ebene, zur Ausweitung der Produktions- und Dienstleistungspaletten und wohl eher zu einer Erhöhung als zu einer Senkung des Verbrauchs an Rohstoff- und Umweltreserven führen könnte. Da er darüber nicht viele Worte verliert, ist anzunehmen, daß auch er keine Lösung zu diesem Problem parat hat.

Aber die Mahnung an jeden, sich der räuberischen Komponenten in seinem Verhalten und der Raubtier-Optik in der täglichen Situationsanalyse bewußt zu werden und egoistische Strategien durch Wechselbeziehungen zu ersetzen, kann sicher Positives bewirken.

DER HAI IM MANAGEMENT - Instinkte steuern und kontrollieren. Von Hans Hass. Wirtschaftsverlag Langen-Müller/Herbig, München 1988. 328 Seiten. Ln., öS 265.-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung