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Noch lange nicht „Shalom" für Israel

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Friede den Menschen auf Erden" verhießen einst laut Lukasevangelium die Engel den Hirten auf den Feldern von Bethlehem.

„Shalom" — Friede — ist hier im Land der tägliche Gruß der Juden, „Salam", dasselbe Wort, derselbe Inhalt, der Gruß der Muslime. Warum aber gibt es hier zwischen „Shalom" und „Salam" scheinbar keine Brücke?

Für die Juden ist Jerusalem der Ort, wo Salomo den ersten Tempel erbaute, wo der Zionsberg mit dem Grab Davids zum Inbegriff jüdischer Sehnsucht durch fast zwei Jahrtausende wurde.

Für die Muslime ist Jerusalem „AI Kuds" - die Heilige -, wohin

Mohammed auf wunderbare Weise von Mekka befördert worden war, und von wo er seinen Aufstieg zum Himmel antrat. Für die Christen ist Jerusalem der Ort des Wirkens, des Leidens und der Auferstehung Christi.

Sollte es nicht doch einen Weg geben, alle drei Religionen zum „Shalom" der heiligen Stätten zu führen — auch wenn es für strenggläubige Muslime ein Greuel ist, Weisungen jüdischer Behörden folgen zu sollen; auch wenn es für orthodoxe Juden noch viel mehr Greuel bedeutet, eine Moschee dort leuchten zu sehen, wo einst Salomos Tempel stand?

Aber hat sich nicht doch schon viel geändert, seit die Altstadt von Jerusalem im Sechs-Tage-Krieg befreit wurde; seit Teddy Kollek, gebürtiger Wiener, als Bürgermeister von Neu-Jerusalem auch

den Ostteil in seinen Wirkungsbereich einbezogen hat?

Die Grabeskirche umfaßt die letzten Stationen des Leidensweges Christi. Wie vor mehr als 200 Jahren nehmen griechische, römische, armenische, koptische, syrische und äthiopische Priester die Interessen ihrer Kirche wahr— mit geöffneter Hand — und stellen den Streit der Christen neben den Streit der Juden und Muslime.

Aber immerhin: Unter jordanischer Herrschaft drohte die Grabeskirche bereits einzustürzen. Die verschiedenen Besitzer konnten sich nicht auf gemeinsame Bemühungen einigen. Der sanfte Druck des israelischen Religions-Ministeriums hat sie zusammengebracht. Heute stehen die Gerüste im Innern, Teile sind bereits restauriert, die Arbeiten schreiten fort.

„Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho ..." Vor zehn Jahren noch, wenn der Autobus zwischen den kahlen Höhen der Wüste von Judäa hinab zum Toten Meer fuhr, sah man den Mann aus dem Gleichnis vor sich, wie er plötzlich vor Reitern stand.

Heute stehen auf den Höhen die neuen Satellitenstädte, zum Teil schon bewohnt. Sie sollen das is-

raelische Besitzrecht über Großjerusalem absichern.

Diese Wohnungen bekommen nur Juden, Einwanderer vor allem. 1949 zählte der junge Judenstaat noch keine 900.000 Einwohner, 82 Prozent waren Juden. Inzwischen ist die Vier-Millionen-Marke überschritten, der Anteil der Minderheiten nähert sich 20 Prozent. Die Zuwanderung ist schwächer geworden, hält aber an. Für die neuen Mitbürger müssen Wohnungen, Arbeitsplätze geschaffen werden.

In den besetzten Gebieten von Judäa, Samaria und dem Gazastreifen leben 1,2 Millionen Menschen — unter ihnen aber nur zwei Prozent Juden. Seit 1967 hat sich die Zahl der Araber in den „West-banks" — den Gebieten westlich des Jordans — um 200.000 vermehrt, durch Rückführung von 45.000 Flüchtlingen, vor allem aber durch die hohe Geburtenrate der Araber.

In dieser Zeit haben sich 25.000 Juden hier niedergelassen, viele von ihnen, ohne ihren Hauptwohnsitz aufzugeben. In diesen Größenordnungen bewegt sich die „Siedlungspolitik", die im In- und Ausland böses Blut schafft und

zum Anlaß dient, Friedensbemühungen zu blockieren.

Jericho, älteste Stadt der Welt. 30.000 Flüchtlinge lebten in den Lagern am Rande der Oase. Viele von ihnen flohen 1967 weiter nach Jordanien. 5.000, die blieben, sind längst integriert. Die Lager verfallen.

In diesen Jahren hat sich der Eigenverbrauch der Bewohner der Westbank verfünffacht, der Export nach Israel stieg auf das Zwölffache. Aber auch nach Jordanien gehen sechsmal so viele Waren wie vor dem Krieg.

Oberhalb Jericho liegt der Berg der Versuchung. Als Jesus 40 Tage gefastet hatte, hungerte ihn, und Satan legte ihm nahe, aus Steinen Brot zu machen...

Das wäre eine Kunst, die hier manchen Verantwortlichen in Versuchung führen könnte. 1948, bei der Geburt des Staates Israel, deckte seine Landwirtschaft kaum 20 Prozent des Bedarfs seiner 700.000 Einwohner. Ringsum standen die Feinde und verhinderten jede Einfuhr. Heute stellen

Israels Kibbuzniki 85 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs von vier Millionen Menschen.

Jericho selbst aber wird zum Touristenziel: Ferienort für die Juden aus Jerusalem, die hier im Winter baden können; Attraktion für die Fremden mit den Ausgrabungen des Herodion, mit Qum-ran und Massadah; Kurort für Kranke.

Aber das Meer zieht sich zurück. Der Jordan hat nicht genug Wasser abzugeben, seit er die weiten Felder von Galiläa und Samaria bewässern muß. Auch am See Genesareth fällt der Wasserspiegel — und die Jordanier klagen, daß für sie zuwenig übrigbleibt.

Das Prophetenwort verkündete: Wenn das große Meer zum kleinen kommt, werde das Paradies Wirklichkeit werden. Die endzeitliche Vision scheint greifbar zu werden, seit überlegt wird, einen Kanal vom Mittelmeer zum Toten Meer zu ziehen...

„Eine große Volksschar aus Galiläa folgte ihm..." Heute sind es Menschen aus aller Welt, die Christi Spuren folgen. Der Fremdenverkehr explodiert. Vor zehn Jahren kamen 700.000 Fremde ins Land, vorwiegend Juden. Inzwischen sind es mehr als zwei Millionen, zum guten Teil christliche Pilger.

Der Berg der Seligpreisungen liegt etwas über dem See Genesareth. Palmen und Ölbäume geben Schatten. Steintische laden ein, das Meßopfer zu feiern, die Bergpredigt zu lesen.

„Selig die Friedensstifter.. Wie oft ertönt täglich hier diese Mahnung? Wer von ihnen allen, die herkommen, nimmt sie auf, läßt sie zur Beschwörung werden, gibt sie weiter, hilft an ihrer Verwirklichung?

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