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Viele fühlen sich an den Rand gedrängt

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Skin Heads und gewalttätige Fußballfans sind nur die Spitze eines Eisberges. Sie signalisieren eine zunehmende Gewaltbereitschaft.

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Skin Heads und gewalttätige Fußballfans sind nur die Spitze eines Eisberges. Sie signalisieren eine zunehmende Gewaltbereitschaft.

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Die Aufhebung der Trennung Europas durch den Fall des Eisernen Vorhanges spielt da eine vielfach unbeachtete Rolle. Die anfängliche Begeisterung darüber wich bald einer immer größer werdenden Verunsicherung, weil jahrzehntelang gültige Feindbilder über Nacht verschwunden waren. Da tauchten neue Trennungslinien auf. Die wichtigste ist die neue Grenze zwischen Arm und Reich.

Auf den Arbeitsmarkt Ostösterreichs drängen immer mehr billige polnische und tschechische Arbeitskräfte, die von den österreichischen Arbeitnehmern insbesondere in Rezessionszeiten als Bedrohung wahrgenommen werden.

Bei den auf diese Weise unter Druck Gesetzten wuchsen in den letzten Jahren die Zukunftsängste rasant an. Sie alle befürchten, „nicht mehr mitzukommen", draußen zu bleiben, zu verlieren. Es ängstigt sie aber nicht nur der drohende wirtschaftliche und soziale Abstieg, sie haben oft auch das Vertrauen in die Gerechtigkeit und Chancengleichheit der Gesellschaft verloren.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Schule. Sie fördert im Gegensatz zu handwerklichen und emotionalen Fähigkeiten vor allem die intellektuell-sprachlichen Talente. Kinder aus einfachen Verhältnissen sind ihren Kameraden aus Mittel- und Oberschicht vor allem sprachlich unterlegen.

Die für den Schulerfolg heute unbedingt nötige Hilfe der Eltern kann wiederum nur von Eltern geleistet werden, die genug Zeit haben und den fachlichen Anforderungen gewachsen sind. All das führt dazu, daß im harten Ausleseprozeß der Schule häufig die sozial Schwächeren auf der Strecke bleiben. Das bestätigt bei den Eltern eine bereits im Berufsleben gemachte Erfahrung und erweitert sie: Nicht nur sie selber, sondern auch ihre Kinder haben keine Chance, ein Stück voranzukommen.

Noch entscheidender ist aber der Wertewandel innerhalb der österreichischen Bevölkerung. Untersuchungen haben ergeben, daß Werte wie Spaß, Sicherheit und Unterhaltung in den letzten Jahren am stärksten an Attraktivität gewonnen haben.

Egoismus und Konsum sind in unserem Land die wirklichen Regenten des Lebens geworden. Harte Arbeit wird verlangt, um Zugang zur bunten Warenwelt zu erhalten. Auf der Strecke bleiben Gespräch und Besinnung, was Kinder und Jugendliche

besonders negativ trifft. Die von der Arbeit ausgelaugten Eltern haben abends oft weder Kraft noch Laune, sich mit ihren Sprößlingen zu beschäftigen. Die Beaufsichtigung und Unterhaltung übernimmt der Fernsehapparat. Das Ergebnis besteht in Massen von seelisch verwahrlosten Jugendlichen.

Neben dieser Erfahrung des Alleingelassenseins irritiert die Heranwachsenden aber auch, daß ihnen die Erwachsenen kaum Werte zu vermitteln vermögen. Der Mangel an wirklichen Identifikationsfiguren treibt sie schließlich dazu, sich an medial vermittelten Vorbildern zu orientieren. Der dort dominierende Siegertyp ist meist der starke Mann, der sich rücksichtslos durchsetzt.

Der von den jungen Skins mit ungeheurer Brutalität zum Ausdruck gebrachte Protest ist anfänglich weit vom traditionellen Rechtsextremismus entfernt. Er ist viel eher ein „Auf-sich-Aufmerksam machen", was mit Naziparolen leicht geschieht.

Wirksame Gegenstrategien müßten von den gesellschaftlichen Eliten ausgehen, indem bei ihnen humane Werte durch tatkräftiges, beispiel-

haftes Handeln an Stellenwert gewinnen. Vor allem müßte man sofort mit der Aushöhlung des Begriffes Solidarität aufhören und statt der aggressiven die menschenfreundlichen Werte emotionalisieren.

Das überhaupt nicht ausreichende Freizeitangebot, das Jugendliche in städtischen Ballungsgebieten vorfinden, ist oft dann der Auslöser für den Beitritt zu einer Schlägergruppe, weil „dort etwas los ist", Hier müßten die Gemeinden schnell tätig werden.

Gute Erfolge verzeichnet in Wien das Projekt „Streetwork", bei dem sich Sozialarbeiter auf unkonventionelle Weise um die gewalttätigen Fans von Fußballklubs kümmern. Wenn ein Skin Head schließlich einen sicheren Arbeitsplatz gefunden hat und eine stabile Beziehung zu einem Mädchen aufbaut, kehrt er meist der Gruppe den Rücken.

Die Gewalt von Jugendlichen ist Ausdruck von verhängnisvollen Entwicklungen in unserer Gesellschaft, ein genauer Kenner der Materie, der Sozialforscher Erich Brunmayr, meint kritisch: „Wir haben unsere Grundwahrheiten aus den Augen und aus den Herzen verloren".

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