Überfällige Auseinandersetzungen

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Wenn Rom spricht, ist der Fall längst nicht erledigt: In der Missbrauchsdebatte scheint sich die alte Sentenz umzukehren. Wäre man Zuschauer in der ersten Reihe fußfrei, man könnte sich amüsiert zurücklehnen. Aber Zeitgenossenschaft bedeutet mehr als bloßes Zuschauen, und es kann auch Kritikern nicht egal sein, wie Rom mit dem Missbrauchsskandel umgeht. Dabei zeigten sich zuletzt jedenfalls zwei Themenkomplexe, an denen einmal mehr offenbar wird, wie sehr sich die römische Auseinandersetzung von der Welt entfernt hat.

Man muss dem Kardinal-Staatssekretär fast dankbar sein, dass er jüngst Verbindungslinien zwischen Homosexualität und Pädophilie zog. Und man konnte belustigt registrieren, wie Vatikansprecher Federico Lombardi seinen Chef-Stellvertreter mit der Bemerkung herauszuboxen suchte, kirchliche Amtsträger betrachteten „es nicht als Teil ihrer Verantwortung, allgemeine Aussagen psychologischer oder medizinischer Art zu machen“.

Homosexualität – unaufgearbeitet

In Wirklichkeit hat sich Kardinal Tarcisio Bertone Aussagen zu eigen gemacht, wie sie in der konservativ-kirchlichen Argumentation gang und gäbe sind. Zuletzt dekretierte der Vatikan im Jahre 2006, dass Personen mit „tiefsitzenden homosexuellen Neigungen“ nicht Priester werden können. Man weiß aber bis heute nicht genau, wie derartige Neigungen konkret zu definieren und festzustellen sind: Hier zeigt sich einmal mehr, die römische Argumentation und der Stand der Humanwissenschaften sind beim Thema Homosexualität zwei Paar Schuhe.

Dass ein kirchlich befreiender und menschengerechter Umgang mit dem Thema Sexualität Voraussetzung für die nachhaltige Bewältigung des Missbrauchsskandals ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Dank Kardinal Bertone wissen wir einmal mehr, dass das (Unter-)Thema Homosexualität die noch größere Baustelle darstellt.

Das zweite dieser Tage diskutierte Problemfeld kam mit einem – schon neun Jahre zurückliegenden – Brief des damals zuständigen Kurienkardinals Darios Castrillón Hoyos an einen französischen Bischof, der zu einer bedingten Haftstrafe wegen der Vertuschung eines Missbrauchsfalls durch einen Priester verurteilt worden war, aufs Tapet: „Ich freue mich über einen Bischofskollegen, der in den Augen der Geschichte und aller anderen Bischöfe auf der Welt das Gefängnis dem Verrat an einem Priesterbruder vorgezogen hat“, schrieb der Kurienkardinal, der heute darauf pocht, dass Papst Johannes Paul II. persönlich die Genehmigung für diesen Brief erteilt habe. Auch dazu äußert sich der Vatikansprecher eindeutig: Es zeige sich an diesem Brief, wie wichtig es war, dass die römische Zuständigkeit für Missbrauchsfälle ab 2003 von der Glaubenskongregation übernommen wurde.

Priestertum – nicht neu bewertet

Doch auch in diesem Fall zeigt sich, dass hier ein Bild des Priestertums gezeichnet wird, mit dem auch Männerbündelei und Klüngelwirtschaft einhergehen. Der Grazer Pastoraltheologe Rainer Bucher betont in seiner Bewertung des II. Vatikanums immer wieder: Das Konzil habe es verabsäumt, das Weihepriestertum in der katholischen Kirche neu und zeitgemäß zu bestimmen. An geschildertem Fall zeigt sich, dass auch dies dringlich wäre. Und man fügt hinzu: Wegen dieser fehlenden (Neu-)Bewertung kam auch die sexuelle Gewalt im Priester-Milieu nicht in den Blick.

Papst Benedikt XVI. hat zuletzt in Malta – auch dieses erzkatholische Land ist von den Fällen arg betroffen! – starke und glaubwürdige Zeichen des Schmerzes gegenüber Missbrauchsopfern gefunden. Das war überfällig. Aber mindestens so überfällig ist die Auseinandersetzung mit Themen wie Homosexualität oder Verständnis und Ausformung des Weihepriestertums in der Kirche. Das sind große Brocken – es geht dabei beileibe nicht nur um den Zölibat.

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