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Portugals afrikanischer Kreuzweg

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Nach dem Putsch General Spino-las und der Machtübernahme durch die Militärjunta in Lissabon erhebt sich nun die beherrschende Frage nach der Zukunft des portugiesischen Reiches in Afrika. Es ist dies die Schicksalsfrage Portugals schlechthin, darüber hinaus vielleicht auch die Schicksalsfrage Afrikas. Sie wurde in General Spinolas Buch „Portugals Zukunft“ mit zuvor nicht gewagter Offenheit gestellt und war damit zum auslösenden Moment für den kurz darauf folgenden Sturz des Caetano-Regimes geworden. Seit der Veröffentlichung des Buches im Februar konnte die Diskussion über den Krieg in Afrika, den Portugal seit 13 Jahren unter immer größeren finanziellen, militärischen und moralischen Opfern führte, nicht mehr zum Schweigen gebracht werden.

Vor dem Ausbruch des Krieges im Jahre 1961 stand bezeichnenderweise auch der „Putsch“ eines portugiesischen Hauptmanns: Dieser, Henrique Galväo, hatte auf hoher See die Kornmandogewalt über den Luxusdampfer „Santa Maria“ an sich gerissen und in alle Welt funken lassen, er sei entschlossen, „den Diktator zu stürzen und das Land und seine afrikanischen Provinzen zu befreien“. Dieser Piratenstreich schlug fehl. Galväo landete nicht, wie geplant, in Angola, sondern in Brasilien, wo er mit dem damaligen Führer der Opposition, General Delgado, zusammentraf. Delgado wurde vier Jahre später in der Nähe der spanisch-portugiesischen Grenze ermordet aufgefunden.

Seit der dramatischen Tat Galväos haben sich in Portugiesisch-Afrika die Lebensbedingungen wesentlich gebessert, gleichermaßen aber wurde der verzweifelte Widerstand Portugals immer aussichtsloser.

Die Aktivität der Guerilleros hatte im Gefolge der Anwesenheit der Chinesen beim Bahnbau in Ostafrika stark zugenommen. Die dadurch bedingte ständige Verstärkung der portugiesischen Truppen zeitigte als besorgniserregende Nebenwirkung ein Absinken der Kampfmoral und eine Zunahme, der Desertionen — sattsam bekannte Folgen „schmutziger“ Kriege.

Seit 1970 nahm die Sabotagetätigkeit von Stadtguerilleros im Mutterland selbst zu. Gleichzeitig erhielten, bei fortschreitender außenpolitischer Isolierung Lissabons, die Guerilleros wachsende materielle Unterstützung durch UN-Organisationen, durch den Weltkirchenrat, Kanada und die skandinavischen Länder. Wenngleich Portugal Verurteilungen durch die UN-Vollversammlung im Schutze des Vetorechtes der USA im Sicherheitsrat relativ gelassen hinnehmen konnte, mußte es doch durch die Tatsache beunruhigt sein, daß auch unter den NATO-Partnern Portugals die Ungeduld zunahm.

An den Grenzen Angolas operieren drei verschiedene Befreiungsbewegungen: die MPLA unter der Führung Dr. Agostinho Netos, die UPA Holden Robertos und die UNITA. Die beiden erstgenannten haben sich im Vorjahr unter einem gemeinsamen Oberkommando vereinigt, aber die persönlichen und tribalen Rivalitäten zwischen den einzelnen Gruppen und ihren Führern sind nur notdürftig überbrückt.

Angola ist die reichste Überseeprovinz Portugals mit der größten Zahl weißer Siedler. Ihre verwundbarste Stelle ist die Enklave Cäbinda mit ihren ergiebigen Ölfeldern. .

Im nördlichen Grenzgebiet Mo-gambiques operiert die FRELIMO. Der Verlust oder die Aufgabe Mo-gambiques würde die größte Gefahr für das südliche Afrika mit sich bringen: Es könnte das Ende der weißen Regierung Rhodesiens bedeuten, aber auch das Apartheidregime in Südafrika in eine gefährliche Lage bringen.

