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Was kostet der Umweltschutz?

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Für Piloten eines Flugzeuges gibt es einen sogenannten „point of no return“; es ist dies der Punkt auf dem Flug zwischen zwei Orten, von dem an — wegen der Treibstoffvorräte, des Windes und der anderen Umstände — eine Rückkehr zum Ausgangspunkt nicht mehr möglich ist. Nun glaubt man heute, daß es auch bei der Umweltverschmutzung so etwas wie einen „point of no return“ gibt: irgendwann wird ein Punkt erreicht sein, an dem man später nicht mehr zurück kann. Dann befindet sich die Menschheit im Dezember ihrer Geschichte. 

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Für Piloten eines Flugzeuges gibt es einen sogenannten „point of no return“; es ist dies der Punkt auf dem Flug zwischen zwei Orten, von dem an — wegen der Treibstoffvorräte, des Windes und der anderen Umstände — eine Rückkehr zum Ausgangspunkt nicht mehr möglich ist. Nun glaubt man heute, daß es auch bei der Umweltverschmutzung so etwas wie einen „point of no return“ gibt: irgendwann wird ein Punkt erreicht sein, an dem man später nicht mehr zurück kann. Dann befindet sich die Menschheit im Dezember ihrer Geschichte. 

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Die spekulative Beurteilung der Zukunft auf unserem Planeten ist schon seit einigen Jahren Gegenstand literarischer Essays und utopischer Thriller. Auf der anderen Seite verharrt die ökonomische Theorie gegenüber den Problemen der Umweltverschmutzung in einer bemerkenswert konservativen Position. Die beruhigende Vorstellung, daß Probleme wie die Luft- und Gewässerverschmutzung, Lärm, Klimaveränderungen, das Aussterben von Tieren und Pflanzen nur kleine Schmutzflecken am sonntäglichen Kleid unserer Kulturlandschaft sind, wird ebenso kultiviert wie der Glaube und die Hoffnung, daß dieselbe Technik, die eine Umweltverschmutzung verursacht, auch in der Lage ist, bei Einsatz der nötigen finanziellen Mittel die Zerstörung der natürlichen und sozialen Umwelt des Menschen wieder rückgängig zu machen. Diese konservative Position ist die Folge einer Reihe von Schwierigkeiten bei der ökonomischen Behandlung der Probleme der Umweltverschmutzung: es ist schwierig, zu ermitteln, welchen Grad an Luftverpestung, Gewässerverschmutzung, Nahrungsmittelvergiftung, Lärm und psychischer Pression der Mensch verträgt; es ist schwierig, zu ermitteln, wieviel Umweltzerstörung noch möglich ist, bis die Menschheit zugrunde geht; es ist schwierig, zu berechnen, ob Umweltschutz möglich ist unter Aufrechterhaltung einer Wachstumsrate des Sozialproduktes von — sagen wir — real drei Prozent; es ist schwierig, zu beurteilen, ob sich wirksamer Umweltschutz in einem marktwirtschaftlichen System vollziehen läßt oder ob es dazu der Hinwendung zur Planwirtschaft bedarf.

Die ökonomische Behandlung der Umweltverschmutzung greift auf das Konzept der „sozialen Kosten“ zurück, ein Konzept, das in Ansätzen bereits in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts von Alfred Marschall und Arthur Pigou entwickelt wurde. „Soziale Kosten“ sind Schädigungen, die aus den Aktivitäten privater Wirtschaftssubjekte für Dritte oder für die Gesamtheit der Bevölkerung hervorgehen, vom Verursacher aber finanziell nicht abgegolten werden. Es erfolgt eine Beeinträchtigung der Nutzung anderer Ressourcen durch die Ausbeutung bestimmter Substanzen und Kräfte, deren Grad und Höhe aus den wirtschaftlichen Kalkulationen der Haushalte, Unternehmungen und der öffentlichen Hand ausgeschlossen sind. Die Theorie spricht in diesem Zusammenhang von einem „Versagen des Marktes“.

Die Entstehung „sozialer Kosten“, also die Beeinträchtigung unserer Umwelt, kann sowohl von der Produktions- als auch von der Konsumseite aus erfolgen. Im einen Fall wird es sich etwa um Industrieabwässer, im anderen Fall um die Abgase von Personenkraftwagen handeln. Dabei erfolgt die Nutznießung der Umwelt ohne Entgelt. Es werden „Schattenpreise“ verrechnet und „Schatteneinkommen“ von Produzenten und Konsumenten erzielt.

