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„Befreier“ zerfleischen sich selbst

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Es hat den Anschein, als könne Portugal heute genauso wenig sein Kolonialreich mit Mäßigung und Überlegenheit liquidieren, wie vor 15 Jahren Belgien den Kongo. Zwar war der Wille dazu bereits unter Caetano gegeben. Die sich überstürzenden Ereignisse danach: der Putsch Spinolas, der bis zur Gegenwart andauernde Kampf zwischen sozialistisch gestimmter Demokratie und kommunistischem •Totalitarismus, haben dann zunächst Guinea-Bissau gewaltsam aus dem „Einheitsstaat“ herausgebrochen, hernach Mocambique dem Frelimo ausgeliefert, der bis zur Stunde noch keine feste Position in seinem Verhältnis zu den Weißen erreicht hat, endlich — und das ist jetzt eine Hauptsorge nicht nur für linke Militärs in Lissabon und rechtsgerichtete portugiesische Siedler in Luanda — Angola in einen Bürgerkrieg zwischen „Befreiungsbewegungen“ gestürzt.

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Es hat den Anschein, als könne Portugal heute genauso wenig sein Kolonialreich mit Mäßigung und Überlegenheit liquidieren, wie vor 15 Jahren Belgien den Kongo. Zwar war der Wille dazu bereits unter Caetano gegeben. Die sich überstürzenden Ereignisse danach: der Putsch Spinolas, der bis zur Gegenwart andauernde Kampf zwischen sozialistisch gestimmter Demokratie und kommunistischem •Totalitarismus, haben dann zunächst Guinea-Bissau gewaltsam aus dem „Einheitsstaat“ herausgebrochen, hernach Mocambique dem Frelimo ausgeliefert, der bis zur Stunde noch keine feste Position in seinem Verhältnis zu den Weißen erreicht hat, endlich — und das ist jetzt eine Hauptsorge nicht nur für linke Militärs in Lissabon und rechtsgerichtete portugiesische Siedler in Luanda — Angola in einen Bürgerkrieg zwischen „Befreiungsbewegungen“ gestürzt.

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Dieser Kampf hat das Rätsel aufgegeben, wie überhaupt das westafrikanische Territorium am 11. November dieses Jahres die Unabhängigkeit zu erlangen vermag. Der inzwischen aus dem Kabinett in Lissabon ausgeschiedene Soares hat darüber hinaus sogar davon gesprochen, daß die „bedeutende Unzufriedenheit unter der Bevölkerung“ in Portugal selbst auf die „schweren Probleme in Angola“ zurückgehe. Das ist eine unerwartete Gewichtsetzung.

Die Frage ist, ob den schwarzen wie den weißen Bewohnern von Angola eine Unabhängigkeit zu wünschen ist, die keine fest verankerte Autorität erkennen und nur eine Fortsetzung des Gemetzels erwarten läßt, das allein während der letzten Woche im Bereich der Hauptstadt Luanda über 300 Tote und mehr als 1500 Verwundete forderte. Wie es scheint, hat die portugiesische Armee die Kontrolle in dem ausgedehnten Land völlig verloren. Konfrontiert sind im Westen und Norden, wo sich die Gefechte konzentriert haben: 1200 Soldaten der marxistischen „Volksbefreiungsfront“ MPLA und eine der Zahl nach stärkere Streitmacht der rechtsgerichteten „Nationalen Befreiungsfront“ FNLA, die laut angelsächsischen Presseberichten Anlehnung an Zaire und Unterstützung durch die Vereinigten Staaten besitzt.

Wie es heißt, ist die marxistische MPLA unter ihrem Führer Agostin-ho Neto wesentlich besser (vor allem mit Panzern und schwerer Artillerie) bewaffnet als die nationale FNLA unter Holden Roberto. Diese hat sich soeben zu ihrer Niederlage im Stadtgebiet von Luanda wie folgt geäußert: „Die portugiesische

Bewegung der Streitkräfte ist in einem Augenblick, in dem sie die demokratischen Errungenschaften und die Meinungsfreiheit in Portugal liquidiert, brutal zu einer Attacke in Angola gegen FNLA übergegangen.“ Eine schwere Beschuldigung. Es wurde sogar behauptet, die Regierung in Lissabon habe kommunistische Offiziere nach Angola gesandt, damit sie das Kommando über die marxistischen „Volksbefreiungs“-Einheiten übernehmen könnten. Die FNLA soll ihre Verbände daraufhin auf die Grenzen zurückgezogen haben.

Die Aufmerksamkeit nicht nur Portugals und der weißen Siedler in Angola — sie fliehen bereits auf den portugiesischen Marinestützpunkt und versuchen Flüge in die Heimat zu erhaschen — ist nun auf den „letzten Versuch“ einer Vermittlung gerichtet, den Melo Antunes, der zum Schauplatz geeilte portugiesische Außenminister, angekündigt hat. Antunes erklärte, er werde die portugiesische Armee mit Härte eingreifen lassen, wenn nicht die Führer der „Befreiungsbewegungen“ zu einer „Haltung der Verantwortung und des Realismus“ zurückfänden. Die 500.000 im Lande lebenden Portugiesen forderte er ungeachtet ihrer Not zum Bleiben auf, damit eine „echte Unabhängigkeit Angolas“ realisiert werden könne. Man spricht auch davon, Antunes wolle den Konflikt eventuell vor das Forum der Vereinten Nationen bringen. . . . . '

Angola besitzt, was die weiße Bevölkerung betrifft, innerhalb der portugiesischen Uberseegebiete das Sonderproblem, daß vom Mutterland seit 1961, als der Aufstand der rivalisierenden Unabhängigkeitsbewegungen begonnen hatte, ungeachtet des Buschkriegs die Einwanderung forciert worden ist. Die eingesessene Bevölkerung wurde dann verwirrt durch eine beschleunigt vorgetriebene Entwicklungsarbeit, die den rein agrarischen Charakter des Landes veränderte. Sie begann zeitlich erst, als das Territorium bereits der europäischen Führung entglitt.

Alles in allem eine Tragödie. Der zu spät in Angriff genommene Plan, autonome Regionen innerhalb eines portugiesischen Einheitsstaates zu bilden, blieb Papier. Immerhin in der Prosa Spinolas ein Konzept mit einigen bemerkenswerten Gedanken. Ob sie Portugal oder Portugiesisch-Afrika noch einmal nützen können?

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