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Grazie und Vitalität

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Das Fest am Bodensee ist in vollem Gange: Opern, Schauspiele unt Ballette, Orchesterkonzerte, Solisten- und Kammermusikabende versetzen nicht nur Bregenz, sonderr das ganze Ländle in einen künstlerischen Ausnahmezustand. Über die unvergleichliche Seebühne hinau! legen die Bregenzer Festspiele äirer Gästen aus dem Bodenseeraum aud noch die landschaftlichen und baulichen Reize der Feldkircher Schattenburg, der Schlösser Hohenems un Meersburg sowie etlicher schönei Kirchen mit auf den musikalischei Präsentierteller, wohl wissend, un wieviel attraktiver Siedl ein mi’ Augenweide verzierter Ohrenschmaus ausnimmt

Seit Jahren schcm pflegt man in Theater am Kommarkt nüt großen Erfolg die italienische Oper und ha es mitunter dort schon zu exemplarischen Aufführungen gebracht. Mi’ Brio und Grazie quartierte siel diesen Sommer dort Dondzetti; „Regimentstochter" ein, ein Kinc munterster Laune und goldenei Kehle, das in der Person MargheritE Rinaldis erfreulich anzuhören ist, ir Luigi Alvas quicklebendigem Tonic einen tenoraden Schatz und ir Giuseppe Taddeis jovialem Sulpits ein baritonales Juwel sein elger nennt. Dieses komödiantisch spritzige Trio, dazu ein solides Ensemble, der napoleonisch uniformierte Wiener Staatsopemchor (einstudiert vor Rudolf Schramek) und die in Terzenwohlklang schwelgenden Wienei Sjmiphoniker waren bei Bruno Ama-ducci in guten Diriigentenhänden was eine glückliche Misdiimg vor Italianitä und wienerischer Strei-cherkantilene ohrenfäUig bewies Nicht ganz so überzeugend gerieter die optischen Merkmale dieser Aufführung; Filippo Crivellis Inszenierung kam nicht ganz mit sich ins Reine darüber, ob Posse oder Kin^ dervorstellung, Buffa oder Bauern-schwank zu spielen sei, auch France Zefflrellis Ausstattung ließ diesbezüglich keinen zwingenden Schluß zu, denn die grellbunten Figuriner vor der gepinselten Gebirgsikuliss€ hätten zu ‘allem eher gepaßt als zui feinen Heiterkeit dieser Partitur Dessenungeachtet siegten Donizetti und die Liebe über alle äußerlicher Hindernisse, Alle du regiment’ bekam ihren Tondo und viel Applaus: das Stimmungsbarometer stand aui eitel Wonne.

25 Jahre lang hat man auf der Bregenzer Seebühne erfolgreich Operette gespielt, edner möglichen Stagnation in dieser Richtung aber weise vorgebeugt, indem man heuer Gershwins Negeroper „Porgy and Bess" für das Spiel auf dem See ausersah. Freilich ist dieses Werk von der Musik her, die im jazzgetränkten Negeridiom basiert, Blues, Spirituals und Puccinismen effektvoll mischt, der Welt des Musicals zuzuzählen, dennoch machen es sein melancholischer Grundton, sein bestürzender Realismus zu einem ernsten Stücik, das vor allem durch die menschlichen Verstrickungen von Armut, Gewalt, Verführung und der Sehnsucht nach einem friedlichen Glück zu erschüttern vermiag. Trotz der großen räumlichen Entfernungen der Seebühne und der damit verbundenen Gefahren der Kontaktaiimut zum emzelnen Schauspdeier konnten Persönlichkeiten wie William Warfleid als dominierender Porgy, Joyce Bryant als ruhelose Bess, James Randolph als gewaltiger Crown und Robert GuiUaume als der mehr satanisch denn verführerisch anmutende Sporting life im Mosiaik der Einzelschicksale kraftvolle Akzente setzten, desgleichen aber die übrigen, vehemente Vitalität ausstrahlenden Sängerschauspieler dunkler Hautfarbe, die durchwegs imponierende Stimmen von charakteristischer Naturh’aftigkeit mitbrachten. Dirigent Lee Schaenen hielt den Riesenapparat mit Elan und zügigem Temperament in der Hand, ließ die Wiener Symphoniker mitunter sogar etwas EU heftig aus sich herausgehen und den Staatsopemchor präzis und gelöst singen. Das von Archie Savage choreograph ierte Volfcsopemballett war mit Schwung bei der Sache.

Ein Sondeilob verdienen die optischen Gestalter, die sich wirklich Gedanken gemacht haben, wie die Oper den ganz speziellen Verhältnissen der Seebühne anzupassen sei. Das ist zimächst einmal Robert O’Heam mit seinem Bühnenbild gelungen, das die Atmosphäre des kleinen Fischemestes Charleston mit sonnendurcihfluteten Gassen und Plätzen, ärmlich-schiefen, in- und übereinandergeschachtelten Häusern und Treppen überzeugend eingefangen hat Hier ließ nun Met-Regds-seur Nathaniel Merrill Alltag imd Schddksal der dumkelhäutlgen IBe-wohner in unerhörter Dynamik sich entfalten, oft simultan auf mehreren Schauplätzen, zu großartigen Höhe-jMinkten in den Massenszenen kulminierend, in TotenMage und Orkanzuflucht, in dem von der Insel auf einen Dampfer verlegten Picknick-fest, das von dem mit dramaturgischer Logik integrierten generösen Feuerwerk glanz-oll gekrönt wurde. Ein Stück totales Musiktheater, ein großer Erfolg, der auch für die Zukunft der Bregenzer Festspiele ermutigend ist.

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