Stabilität und Realisierung großer Projekte gelten als Vorzüge einer großen Koalition. Die "großen Projekte" sucht man im Regierungsübereinkommen eher mit der Lupe, also muss es wohl die Stabilität sein, die überzeugen soll. Doch der Schein trügt. Innerhalb der Parteien zeichnen sich tiefgreifende Veränderungen ab, ideologische Differenzen und Machtkämpfe, die die äußere Stabilität in ein labiles Gleichgewicht verwandeln.
Das gilt zuvorderst für die ÖVP, die die Wahlniederlage langsam zu verarbeiten beginnt. Der Streit um den angeblichen Strahlemann Grasser ist nur die Spitze des Eisbergs. Dass Schüssel den einstigen Haider-Liebling und neoliberalen Front-Mann nicht als Vizekanzler und Finanzminister durchsetzen konnte, zeigt nicht nur die Grenzen seiner Macht, sondern auch die ideologische Verunsicherung der ÖVP. Die Debatte zwischen Wirtschaftsliberalen und Ökosozialen über den Weg einer modernen konservativen Partei hat noch nicht ernsthaft begonnen.
Der unerwartete Sieg der SPÖ deckt zwar kurzfristig die ideologischen Bruchlinien innerhalb des linken Lagers zu. Aber schon der Streit um die Studiengebühren, dem demnächst der um die Eurofighter folgen wird, ist ein Vorbote kommender Konflikte. Auch wenn man den Austritt der sozialistischen Studentenchefin aus der SPÖ noch nicht als Beginn der Abspaltung einer "neuen Linken" wertet, so werden die Zerreißproben zwischen der schmalen Partei-Crew, die in der Löwelstraße das Ruder in der Hand hat, der Parteibasis und der Parteijugend bald härter werden. Dazu kommt, dass der einstmals "starke Arm" Gewerkschaft seine Schwäche durch lautstarke Forderungen übertönen wird. Auch der SPÖ steht die Auseinandersetzung zwischen Traditionssozialisten und einer Sozialdemokratie für das 21. Jahrhundert erst bevor.
Die Autorin war ORF-Redakteurin und Dokumentarfilmerin.
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