Das Kreuz mit dem Pluralismus

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Schlüsselworte der kirchlichen Botschaft sind "Leben" und "Freiheit". Sie markieren auch das Feld der Kooperation von Kirche(n) und Grünen.

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Schlüsselworte der kirchlichen Botschaft sind "Leben" und "Freiheit". Sie markieren auch das Feld der Kooperation von Kirche(n) und Grünen.

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Kirche und Grüne haben viel gemeinsam - neben inhaltlichen Berührungspunkten auch ein strukturelles Problem: Grüne und Kirche haben beide Schwierigkeiten mit dem Pluralismus innerhalb ihrer eigenen Reihen. Die bei den Grünen mit schöner Regelmäßigkeit auftauchenden Konflikte zwischen "Fundis" und "Realos" sind mit den innerkirchlichen Konflikten durchaus vergleichbar.

Zur Beziehungsgeschichte Die Beziehung zwischen katholischer Kirche und Grünen ist kurz, aber heftig: Die österreichischen Grünen kamen Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre aus allen möglichen gesellschaftspolitischen Lagern und waren durch jene Krisenphänomene motiviert, auf die 1973 der Club of Rome ("Die Grenzen des Wachstums") hingewiesen hatte. Es waren idea-listisch gesinnte Gruppen, die sich vor allem dem Umweltgedanken widmeten, diesen aber auf die Thematik "Gerechtigkeit - Friede - Bewahrung der Schöpfung" weiteten. Zum Personalpool der Grünen gehörten naturgemäß auch engagierte Christinnen und Christen. Die Grünen verstehen sich selbst als von einem christlich-kirchlichen Traditionssegment mitgeprägt, das aber nicht eine Mehrheit in der Partei darstellt.

Einen besonderen Konfliktpunkt zwischen katholischer Kirche und Grünen bildete zweifelsohne die Haltung der Grünen zur Fristenlösung: Diese wurde und wird von ihnen offen unterstützt, von der katholischen Kirche heftig kritisiert. Allerdings handelt es sich bei dieser Frage um eine Sache, in der die Bischöfe gegen alle Parteien, aber nicht in besonderem Ausmaß gegen die Grünen standen.

Es gab aber auch ganz andere Beziehungspunkte: Schon während des Hainburg-Konfliktes Ende 1984 wandten sich große Teile der Grünen an die Kirchenleitungen mit der Bitte um Unterstützung. Sie beriefen sich dabei auf die Tradition der Katholischen Soziallehre sowie auf die des gewaltfreien Widerstands. Sehr bald wurde damit die katholische Kirche, die von einzelnen Exponenten der Grünen noch als Machtfaktor bekämpft wurde, zugleich von anderen als moralische Autorität angerufen.

Ein besonderes Ereignis prägte die Beziehung bei der Auseinandersetzung um die Ausländer- und Asyl-politik ab 1991: Erstmals waren die Kirchen und die Grünen gemeinsam in einer außerordentlich zugespitzten gesellschaftlichen Konfliktstellung in eine gemeinsame Front geraten. Evangelische und katholische Amtsträger, die Caritas und die Katholische Aktion beteiligten sich entschlossen, was letztlich in der Organisation des Lichtermeers (1993) einen Höhepunkt fand.

Grenzziehungen Das derzeitige Verhältnis von katholischer Kirche und Grünen ermöglicht es zweifelsohne, in Sachfragen partnerschaftlich zu agieren. Jedenfalls ist eine hohe Übereinstimmung zwischen den Grundsätzen der Bergpredigt (Mt 5-7) und dem idealistischen Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung vorhanden. Dieses Wertemuster hat für die Grünen Gewicht, was nicht von vielen politischen Bewegungen gesagt werden kann.

Es ist ein Fortschritt, daß die anfänglich kirchen- und religionskritische Grün-Bewegung heute christlich-kirchliche Sinngebung und Werte als Zugewinn für die Gesellschaft respektiert. Das kann allerdings aus kirchlicher Sicht nicht bedeuten, daß sich die Kirchen zu Ideen- und Wertspendern umfunktionieren oder gar auf diese reduzieren lassen. Die Kirche ist auch nicht nur Caritas und kirchliche Sozialarbeit, sie ist nicht nur eine politische Kraft: Kirche versteht sich in allererster Linie als Volk Gottes, das die frohe Botschaft Jesu in die Welt bringen und das Reich Gottes auf Erden sichtbar machen und weiterentwickeln will. Das ist ein religiöses Anliegen, das sich nicht auf bloße Wertstiftung reduzieren läßt.

