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Freunde unter Arabern

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„Abu Ammar“ alias Jassir Arafat, gebürtiger Jerusalemer und unter anderem in Deutschland ausgebildeter Ingenieur, gründete etwa Mitte der fünfziger Jahre im ölscheichtum Kuweit ein eigenes Unternehmen und wurde damit angeblich Millionär. Zehntausende von Geschäftsleuten, Staatsbeamten, Ärzten, Rechtsanwälten und Lehrern halfen in den letzten fünfundzwanzig Jahren bei der Entwicklung der arabischen Staaten — sie alle sind gebürtige Palästinenser.

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„Abu Ammar“ alias Jassir Arafat, gebürtiger Jerusalemer und unter anderem in Deutschland ausgebildeter Ingenieur, gründete etwa Mitte der fünfziger Jahre im ölscheichtum Kuweit ein eigenes Unternehmen und wurde damit angeblich Millionär. Zehntausende von Geschäftsleuten, Staatsbeamten, Ärzten, Rechtsanwälten und Lehrern halfen in den letzten fünfundzwanzig Jahren bei der Entwicklung der arabischen Staaten — sie alle sind gebürtige Palästinenser.

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Man hat ihnen oft vorgeworfen, sie hätten ihre unglücklicheren, ärmeren und weniger ausgebildeten Landsleute in den Flüchtlingslagern der arabischen Nachbarstaaten Israels nach 1948 schnöde im Stich gelassen. Stimmt das wirklich?

UN-Ermittlungen zufolge betrug die Zahl der 1948 und danach aus dem heutigen israelischen Staatsgebiet (in den Grenzen des 5. Juni 1967) geflohenen oder vertriebenen Palästinenser etwa 726.000 Menschen.

Die Anzahl derjenigen, die direkt aus den von ihnen verlorenen Heimstätten oder aus den Lagern den Weg in die arabischen Nachbarländer fanden, beträgt höchstens 10 Prozent. Ihr Anteil an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dieser Gastländer ist wesentlich größer als ihre zahlenmäßige Stärke vermuten ließe.

In Saudi-Arabien und Libyen beispielsweise wäre das ganze gegenwärtige Schulsystem undenkbar ohne die Palästinenser. Für diese Palästinenser waren Jordanien, Syrien, Libanon, Irak oder Ägypten nach dem Verlust der Heimat die natürlichen Ziele. Im Palästina der Zeit kurz vor und nach dem ersten Weltkrieg war die panarabische Idee stärker ausgeprägt als in allen anderen Araberstaaten. Die Palästinenser, obwohl viele von ihnen Christen, fühlten sich zuerst als Araber, dann erst als Palästinenser. Doch sie wurden bitter enttäuscht.

Nur in Jordanien, das 1950 den nach der Gründung Israels mit Ausnahme des an Ägyptens gefallenen Gazastreifens verbliebenen Teil Palästinas formell annektierte, wurden sie vollberechtigte Staatsbürger. In allen anderen Araberstaaten waren sie nur geduldete Ausländer — Fremde unter Fremden. Nur selten erlangten sie die Staatsbürgerschaft des Gastlandes, und selbst Heiraten galten bei den Gastbehörden lediglich als Vorwand für die Erschleichung der begehrten Nationalität.

Man stelle sich einmal vor, in Deutschland hätte man die Flüchtlingsmillionen, die infolge des verlorenen zweiten Weltkriegs nach Westen strömten, ein Vierteljährhundert entlang der Demarkationslinie zum sowjetischen Machtbereich in Elendslagern festgehalten. Die Folgen wären unausdenkbar, bis hin zu dem dann längst hinter uns liegenden dritten Weltkrieg. Was man den Deutschen nicht erlaubte, erlaubte — und finanzierte man sogar — den

Araberstaaten. Die UNO, allen voran als größter Geldgeber die Vereinigten Staaten, unterhält bis heute die arabischen Flüchtlingslager. Hätte man die dafür aufgewendeten Mittel an die wirtschaftliche und soziale Eingliederung der Flüchtlinge in die arabischen Nachbarländer gebunden, es gäbe heute kein Palästinaproblem mehr.

Allerdings: Selbst die wenigen Palästinenser, die sich aus eigener Kraft nach Amman, Beirut, Damaskus, Bagdad, Kairo, Dschidda, Kuweit oder selbst bis Tripolis, Algier, Tunis und Rabat durchschlugen und es dort „zu etwas brachten'“, stehen heute längst vor den Trümmern ihrer Existenz. Sie waren willkommene Arbeitskräfte, aber keine willkommenen Mitbürger. Man gab ihnen die Arbeitserlaubnis, aber nicht die Staatsbürgerschaft der Gastländer. Heute gibt es in den arabischen Anliegerstaaten Palästinas längst eine eigene lokale Oberschicht, Erziehungsprodukt eben jener ausgewanderten Palästinenser. Doch diese ernteten nur Undank. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.

Jassir Arafats Auftauchen auf der zwielichtigen Bühne des palästinensischen Guerilla-Patriotismus war kein Zufall, keine Laune eines unbefriedigten Wohlstandsbürgers, kein letzter Ausweg eines Gescheiterten. In Kuweit, wo er sein unbeständiges Glück machte, leben 150.000 Palästinenser. Sie sind ein von Regierung und Geheimpolizei argwöhnisch beobachteter Fremdkörper. Mit den Palästinensern, die man brauchte, um selber vorwärts zu kommen, kam nämlich auch die Aufsässigkeit eines hochentwickelten Volkes in eine rückständige und lethargische Gesellschaft. Die Palästinenser erzogen die jungen Kuweitis, Saudis. Jordanier und Libyer nämlich zu mündigen Staatsbürgern mit eigener Meinung. Die Quittung: Tausende von Palästinensern bangen gegenwärtig in den Gastländern um die Verlängerung ihrer Arbeitserlaubnis, Tausende werden sie erst gar nicht bekommen. Das Resultat dürfte eine weitere Radikalisierung der Guerillabewegung sein.

1948 und danach waren die unterentwickelten Araberstaaten kaum fähig, den Menschenzustrom aus Palästina zu verkraften. Dazu hätte es gezielter und zweckgebundener Hilfe aus dem (westlichen) Ausland bedurft. Sie blieb bekanntlich aus. Heute sind die arabischen Regierungen gar nicht mehr bereit, die Palästinenser bei sich einzugliedern. Wer holt sich schon gern ein so aufsässiges politiches und soziales Element ins Haus?

In Jordanien zog man als einziger arabischer Staat daraus eine logische Konsequenz. König Hussein bietet den Palästinensern wenigstens eine erwägenswerte Alternative zu ihrem trotz zunehmendem Terror aussichtslosen Guerillakrieg. Er möchte eine Föderation zwischen Transjordanien, der sogenannten Westbank und dem Gaza-Streifen.

Die Palästinenser brauchen einen eigenen Staat, und für diesen wäre zwischen Israel, das auf die Vier-Millionen-Einwohner-Marge zusteuert, und Transjordanien durchaus Platz.

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