Politik ist Aushalten von Spannungen

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Mit "Politik als Beruf" hat Max Weber vor 90 Jahren einen Vortrag gehalten, dessen Worte bis heute Gültigkeit haben. Geprägt von den Ereignissen des Ersten Weltkrieges setzte sich Weber mit Gesinnung und Verantwortung der Politiker auseinander, ohne die Geschichtlichkeit unseres Daseins und unserer Entscheidungen aus den Augen zu verlieren.

Vor 90 Jahren, um den 28. Jänner 1919, hat Max Weber unter dem Titel "Politik als Beruf" einen Vortrag gehalten, der Politiker, Gelehrte und Journalisten das ganze 20. Jahrhundert beschäftigen sollte. Weber war im Wintersemester 1918/19 für kurze Zeit Professor in Wien und wurde vom Freistudentischen Bund eingeladen, im München der Revolution in der Reihe "Geistige Arbeit als Beruf" zu referieren.

Er sprach zunächst über "Wissenschaft als Beruf". Vor dem Abend über Politik zierte er sich. Zu groß war seine Enttäuschung darüber, ein Monat zuvor nicht selbst in die Nationalversammlung gewählt worden zu sein. Als aber an seiner Stelle der revolutionäre bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner sprechen sollte, gab es für Weber kein Zurück. Der Vortrag bot ihm Gelegenheit, gegen das Verständnis von Politik und Politikern, wie sie München damals prägte, Stellung zu beziehen.

"Politik als Beruf" sollte Webers letztes, ungemein schaffensreiches Lebensjahr einleiten. Zugleich fällt der programmatische Vortrag mit dem Beginn der Demokratie in Deutschland zusammen. Es ist einer der dichtesten und meistzitierten Texte des großen Soziologen. Hier findet sich die berühmt gewordene Definition des Staates als "diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht." Hier werden die drei Legitimitätsgründe von Herrschaft unterschieden: Tradition, Charisma und Legalität. Hier trifft Weber die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Und hier wird Politik als "ein starkes und langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich" beschrieben.

Sympathie für starke Demokratie

So bekannt, so oft (und falsch und lückenhaft) zitiert diese Passagen sind, so oft ist die Grundfrage von Webers Charakterstudie aus dem Blickfeld geraten: Was für ein Mensch muss man sein, um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen?

Webers Antwort auf diese Frage findet sich in der Spannung zwischen einer scharfen Analyse des politischen Geschäfts und den moralischen Ansprüchen und Idealen, die er und auch viele heute mit Politik verbinden. In der Beschreibung dieser Spannung wendet er sich gegen den Zynismus der Politikverachtung und gegen schwärmerische Verklärung von Politik

Weber hat in einer aufgeregten Situation gesprochen. Nichts war mehr so, wie man es lange gewohnt war. Die alte Ordnung und - trotz aller Kontinuitäten, die bleiben sollten - jene, die sie gestützt hatten, war abgetreten. Es galt, ein neues, wenn möglich demokratisch-republikanisches Staats- und Politikverständnis zu entwickeln und damit auch neue Formen der Organisation von Politik und einen neuen Typ von Politiker zu finden. Webers eigene Sympathie gehörte dabei einer starken, plebiszitären Demokratie, die von charismatischen, klugen und verantwortungsbewussten Führungspersönlichkeiten geprägt wird. Dieser Kontext legt es nahe, den Text wieder und wieder zu lesen. Die Umbruchssituation, die viele gegenwärtig erleben, lässt sich freilich nur schwer mit dem Zeitenbruch 1918/19 vergleichen. Aber angesichts des tief erschütterten Vertrauens in die Finanzwirtschaft und die Notwendigkeit einer Umorientierung wird auch jetzt neu über Staat und Politik nachgedacht. Die Frage lautet: Wer soll uns führen (oder zumindest inspirieren)? Was brauchen wir für Politiker? Wer wählt überhaupt noch Politik als Beruf? Und wird Politik als Beruf überhaupt anerkannt? Sicher, die Frage wird in unseren Breiten sogleich relativiert, zu belastet ist der Begriff des Führers und die Sehnsucht nach dem Geführt-Werden. Aber es scheint doch ein Wunsch nach anderen, neuen Politikern zu bestehen.

Das Publikum, vor dem Weber im Winter 1919 sprach, waren Studenten, die Perspektiven und konkrete Orientierungen suchten. Der Bereich der Politik (und damit verbunden der Presse) bot sich als Tätigkeit an, es war aber ein gefährliches Unternehmen. Webers Vortrag vor ihnen wurde sehr oft von den Definitionen und Gegensätzen, die er darlegte, gedeutet: Beruf und Erwerb, Verantwortung und Gesinnung, Charisma und Legalität. Dabei prägen weniger die Gegensätze als die Spannungen zwischen diesen seine Gedanken. "Politik als Beruf" kann bis heute als eine Auseinandersetzung mit ihnen gelesen werden. Und jene, denen es gelingt, mit diesen Spannungen umzugehen, sind auch ethisch befähigt, Politik als Beruf und Berufung zu treiben.