Die Annäherung der Grünen an die Kirche kann außerdem auch nicht bedeuten, daß sich diese für grüne Anliegen vereinnahmen läßt. Natürlich wird die Kirche jene Anliegen unterstützen und dort mithelfen, wo es aus ihrer Sicht sachlich gerechtfertigt ist. Aber ein ähnliches Zu-Nahe-Verhältnis, wie es die Kirche einst zur ÖVP hatte, wird es und darf es nicht wieder geben.

Ökologie und Humanökologie Das ökologische Anliegen ist nach wie vor die Haupttriebfeder grüner Politik. Die grüne Kritik am unreflektierten Fortschrittsglauben, die Forderungen nach Umweltschutz, die Kritik am Willen des Menschen, die Welt zu beherrschen und sie dadurch auszubeuten: all das sind Forderungen und Kritikpunkte, denen ohne jeden Vorbehalt zuzustimmen ist. Aber während die Grünen die Ganzwerdung der Menschheit zum Mittel der Rettung der Umwelt umfunktionieren, geht in christlicher Vorstellung die Rettung von Mensch und Umwelt nur miteinander.

Was die Grünen möglicherweise vernachlässigen, ist ihr Einsatz für Humanökologie. Dabei ist nicht allein die bereits erwähnte Frage des Lebensschutzes von der Empfängnis bis zum Tod gemeint. Ich möchte hier auch den Gedanken einbringen, daß sich die Grünen zuwenig für eine pointierte Partnerschafts- und Familienpolitik einsetzen. In einer neuen Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Werteforschung kommen die Autoren zum Schluß, daß die Grünen die Solidarpartei par excellence wären. In allen Solidarthemen deckt sich die Meinung der Partei mit jener ihrer Wähler oder ist ihr voraus, in der Familienpolitik hingegen werden die Wählenden von der Partei enttäuscht.

Demokratie und Menschenrechte Die Positionen der Kirche zum Thema Demokratie und Menschenrechte sind schillernd und inhomogen. Zum einen sind die Menschenrechte, ihre Weiterentwicklung und Einhaltung sehr oft Inhalt kirchlicher Forderungen gegenüber staatlichen Autoritäten. Papst Johannes Paul II. wird wohl als Papst der Menschenrechte in die Geschichte eingehen. Auch in Österreich tritt die Kirche als Entwicklerin der Menschenrechte auf, man denke etwa an die Rolle der Caritas.

Deutlich weniger Konsequenz zeigt die Kirche hinsichtlich der Menschenrechte im innerkirchlichen Bereich. Die Probleme sind bekannt: die Rolle der Laien, der Frau, der wiederverheirateten Geschiedenen, der Umgang mit Menschen homosexueller Orientierung sind innerkirchliche Konfliktpunkte, an denen zu arbeiten ist. Auch wenn sich manche kirchliche Position theologisch argumentieren läßt, wird dieses Thema von den Grünen zu Recht kritisch angesprochen.

Realutopie Soziale Gerechtigkeit Die Vision der Grünen, eine sozial gerechte Gesellschaft jenseits der Logik von Wachstum und Markt zu konzipieren, ist eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen der Kirche und den Grünen. Seine Vision einer "utopischen Gegenwelt" formuliert das Christentum allerdings mit seinem "Reich Gottes-Gedanken". Im Unterschied zur "grünen Gegenwelt" gehen Christen davon aus, daß der "Keim" einer solchen Welt schon da ist, wenn das "vollkommene Heil" auch noch ausständig und letztlich nur mit Gottes Hilfe erlangt werden kann. Diesen eschatologischen Vorbehalt kennen die Grünen nicht. Pointiert gesagt: sie müssen sich die bessere Welt quasi selbst erschaffen. Zudem haben die Grünen noch ein pessimistisches Bild der Gesellschaft: Diese ist in grünen Augen zerrissen und kaputt, es gilt, den Planeten und die Menschheit vor dieser Gesellschaft zu retten.

Trotzdem gibt es hinsichtlich der konkreten Solidar-Optionen zwischen Kirche und Grünen zahlreiche Kooperationspunkte. Die Kirche als gesellschaftliche Kraft weiß sich für soziale Gerechtigkeit in besonderer Weise verpflichtet und wird - wie die Grünen - mit ihren Forderungen zu manchen modernen Auffassungen quer liegen. Dieses kirchliche Querdenken versteht sich als prophetische Aufgabe. Schlüsselworte einer solchen "politischen Diakonie" sind "Leben" und "Freiheit", zwei Grunddimensionen, mit denen sich Jesu Handeln an und mit den Menschen umschreiben läßt.

Im Traum Gottes, im Traum Jesu vom Menschen geht es um sinnvolles und geglücktes Leben, für den einzelnen wie für die Menschheit insgesamt. Diesen Traum schrittweise zu realisieren ist Auftrag der Kirche und wohl das stärkste Kooperationsfeld mit den Grünen.

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