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Kirche und Staat

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Am Dienstag vergangener Woche war zufällig (oder beabsichtigt?) zu gleicher Zeit im Club 2 des ORF und in der Sendereihe „Der heiße Stuhl" in RTL-plus eine Diskussion über die Probleme der Homosexualität. Es ging auch um die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. In beiden Sendungen wurde vehement eine noch viel deutlichere Trennung der Kirche vom Staat gefordert, damit der Staat „unabhängiger" seine Gesetze machen könne.

Solche Forderungen werden keinesfalls nur von Homosexuellen erhoben. In Polen und der Slowakei fürchten manche, die Kirche könne wieder zuviel politischen Einfluß gewinnen. Auch in Österreich möchten zunehmend mehr den „neutralen" Staat vor zu viel Einfluß der Kirche „schützen". Was steckt hinter solcher Angst?

Es ist bedauerlich, daß man der Kirche offenbar nicht zutraut, daß es ihr in der Gesellschaftspolitik wirklich um das Wohl der Menschen geht. Hat man vergessen, daß lange vor dem heutigen Sozialstaat sich gerade kirchliche Einrichtungen um Kranke, Arme, Behinderte angenommen haben?

Die Mehrheit der Österreicher ist getauft, sind somit Christen. Müßte es ihnen nicht ein Anliegen sein, daß das, wozu sie sich bekennen, auch gesellschaftsprä-gend ist? Oder klafft Glaube und Leben doch so auseinander? Oder sind sich die Christen selbst in lebenswichtigen Problemen nicht mehr einig?

Gefragt darf auch nach dem dahinterstehenden Demokratieverständnis werden. Sonst lobt man neue Formen direkter Demokratie, ist stolz auf Initiativen aller Art. Hat die Kirche, als gesellschaftlich doch sicher relevante Gruppe, nicht wenigstens in diesem Sinn ein großes Gewicht?

Aber vielleicht ist die Form der kirchlichen Argumentation daran schuld, daß man von ihr eher Doktrin als Lebenshilfe erwartet. In der pluralen Gesellschaft zählt nicht so sehr die Lehrautorität der Kirche, als die Kraft ihrer Argumente. Sind sie zu theologisch, dann werden sie als „rein religiös verpflichtend" ausgeklammert.

Kirchliche Stellungnahmen werden umso glaubwürdiger sein, je mehr sie von den Idealen des Evangeliums geprägt sind, das heißt von der besonderen Sorge um den (armen und entrechteten) Menschen. Andererseits muß erkennbar werden, wie tief ein Problem in seiner Verzweigtheit erkannt wurde und daß auch die Kirche andere kompetente Wissenschaften zu Hilfe nimmt.

Zwischen Kirche und Staat wird es immer Spannungen geben. Sie werden nicht durch eine völlige Trennung am besten gelöst, sondern erst fruchtbar durch eine sachliche, die jeweilige Kompetenz achtende Auseinandersetzung. Wobei Kirche und Staat dem Menschen und nicht sich selbst zu dienen haben.

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