In Mogambique befindet sich die Baustelle für das gigantische Cäbora Bassa-Kraftwerk, und durch Mogambique verläuft die für Rhodesien lebenswichtige Transportverbindung zum Indischen Ozean. Beides, Cäbora Bassa sowie die Bahn- und Straßenverbindung nach dem Hafen Beira, waren Ziel der Sabotageaktionen der FRELIMO, die seit dem vergangenen Jahr bis tief in das Innere des Landes vorstieß. FRELIMO operiert von Tansanien aus, wo sich auch der Sitz des OAU-Befreiungskomitees befindet.

Die Bewegung wurde von dem amerikanischen farbigen Soziologen, Dr. Mondlane, gegründet, der 1969 von einer Bombe zerrissen wurde, die ihm in einem Buch verpackt zugeschickt worden war.

Die Erfolgsmeldungen der Befreiungsbewegungen sind mit großer Vorsicht zu genießen, und es fällt dem Außenstehenden schwer, ein objektives Bild zu gewinnen.

Die portugiesische Strategie ist hingegen bekannt. Ihre äußeren Merkmale sind „Wehrdörfer“ — hier „aldeamentos“ genannt — und die Umerziehung von Gefangenen. Das Flächenbombardement fehlt.

Unter den weißen Siedlern in Mogambique wird schon seit längerer Zeit eine einseitige Unablhänigigkeits-erklärung im Stile Rhodesiens diskutiert. Zentrum dieser Bestrebungen war General d'Arriaga, der bis zum Juli des Vorjahres Oberbefehlshaber der portugiesischen Truppen in Mogambique war. D'Arriaga forderte stets eine Intensivierung des portugiesischen Einsatzes und wies Lissabon immer wieder auf die seiner Meinung nach bestehende Notwendigkeit hin, militärische Vergel-tungsschläge auch in die benachbarten Länder Tansanien und Sambia zu führen.

D'Arriaga scheint das Zentrum der Ultras in der Armee gewesen zu sein. Zusammen mit dem früheren Außenminister Franco Nogueira war er angeblich im vergangenen Dezember in einen Putschversuch zum .Sturze Caetanos verwickelt, der dann von jüngeren Offizieren um Spinola vereitelt worden sein soll.

D'Arriaga führte seinen Kampf aber auch mit der Feder. Auch er veröffentlichte ein Buch über die portugiesische Afrikapölitik. Der unmißverständliche Titel: „Die portugiesische Antwort.“ Darin heißt es, daß die Guerilleros Teil einer internationalen kommunistischen Verschwörung seien, die das Ziel habe, das gesamte südliche Afrika zu übernehmen. Er sprach in diesem Zusammenhang von einer „Herausforderung an den Westen“, an die gesamte zivilisierte Welt, für die Portugal in Afrika an der Front stehe.

Diese These widerlegte d'Arriagas Gegenspieler Spinola nun mit seinem Buch, in dem zum ersten Mal schonungslos das „Unsagbare“ gesagt wurde: daß nämlich Portugal den Krieg in Afrika nicht gewinnen könne und daß sich das Land nicht leisten könne, weiterhin Unsummen in einen hoffnungslosen Krieg zu verschwenden.

Darin liegt die besondere Tragik der Lage Portugals: daß es sich weder leisten kann, die Überseegebiete mit Gewalt zu halten noch sie aufzugeben.

Als England und Frankreich Afrika verließen, waren sie durch ihr wirtschaftliches Potential in der Lage, auch nach Auflösung der formellen Imperien die Sicherung ihrer Interessen in den Nachfolgestaaten zu gewährleisten. Die jungen Staaten waren und sind größtenteils nach wie vor durch Handel und Kapital eng mit dem ehemaligen Mutterland verbunden. Das arme Portugal jedoch wäre nicht in der Lage, sein „formales Empire“ in ein „informelles“ umzubilden.