Die Quantifizierung sozialer Kosten, die im Gefolge der Bevölkerungsvermehrung und deren Konzentration in Städten, der Verknappung des Lebensraumes, der wachsenden Produktion von Gütern und Dienstleistungen in Verbindung mit dem technischen Fortschritt und einer ständig steigenden Nachfrage nach materiellen Gütern auftreten, ist schwierig. Die herrschende Theorie ist zu formalistisch, um den vielfältigen Nebenwirkungen der Produktions- und Konsumationsentscheidungen Rechnung tragen zu können. Da es die Unternehmungen und Haushalte nun einmal darauf an- legen, ihren Gewinn beziehungsweise ihren Nutzen zu maximieren, wird es notwendig sein, das Phänomen der sozialen Kosten über die Rechtsordnung in die Wirtschaft hineinzutragen. Dies wird um so leichter gelingen und eher akzeptiert werden, als es gelingt, der Gesellschaft die Ursachen und Konsequenzen der Umweltzerstörung bewußt zu machen.

Der konservative Ökonom wird die Idee des qualitativen Wachstums mit dem Argument der Arbeitslosigkeit und der sich damit einstellenden Vergeudung menschlicher Kräfte verwerfen. Demgegenüber muß der progressive Ökonom darauf hinweisen, daß es gar nicht darum zu tun ist, die wirtschaftlichen Gesamtanstrengungen abzubremsen, sondern einfach darum, die Vorstellung des Marktes zu erweitern. Dies heißt, zu berücksichtigen, daß der technische Fortschritt nicht gratis, also auf Kosten der Natur, in die wirtschaftlichen Kalkulationen eingehen darf. Luft und Wasser sind heute eben keine freien Güter mehr, die man sich unbeschränkt nutzbar machen darf, heute dienen sie auch als Schüttstein, dem man alles Verbrauchte kostenlos zurückgibt. Die Annahme, der Abfall verschwinde einfach, ir falsch. Denn so wenig wie sich vorderhand Autoleichen in einen Wiedergewinnungsprozeß einbeziehen lassen, so wenig ist es uns bisher gelungen, den Konsum mit der Regenerationskapazität der Natur in Einklang zu bringen. Im Zusammenhang mit der Einbeziehung der Natur als vierten Produktionsfaktor neben Arbeit, Kapital und technischen Fortschritt wurden bereits Vorstellungen entwickelt, und da oder dort verwirklicht, wie das Phänomen der sozialen Kosten über die Rechtsordnung in die Wirtschaft hineingetragen werden kann: etwa durch die Bezahlung einer entsprechenden Verwertungssteuer beim Kauf eines neuen Autos oder aber durch ein Verbot von Wegwerfflaschen. Es handelt sich dabei um den Versuch, die Vorstellung einer sogenannten „Raumschiff- Ökonomie“, bei der alle Güter in einem geschlossenen Kreislauf umgesetzt werden, zu realisieren. Als zielführende Beispiele für die Berücksichtigung sozialer Kosten im Steuersystem seien die Gewerbesteuer, die Lohnsummensteuer und schließlich die vorzeitige Abschreibung von Anlagen zur Klärung industrieller Abwässer genannt. Bei der Gewerbesteuer beispielsweise wird der Nutzen, der sich aus dem Agglomerationseffekt ergibt, gegen soziale Kosten aufgerechnet.

Es blieb Bundeskanzler Dr. Kreisky vorbehalten, im Zusammenhang mit der überfällig gewordenen Eindämmung der Umweltzerstörung das Wort vom „neuen Klassenkampf“ zu prägen. Wie immer man die Dinge dreht und wendet, von welchem Ansatzpunkt immer man daran geht, die damit zusammenhängenden Fragen zu analysieren und zu lösen, es werden immer Fragen sein, deren Lösung die Gesamtwirtschaft und nicht bestimmte soziale Gruppen trifft: dis Arbeitnehmer geradeso wie die Arbeitgeber, die Konsumenten geradeso wie die Produzenten. Umweltzerstörungen finden immer in jenem Maße statt, wie sie durch den Staat toleriert werden. Wenn es nun einmal gilt, soziale Kosten in private umzusetzen, so bedeutet das in weiterer Folge eine reale Verteuerung der Produktion und damit ein geringeres Sozialprodukt. Es ist wahrscheinlich, daß die Verhütung von Umweltzerstörung im Zuge der Transformation volkswirtschaftlicher in private Kosten eine gewisse Änderung in der Verteilung von Einkommen und Vermögen bewirkt, aber es ist gewiß, daß diese Veränderung in gar keinem Verhältnis zu einer sozialpolitisch wünschenswerten Verteilung von Einkommen und Vermögen auf die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital stehen wird. Kurz: An der Front zur Erhaltung der Umwelt wird kein „neuer Klassenkampf“ stattfinden. Dies umso weniger, als alle Maßnahmen des Umweltschutzes darauf angelegt sein müssen, soziale Kosten seriös zu bewerten, die Natur als entgeltlichen Produktionsfaktor in das Wirtschaftssystem einzubeziehen, die „Schatteneinkommen“ der Produzenten und der Konsumenten abzubauen. Und das ist ein Problem, wo es keiner politischen Gruppe unseres Landes gelingen dürfte, mit seriösen Zielvorstellungen kurzfristige Wählerstimmen zu maximieren.

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