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Kirche und Staat in Brasilien

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Es gibt ein gutes italienisches Buch über den Konflikt zwischen bestimmten „fortschrittlichen“ Kreisen der katholischen Kirche und dem Staat in Brasilien, aber nichts Gleichwertiges im deutschen Raum. Auch das vorliegende Buch kann nur ein Ersatz für eine wirklich tiefergehende und erschöpfende Analyse dieses Problems sein. Der Autor (wenn man das Hauptaugenmerk auf seine Sprache richtet) steht zweifellos eindeutig auf selten der „Progressisten“ und muß als ihr Partisane angesehen werden, und so ist dieser Band von der ersten bis zur letzten Seite ideologisch gefärbt.

Was wir hier nicht wirklich in aller Deutlichkeit zu hören bekommen, doch zu hören bekommen sollten, ist der Umstand, daß sich in der weltweiten katholischen Kirche tatsächlich in der Sozialökonomik ein gutes Stück Marxismus eingeschlichen hat, wofür (unter anderem) auch der inzwischen verstorbene französische Dominikaner Lebret und sein Arbeitskreis verantwortlich gemacht werden müssen. (Lebret hat tatsächlich in einem Vortrag vor Seminaristen in Säo Paulo sehr geschickt formulierend sich dahin-

gehend geäußert, daß Gott eher axit Seiten der Kommunisten als der „Kapitalisten“ stünde.) Diesen Abrutsch nach links hat Oswald von Nell-Breuning (Zur Debatte, Februar 1972) laut beklagt. Nun aber hat sich in Lateinamerika, wo sich die geradezu unheimliche „historische“ Ignoranz der Kirche in wirtschaftlichen Fragen besonders arg auswirkt, marxistisch-sozialistisches Denken in den kirchlichen Kreisen (unter Bischöfen und nicht nur unter enthusiastischen Studenten) besonders arg ausgewirkt. Die phantastische Vermehrung der Diözesen unter Pius XII., der bei den Besetzungen qualitätsmäßig nicht entsprochen werden konnte, hat das Unheil besonders dramatisch gestaltet. Monastische Vorbilder (Armut, Gehorsam, puritanisches Leben), säkular pervertiert, nähren dort christlich-sozialistisch-marxistische Vorstellungen, und dazu kommt die böse Vorliebe so mancher katholischer Denker für zentralistisch-tota-litäre-etatistische Schaubilder. Auch der uralte Hang gewisser Kleriker (und Laien), sich in die Politik einzumischen und den alten Thron-und-Altar-Komplex linksdrallig er-

neuert zu reaktivieren, spielen dabei eine große Rolle. Freiheitliche Konzepte sind unerwünscht. Erzbischof Dom Helder Cämara schwebt Jugoslawien als Ideal vor. (Dabei vertritt er gar nicht den extremen Flügel. Anti-Yankee-Komplexe verdunkeln den kleinen Rest rationalen Denkens.

Freilich findet diese „Unruhe“ hauptsächlich in halbintellektuellen Kreisen statt, und die breiten Massen stehen diesem Gezänk (und auch dem blutigen Revoluzzertum) indifferent, wenn nicht spöttisch gegenüber. In einem ganz kleinen Restaurant in Rio entdeckte ich vor kurzem eine Speisekarte, auf dem ein „Filet ä la Dom Helder“ angepriesen wurde. Auf meine erstaunte Frage, was der Erzbischof von Re-cife mit diesem Gericht zu tun hätte, wurde mir geantwortet, daß es äußerlich schwarz, aber innen rot sei. Wenn man aber die Verbindungen zwischen den Terroristen und manchen kirchlichen Kreisen näher studiert, vergeht einem der Humor. Werden Priester tatsächlich gefoltert? Zweifellos. Will das die Regierung? Ich glaube kaum. Aber Brasilien ist Brasilien, und das Land ist viel zu groß, um zentral gesteuert zu werden. Schon darum steht die Militärregierung für eine freie Wirtschaft ein — und auch deswegen, weil sie den kleinen Mann besser ernährt als monastisch-kommunisti-sche Kommandowirtschaften, wie es uns nun einmal die Geschichte lehrt.

Soll der wirklich gebildete, aufmerksam lesende, kritisch denkende Laie dieses Buch kaufen? Ja — er, aber nur er. Der Autor ist zwar ein Parteigänger, aber er lügt nicht und er gibt uns wirklich viel Materialien, die zum Überlegen anregen sollten. Zahlreiche hier erwähnte Personen sind dem Rezensenten bekannt, und (mit der obigen Einschränkung) er kann das Buch nur empfehlen. Die Ubersetzung ist flüssig, und der Leser sieht wieder einmal, welch üble Folgen es hat, wenn die Kirche nicht bei ihrem Leisten bleibt, ihre Theologen nicht Wirtschaftslehre studieren und (im Nachholbedarf) sich mit politischen Theorien aus dem 19. Jahrhundert eindecken.

KIRCHE UND MACHT IN BRASILIEN: Von Charles Antoine. Übersetzt von Konrad Schräge n-do rf er. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1972. 292 Seiten, DM 32.—, S 220.—.

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