Dieser Tatbestand ist die eine, sehr reale Seite der portugiesischen Politik. Die andere, theoretische Seite, basiert auf der Idee von der lusitani-schen Einheit, dem missionarischen Eifer eines zivilisatorischen Sendungsbewußtseins. Die politische Ratio scheint nun in Gestalt Spinolas gesiegt zu haben. Ein Zurück dürfte es nicht mehr geben. Dieses Ende einer Epoche, dessen Nachlaß zu verwalten sich die Junta nun anschickt, wird für die Portugiesen auf jeden Fall schmerzvoll sein.

Die politische Lösung für Portugiesisch-Afrika, die General Spinola vorschwebt, ist die Umwandlung des Reiches in eine Art von „lusitani-schem Commonwealth“: eine lose Föderation von Staaten mit interner Selbstverwaltung. Dieser Föderation könnte nach Spinolas Konzept auch Brasilien angehören, dessen Beziehungen zum ehemaligen Mutterland — Brasilien wurde schon 1822 unabhängig — sehr gute sind. Dennoch scheint auch diese Idee insofern eine Utopie zu sein, als ein Beitritt Brasiliens nur schwer vorstellbar ist.

Ob Spinola die innere Konsolidierung Portugals auf der Basis seines liberalen und demokratischen Konzepts gelingen wird, ist trotz der ihm offensichtlich entgegengebrachten Sympathien der breiten portugiesischen Öffentlichkeit noch nicht sicher. Die Junta wird jedenfalls noch einen harten Kampf sowohl gegen die Ultras auf der Rechten als auch gegen die Radikalen auf der Linken zu führen haben. Die Lösung der afrikanischen Frage jedoch wird für die neuen Machthaber in Lissabon einer Zerreißprobe gleichkommen.

Die afrikanischen Guerilleros werden sich, wie ihre Führer, auch jetzt noch betonen, wohl nur mit der völligen Lostrennung zufriedengeben. Die OAU wird lautstark wie stets die „völlige Befreiung Afrikas vom kolonialen Joch“ fordern.

Das Schicksal der Weißen, Inder und Mischlinge, aber auch der portugiesisch erzogenen Schwarzen wird dann für die Junta zur alles beherrschenden Verantwortungsfrage werden. Die Siedler, die durch Fleiß und Unternehmungsgeist aus Angola und Mogambique im wahren Sinn des Wortes blühende Provinzen gemacht haben, und für die Afrika, nicht das ferne Portugal Heimat ist, werden für ihr Heimatrecht kämpfen. Wie schon erwähnt, ist daher eine Rhodesische Lösung nicht ausgeschlossen.

Seit 1963 verläuft die Front zwischen dem weißen Block in Afrika und dem gegnerischen Lager der OAU-Staaten von der Nordgrenze Angolas auf der Höhe der Kongomündung entlang des Mittellaufes des Sambesi mit den Staudämmen von Kariba und Cäbora Bassa bis an die Nordgrenze von Mogambique am Ruvumafluß. Um diese Front zu halten, hat Südafrika in den letzten Jahren immer wieder „Polizei“-Truppen nach Rhodesien, Angola und Mogambique geschickt. Für diese weiße Frontlinie bedeuten die Ereignisse in Portugal die bisher ernsteste Bedrohung.

Wie immer sich die Lage im Portugiesisch-Afrika auch entwickeln wird — ob Spinolas Lusitanisches Commonwealth, ob einseitige Unab-hängigkeitserklärung der Gebiete mit Anlehnung an Südafrika, oder ob volle Unabhängigkeit unter einseitig schwarzen Regierungen — eines ist sicher: das Datum des Spi-nola-Putsches wird zu den Hauptdaten der afrikanischen Geschichte zu zählen sein.

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