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Nigerias Wirtschaftschaos

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Innerhalb eines knappen Jahres ist das ehemals reichste Land Schwarzafrikas unter die fast aussichtslos verschuldeten Staaten der Dritten Welt geraten.

Dekuvriert erst durch den chaotischen Niedergang seiner ölwirtschaft, durch eine konsequent diskriminierende Fremdarbeiter - und Regionalpolitik, durch eine seit der Entkolonisierung immer korrupter werdende Mißwirtschaft, besonders aber durch eine illusionäre Wirtschaftsplanung steht das Land vor Problemen, die es aus eigener Kraft wohl kaum zu lösen vermag.

Traurig dabei ist, daß das ambivalente koloniale Erbe und die kurzsichtige Gewissenlosigkeit interessierter Berater und gewinnmaximierender Geschäftspartner ein gerütteltes Maß von Schuld zu tragen haben.

Nigeria befindet sich am Rande des Staatsbankrotts. Seine korruptionsbedingte Unregierbar- keit könnte entweder zu einem Bürgerkrieg oder zu einer präventiv erputschten Militärregierung führen.

Wie ist es zu dieser prekären Lage gekommen?

Nigeria hatte bis Jänner 1981 seine Ölproduktion auf 2,2 Millionen Barrel pro Tag hochgeschraubt. Dann zwang die weltweite ölschwemme Nigeria, mit dem ölpreis — eigenmächtig — auf 36 beziehungsweise 30 Dollar pro Faß herunterzugehen. Anfang dieses Jahres sank die Olproduk-

tion nachfragebedingt auf weit unter eine Million Faß pro Tag.

Der daraus folgende Tiefstand der Staatskassen hat eine Pleitewelle hervorgerufen, die zu Arbeitslosigkeit, Fremdenhaß, zu sozialen und wiederbelebten regionalen Spannungen geführt hat.

Schon während der Kolonialzeit den viel zivilisierteren Ibos gegenüber bewußt bevorzugt, wurde den Haussas bei der Entkolonisierung die Macht zugespielt. Als sich dann die Ibos zu emanzipieren versuchten, endete dieser Versuch im Biafrakrieg mit bekanntem Ausgang.

Die lokalen Polithäuptlinge dieser und auch anderer unterdrückter Minderheiten konnten bislang durch gelegentliche Geldgeschenke mundtot gemacht werden; nun entfallen diese Schweigegelder und die Diskriminierung wird stärker — damit ist der Krach vorprogrammiert!

Der — einstweilige — Sündenbock sind die Wirtschaftsflüchtlinge und Wanderarbeiter der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft. Was man ihnen anlastete: Sie nähmen drei Millionen Arbeitsplätze weg und würden jährlich fünf Milliarden Naira ins Ausland verschieben.

Demgegenüber: Diese Leute haben insgesamt nur einen Bruchteil dieser Summe verdient.

Zumeist hatten sie Pariahjobs in- ne, die die Nigerianer nicht geneigt waren anzunehmen.

Durch Vertreibung wurden so zwei Millionen in Chaos und Elend gestoßen, die Wirtschaft Nigerias geschädigt und die nigerianischen Massen gerieten in Pogromstimmung. All das änderte aber nichts am Krebsschaden des Staates: an der Korruption.

Nach der Entkolonisierung saßen noch die altgedienten, ausgebildeten Leute der Kolonialverwaltung in den Amtsstuben. Die ungeheure Ausweitung und Durchpolitisierung aller Behörden, das altersbedingte Ausscheiden machte die ursprüngliche Riege aber bald zu einer kleinen Minderheit. Uberbesetzung, Inkompetenz und Afronepotismus verursachten so den Niedergang der ursprünglich gleichwohl vorhandenen Beamtenmoral.

Stereotyp werden falsche Belege, frisierte Abrechnungen und überhöhte Kassenzettel Opfer der häufigenBrandstiftungen,

gleichgültig wo, ob bei Auslandstelefon- und Telexgesellschaften oder bei jedem x-beliebigen Ministerium. Daß Akten verlorengehen, wundert niemand mehr.

Diese Mißstände konnten vom Fatalismus der Hungrigen und dem rabiaten Lebenswillen der Satten noch verkraftet werden. Irgendwie versuchte sich jeder schadlos zu halten: alle gemeinsam an dort arbeitenden Ausländern. Was aber das Land nicht verkraften kann, das sind die horrenden Kosten einer von „Experten“ zynisch ermunterten illusionären Wirtschaftsplanung.

Als der „Ölsegen noch nicht schief hing“, erbrachte er 95 Prozent der Exporterlöse und 80 Prozent der Staatseinnahmen. Aber selbst das Doppelte und Dreifache der damaligen Traumeinnahmen würde nicht für die Verwirklichung der Regierungsvorhaben reichen.

Man beabsichtigte, das Agrarland der primitiven Subsistenzwirtschaften in einen Industriekoloß zu verwandeln, eine Stahlindustrie als „unabdingbare Voraussetzung der Industrialisierung“ aus dem Boden zu stampfen, das ganze Land groß angelegt (aber am wahren Bedarf vorbei) zu elektrifizieren, neue Verkehrsverbindungen zu schaffen, eine einheimische Kraftfahrzeugindustrie erstehen zu lassen, die Motorisierung trotz des Verkehrschaos in allen Städten voranzutreiben, die „Grüne Revolution" (wenn richtig angepackt, das einzig vernünftige Vorhaben) erfolgreich durchzuführen, ein ehrgeiziges Wohnungs- und Städtebauprogramm zu verwirklichen und — als Krone des Irrsinns der Haussa-Großmannessucht — eine neue Bundeshauptstadt, Abuja, in der Mitte Nigerias aufzubauen: ein Schluckloch für Hunderte von Dollarmilliarden!

Nun läuft wegen des Geldmangels nichts mehr in Nigeria, und die Regierung weiß nicht, wie weiter. Der Hafen von Lagos ist leer, im Land stehen überall halbfertige Industrieanlagen und Häuser, Lebensmittelknappheit, Arbeitslosigkeit, Raubüberfälle am hellichten Tage, katzbuckelnde ausländische Investoren, die wenigstens einen Bruchteil ihrer Außenstände eintreiben wollen — aber das Land ist zahlungsunfähig!

All das genügt, um zu zeigen: allein, aus eigenen Kräften, kann Nigeria seine Wirtschaft nicht sanieren.

Aber eine mit diktatorischen Vollmachten versehene Regierung könnte sich — für jedes Portefeuille — entsprechende ausländische Fachleute heuern. 500—600 Experten wären vonnöten, und diese könnten nach einem Plan des Internationalen Währungsfonds jene wirtschaftlichen Auflagen durchsetzen, die notwendig sind: Drosselung der öffentlichen Ausgaben, Gelder gegen Zweckentfremdung schützen, die Auftragserteilungen, -durchführun- gen und Zahlungsleistungen sowie den Zolldienst durch Präsenz und Mitwirkung dekorrumpie- ren, die Importe auf ein Drittel reduzieren, damit die Staatsfinanzen und die Handelsbilanz wieder in Ordnung kommen. Die Mindestamtszeit einer „angeheuerten Sanierungsregierung“ müßte fünf Jahre betragen.

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