Ein verdächtig gutes Gewissen

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Publizistische Schützenhilfe für Christian Moser („Grüne, wie habt ihr’s mit der Religion?“): Christentum erschöpft sich nicht in ökologisch und sozial korrekter Gesinnung.

Bei der Lektüre des Beitrags von Stefan Wallner ist mir eine eigenartige Fehlleistung passiert: Das große, die Seite beherrschende Bild von Eva Glawischnig über dem Artikel ließ mich zunächst nicht auf die Autorenzeile schauen. Das dem Text entnommene Zitat neben dem Bild verstärkte noch zusätzlich den Eindruck, ich hörte bei jedem Satz die Stimme der Parteivorsitzenden der Grünen. Erst als ich fertig war, bemerkte ich, dass nicht Glawischnig, sondern ihr neuer Bundesgeschäftsführer der Autor ist.

Mein Irrtum war freilich nicht ganz abwegig, denn Wallners Artikel ist von jener triumphierenden Selbstgerechtigkeit, die geradezu ein Kennzeichen der öffentlichen Äußerungen von Frau Glawischnig ist. Jeder Satz atmet die anmaßende Überzeugung der Grünen, sie hätten nicht nur recht, sondern seien vor allem moralisch überlegen. Auch der analytisch präzise und zur Klärung des Verhältnisses von Theologie und Politik sehr nützliche Beitrag von Kurt Remele hat diesen Unterton. Dazu kommt noch ein starkes Ressentiment gegen die Partei, die nun einmal die Christdemokratie in diesem Land repräsentiert, der ziemlich unverblümt vorgeworfen wird, sie sei eigentlich nicht christlich.

Das Dilemma der Christdemokraten

Dass einzelne Christen und Parteien, denen jene anhängen mögen, aus dem Evangelium legitimerweise unterschiedliche Schlüsse für ihr politisches Handeln ziehen können, ist ein Gemeinplatz. Deshalb gibt es auch gute Katholiken in allen Parteien, allerdings nicht überall gleich viele. Das Evangelium und die kirchliche Lehre stellten nur „Prinzipien“ zur Verfügung, sagte Karl Rahner, Lehrer des von Remele zitierten Johann Baptist Metz, die Anwendung sei dem Einzelnen in einer verantworteten Einschätzung der weltlichen Verhältnisse überlassen, aber auch aufgetragen.

Die Christdemokraten tun sich dabei freilich erheblich schwerer als andere. Sie können nicht anders, als das Ganze der kirchlichen Lehre in der Politik zu verwirklichen. Daran müssen sie wegen der bleibenden Differenz zwischen dem Anspruch des Glaubens und seiner Realisierung in einem einzelnen Leben wie in der Politik zwangsläufig scheitern. Christdemokraten können beispielsweise nicht einfach über die Position der Kirche in bioethischen Fragen oder bei der Abtreibung hinweggehen. Da sie aber in der Realität der Politik, um beim Beispiel der Abtreibung zu bleiben, nicht alles durchsetzen können, was sie gerne hätten, müssen sie Kompromisse machen oder Niederlagen erleiden. Die ÖVP (und die Kirche mit ihr) hat das 1975 (Fristenregelung; red.) sehr schmerzlich erfahren. Solche Niederlagen passieren einem freilich nur, wenn man in der Regierung ist. Deshalb tun sich die Grünen ja auch mit Kritik so leicht.

Da sie den christlichen Anspruch also ständig verfehlen, müssen sich die Christdemokraten von den anderen, namentlich von den Grünen, höhnisch vorhalten lassen, sie seien schlechte Christen. Alexander van der Bellen, der mit dem Christentum bekanntlich wenig zu tun hat, war mit diesem Vorwurf immer sehr schnell bei der Hand. Seine Nachfolgerin benützt diese billige Masche auch bei jeder Gelegenheit. Daher kommt auch die Demut, von der Christian Moser ganz zu recht spricht, welche die bürgerlichen Parteien auszeichnet.

Nichts liegt den Grünen so fern wie Demut. Warum sollte es auch anders sein? Sie teilen mit den anderen Linken die Überzeugung, auf der richtigen Seite der Weltgeschichte zu stehen. Dem Risiko, den Anspruch, auch – und eigentlich allein – christliche Politik zu machen, zu verfehlen, setzen sie sich nicht aus. Sie treffen aus dem christlichen Glauben eine sehr enge Auswahl, an der sie nicht scheitern können. „Ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte“, erklärt uns Herr Wallner die Verwirklichung des Christentums durch die grüne Partei.

