Kölner Missbrauchsstudie: Freispruch im System
Die Veröffentlichung der Kölner Missbrauchsstudie lässt entscheidende Fragen offen. Der „Freispruch“ für Kardinal Rainer Maria Woelki ist bestenfalls einer zweiter Klasse.
Die Veröffentlichung der Kölner Missbrauchsstudie lässt entscheidende Fragen offen. Der „Freispruch“ für Kardinal Rainer Maria Woelki ist bestenfalls einer zweiter Klasse.
Gerichtsdramen scheinen zeitlos zu sein. Nach „Terror“ und „Gott“ des Literarjuristen Ferdinand von Schirach hat nun auch Rainer Maria Woelki ein Drehbuch in diesem Format auf die Bühne gebracht. Am vergangenen Donnerstag ließ er im bistumseigenen Maternushaus ein „Gutachten über Pflichtverletzungen von Diözesanverantwortlichen im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs“ veröffentlichen. Es handelt sich um das zweite Auftragswerk dieser Art. Die erste Studie hatte Kardinal Woelki noch, ohne sie übrigens nach eigener Auskunft gelesen zu haben, wegen methodischer Mängel vom Spielplan der Kölner Missbrauchsaufklärung gestrichen. Seitdem wartete die Welt auf die Uraufführung des neuen Stücks. Und tatsächlich gab es großes Drama: eine umfassende Liste von Anklagepunkten, die Benennung der verantwortlichen Akteure, die Suspendierung des Offizials und eines Weihbischofs vor laufenden Kameras. Inzwischen wurde ein weiterer Weihbischof beurlaubt, und der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, ehemaliger Personalchef des Erzbistums Köln, hat dem Papst seinen Rücktritt angeboten.
Kein „Fehlverhalten im Amt“ bei Woelki
Außerdem gab es noch einen Freispruch. Anders als seinen Vorgängern ist Kardinal Woelki nach Einschätzung der gutachtenden Kanzlei kein Fehlverhalten im Amt anzukreiden, auch wenn dies in einem Fall zur Diskussion stand. Und so ließ der Kölner Chefdramaturg in Sachen Aufklärung protokollieren: „Ich habe Wort gehalten.“ Hat er. Sein Versprechen auf rückhaltlose Aufklärung bleibt freilich an das Drehbuch der Macht gebunden, mit dem die erschütternden Fälle systematischer Vertuschung sexueller Gewalt gegen Schutzbefohlene überhaupt möglich wurde. Sichtlich betroffen hob der Kardinal die unterschiedliche Behandlung von Laien und Klerikern hervor. Während gegen erstere konsequent vorgegangen wurde, wurden Priester mit derselben Konsequenz geschützt.
Dieses Systemproblem sakralisierter Macht löst sich nicht im ehrlich gemeinten Aufklärungswillen auf, mit dem der Kölner Erzbischof die Akten in seinem Haus durchforsten ließ. Denn es bleibt dabei, dass die Kirche entschieden hat, welche Kanzlei begutachtet. Es bleibt dabei, dass das erste Gutachten zurückgehalten wurde. Nicht die möglichen Unterschiede zwischen den juristischen Expertisen, sondern diese Tatsache zeigt das grundsätzliche Problem an: Solange die kirchliche Wahrheitsmacht darüber entscheidet, was und wie aufgeklärt wird, bestätigt sich das System selbst.
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