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Zita für Österreich

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Die Tür, durch die meine Eltern mich schoben, führte aus der hohen, halbdunklen Halle in einen kleineren Raum, der von übergroßer Helligkeit erfüllt war. An der Decke des Salons spiegelte sich der Widerschein des nahen Meeres. Aus einer Flut von Licht trat, inmitten ihrer acht Kinder, eine junge, mittelgroße, schlanke, in tiefes Schwarz gekleidete Frau, von der ich, der damals Vierzehnjährige, begriff, daß sie schön war, schöner als alle Bilder, die es von ihr gab, und daß die Grazie ihrer Bewegungen, die helle Schwingung ihrer Sprache alles übertraf, was meine Phantasie sich ausgemalt hatte.

Diese erste Begegnung fand an einem Augusttag des Jahres 1926 in dem baskischen Fischerstädtchen Lequeitio statt, und der Schritt in das flutende Licht, auf die kaiserliche Witwe und ihre Waisen zu, entschied die Richtung meines weiteren Lebensweges. Dieser Weg führte zunächst heim nach Österreich, wo ich, der Halbwüchsige, mich einer massiven Front besserwissenden Stumpfsinns gegenübersah, gegen den nun mein jugendlicher Protest in nicht endender Entrüstung anzurennen begann. Der weitere Verlauf meiner Kampfhandlungen führte konsequenterweise durch Hitlers Gefängnisse und Zuchthäuser, knapp an der Guillotine vorbei, bis zu jenen seltsamen Trümmertagen des Jahres 1945, in denen mich Monat für Monat Lebensmittelpdkete, aufgegeben in den USA, erreichten und vor dem drohenden physischen Zusammenbruch bewahrten. Bald stellte sich auch der Grund dieser Sendungen aus unheiterem Himmel heraus. Die Kaiserin war während der vergangenen Schreckensjahre für mich und für viele tausend andere Österreicher betteln gegangen, hatte auf Vortragsreisen unablässig die Adressen aller Landsleute, die sie nur kannte, reichen Amerikanerinnen in die Hand gedrückt, hatte ganze Schiffsladungen von Hilfsgütern gestapelt, dann in die alte Heimat abgefertigt und hatte damit getan, was sie immer schon getan hatte: helfen. „Mehr für Euch als für mich — plus pour vous que pour moi“ ist die Devise, die sie einst, bei der Thronbesteigung Kaiser Karls, über ihr ferneres Leben setzte.

Sooft ich dann Kaiserin Zita wiedersah, bei den Hochzeiten ihrer Kinder zumeist, fand sich nie so recht Gelegenheit, all das zu sagen, was zu sagen gewesen wäre. Das Wesentliche blieb für immer unausgesprochen. Meine inzwischen herangewachsenen Kinder haben dafür gelernt, dieser Frau zu danken — und sie um Verzeihung zu bitten, stellvertretend für alle, die sich Österreicher nennen.

„Mehr für Euch“ — das war die Essenz des Monologs der nunmehr Achtzigjährigen, den FS 2 am 7. November ausstrahlte und der am 21. Dezember in FS 1 wiederholt werden soll. Deutlicher denn je trat bei dieser Rückbesinnung zutage, was wir zwar wissen, was aber der Kaiserin selbst nicht bewußt ist und was all jene nicht wissen können, denen die Internationale journalistischen Geschwätzes an Stelle der lebendigen Zita einen mythologischen Popanz eingeredet hat, dessen Publikumserfolg durch seine Hintertreppenherkunft aus staatlichen Propagandaapparaten garantiert war. Zutage trat bei diesem Monolog, in dessen Verlauf kein böses, ja nicht einmal ein klagendes Wort fiel, daß Kaiserin Zita alle Katastrophen und Weltuntergänge immer nur im Lichte menschlicher Verpflichtungen und grenzenlosen Miterlei-dens erlebt hatte, daß sie ihre einzige Berufung darin gesehen hatte (und sieht), für andere da zu sein: für die Verwundeten des ersten Weltkriegs und für die Hungernden im Hinterland, indem sie sich zum Werkzeug der zähen Friedensbemühungen Kaiser Karls machte (und nicht umgekehrt). Da zu sein für die Flüchtlinge des zweiten Weltkriegs, für die Verfolgten in den Ländern der Heimat, für die eigenen Kinder natürlich — und heute, den großen Tragödien entronnen, sogar für 33 Enkel.

Kaiserin Zita, die auf ihrem Bildschirm im grenznahen Graubünden das österreichische Fernsehprogramm empfängt, kam nun über den Bildschirm in das Heim all jener Österreicher, die ihr begegnen wollten. Womit das Illusionäre von Staatsgrenzen ein ums andere Mal bewiesen wurde und womit die bösartige Dummheit der Exilsgesetze erneut auf jene zurückfiel, die sie 1919 erdacht und 1945 wieder eingeführt haben. Was wir im Fernsehen sahen, ist nur ein Teil der dreiein-halbstündigen Dokumentation, die im Institut für Zeitgeschichte der Wiener Universität deponiert wurde. Uns möge der von Erich Feigl so hervorragend gestaltete Ausschnitt genügen; er enthält das Wesentliche. Den Nachweis für den mutigen Versuch, jene Devise „Mehr für Euch als für mich“ acht Jahrzehnte lang, ein Leben lang in die Tat umzusetzen. Wobei (dies die letzten Sätze des Interviews) „wie bei jedem, Fehler geschehen sein mögen. Aber der gute Wille war immer dabei.“ Sie selbst ahnt es nicht, aber — gibt es Größeres?

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