Politik nicht am Reißbrett gemacht

Der zweite, prägende Aspekt des Textes ist die Geschichtlichkeit unseres Daseins und unserer Entscheidungen. Weber ist wie immer darauf bedacht, seine Thesen entwicklungsgeschichtlich herzuleiten und damit klar zu machen, dass Politik nicht am Reißbrett gemacht wird, dass politisches Tun und Entscheiden nur bis zu einem gewissen Grad rationalen Grundsätzen folgen kann. In diesem Bewusstsein leuchtet er die Spannung zwischen Politik, (rationaler) Bürokratie und Medien aus. Er stellt Beamte, Politiker und Journalisten, die allesamt in einer Weise den Beruf der Politik betreiben, in Beziehung zueinander. Es geht ihm damit auch um die Bestimmung des Verhältnisses von Fachwissen, Führung und Vermittlung, also um Distanz und Nähe "zum Volk". Prägnant illustriert er das am Beispiel des Fürsten, der angesichts der zunehmenden Schulung seiner Beamten zum Dilettanten wird, an jenem des Politikers, der nur mehr auf Stimmensuche ist, und am Journalisten, der umschmeichelt und gefürchtet wird. Immer geht es auch darum, wie weit man etwas machen muss, um davon leben zu können, und wie weit man seinem Auftrag und seiner Berufung folgen kann und will.

Die schwierigste Spannung besteht aber zwischen Leidenschaft, Eitelkeit und Macht, zwischen Verantwortung und Gesinnung. Der gute Politiker zeichnet sich für Weber durch Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß aus. Sie lassen sich dann erreichen und im rechten Maß verbinden, wenn es gelingt, Distanz zu Dingen und Menschen zu halten. Es geht Weber nicht um Distanzlosigkeit, keineswegs, aber es kommt ihm sehr darauf an, Abstand einnehmen zu können, sich nicht von falschen Leidenschaften und Verlockungen mitreißen zu lassen.

Das gipfelt in der Formulierung des ethischen Rahmens für politisches Handeln, den er entweder als "gesinnungsethisch" oder als "verantwortungsethisch" versteht. Damit ist - sehr grob - gemeint, dass man entweder seiner Gesinnung folgen und diese durchsetzen will, oder dass man bereit ist, verantwortlich für die voraussehbaren Folgen seines Handelns aufzukommen. Schwierig und missverständlich an Webers Unterscheidung ist, dass sie keine Kriterien der Beurteilung enthalten. Im Sinne von Verantwortung für das Gemeinwohl kann man viel und nichts tun und lassen. Dann wird Verantwortung auch irgendwann zu "Realpolitik".

Das rechte Maß finden

Es ist aber fraglich, ob Weber diese Unterscheidungen wirklich so strikt treffen will. Er weist immer wieder darauf hin, dass es letztlich darum geht, das rechte Maß zu finden, die Spannungen der Politik in einer konkreten Situation zu erkennen, sein eigenes politisches Tun gerade an diesen scharfen Gegensätzen zu prüfen. Das ist nicht einfach, und Weber wendet sich damit auch sehr deutlich gegen die, seiner Ansicht nach unsachlichen und unverantwortlichen Politiker, die Macht um ihrer selbst willen, ohne inhaltlichen Zweck, suchen, oder die ständig ihre Gesinnung vor sich hertragen müssen.

Was Weber auch zeigt, ist, dass Politik eine Kunst und keine Technik ist. Sie muss geübt werden, und über sie muss immer wieder von Neuem nachgedacht werden. Sie besteht im Aushalten von Spannungen, in der Suche nach Wissen und der Bereitschaft, sich vor anderen klar für sein Tun zu verantworten. Entscheidend ist dafür auch das Bewusstsein der Geschichtlichkeit des eigenen Tuns und damit des Erkennens des richtigen Moments für eine Handlung. Denn das Bohren von Brettern und der Wunsch, einmal durchzukommen, ist eine Sache. Das machen auch Hinterbänkler, lebenslange Funktionäre und Bürokraten. Aber Webers Zitat endet nicht damit, denn er hat hinzugefügt, dass man das Mögliche nicht erreicht, wenn nicht immer wieder und im rechten Moment nach dem Unmöglichen gegriffen wird.

Der Autor ist Mitarbeiter der Parlamentsdirektion

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