Schreckgespenst „Lagerkatholizismus“

Wallner nimmt für sich im Umgang mit dem Christentum „kritische Intelligenz“ in Anspruch, die er Moser abspricht und garniert das mit einer Reihe von eingängigen Unterstellungen, wie etwa der, Moser und die ÖVP wollten zurück in den „Lagerkatholizismus der Zwischenkriegszeit“. Das mag sich rhetorisch alles gut ausnehmen, es ist aber nicht wahr. Von keinem der ÖVP-Obmänner seit dem Krieg, nicht Leopold Figl oder Josef Klaus, nicht Alois Mock oder Josef Riegler, nicht Erhard Busek oder Wolfgang Schüssel, kann man das auch nur im Entferntesten annehmen.

In Wallners wohlfeiler Unterscheidung zwischen „mit Wahrheitsanspruch versehenem Glaubensinhalt“ und „zu hinterfragenden“, also für ihn unverbindlichen „Lehramtspositionen“ gerät dann die Bewahrung der Schöpfung zu einem „zentralen Wert kirchlich engagierter Menschen“. Der Umweltschutz bekommt so den Rang eines absoluten Dogmas, den anzuerkennen Wallner & Co. bei so mancher christlichen Glaubenswahrheit vermutlich Schwierigkeiten haben.

Wie weit diese modische Häresie schon in kirchlichen Kreisen verbreitet ist, zeigt das Beispiel eines Pfarrers, der es allen Ernstes für Fasten hält, wenn er sich um mehr Energieeffizienz in seinem Pfarrhof bemüht (vgl. FURCHE Nr. 7, Seite 1; red.). Sonnenenergie als eschatologisches Zeichen gewissermaßen. Wie sinnig! Was mögen sich die Anhänger einer Religion, in der gefastet wird, dass einem die Knochen wehtun (diese Folge hat richtiges Fasten nämlich so nebenbei), über die Ernsthaftigkeit eines solchen Christentums denken?

Auch das sogenannte Autofasten ist ein solches Surrogat für echtes Fasten. Das Vokabel entlarvt sich als lächerlich, wenn man beobachtet, wie von nicht explizit christlich motivierten Menschen das Fasten neu entdeckt wird. Selbstverständlich ist es vernünftig und jedem unbenommen, weniger mit dem Auto zu fahren und mehr zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, man soll es nur nicht für eine Verwirklichung des Christentums halten. Ein Freund aus dem Bundesdenkmalamt erzählte mir dieser Tage, dass er einen Kampf mit dem Vertreter einer katholischen Institution führen muss, der die historisch sehr wertvolle Dachlandschaft seiner Gebäude zerstören will, um dort Sonnenkollektoren anzubringen: „Das verstehen die wohl unter Schöpfungsverantwortung“, setzte der Kustode spöttisch hinzu.

Utopisches Denken als gefährliche Drohung

Wenn man Moser und die beiden Reaktionen auf ihn liest, fragt man sich unwillkürlich, woher die Härte und die Erbitterung kommen, mit der hier Katholiken eine Auseinandersetzung führen. Man hegt den Verdacht, dass auch zerbrochene Liebesverhältnisse im Spiel sind. Wallner ist im Umfeld der ÖVP-Parteiakademie groß geworden und über die Caritas zu den Grünen gekommen. Er ist jetzt ein aktiver Politiker. Das erklärt seine gut dargebotene, simple Art der Polarisierung: dort die schlechte ÖVP, die kein soziales Gewissen habe – hie die guten Grünen, die die eigentlichen Christen seien.

Aber so vermeintlich schuldlos ist man nur, solange man nicht regieren muss. Ein Blick nach Deutschland mag das illustrieren. Die berühmten Hartz-IV-Regelungen, die manchen als Inbegriff „sozialer Kälte“ gelten, wurden von den Grünen zusammen mit der SPD beschlossen. Und die österreichischen Grünen müssten erst zeigen, wie man ein Budget saniert (Wallner nennt das abschätzig „politische Buchhaltung“) – ohne soziale Einschnitte und ohne Erhöhung von Massensteuern. Für ihre Forderung nach einem Einwanderungsmodell nach kanadischem Muster haben sich die Grünen bisher nicht getraut, jenen Punktekatalog vorzulegen, den man dafür braucht.

Bei Remele geht die Argumentation über parteipolitische Polemik hinaus und bekommt einen schärferen Ton: Die eigene Sozialreligion ist gut, die eines anderen Katholiken ist „reaktionär“. Wenn er formuliert, Mosers Sozialreligion „stützt die Herrschenden und die herrschenden Verhältnisse“, muss man fragen, wen er in einer pluralistischen Demokratie mit „den Herrschenden“ meint, und mit welchen Methoden er sie loswerden möchte. Da klingt utopisches Denken, das er Moser abspricht – was dieser dankbar quittieren wird – wie eine gefährliche Drohung.

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